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Stimmen mit Gewicht

Ein Rückblick auf die Verabschiedung des Bail out-Planes

Von Sebastian Gerhardt

Am Montag, den 29. September, lehnte das US-Repräsentantenhaus den Gesetzentwurf zum Aufkauf fauler Wertpapiere mit 228 zu 205 Stimmen ab. Nur 65 Republikaner und 140 Demokraten hatten zugestimmt, dagegen 95 Demokraten und 133 Republikaner sich gegen den Kompromiß ausgesprochen, der zwischen US-Finanzministerium, Notenbank und den Spitzen des US-Kongresses ausgehandelt worden war. Die Motive für die Ablehnung waren unterschiedlich, wenn nicht gegensätzlich. Auf Seiten der Republikaner verband sich der religiöse Glaube an die Segnungen des freien Marktes mit der Furcht vor den Wahlen im November. Der Abgeordnete Michael C. Burgess ließ sich damit sogar in der NYT zitieren. Der Republikaner aus Texas ist besorgt über die Macht der neuen Behörde zur Aufsicht über das 700 Milliarden Dollar-Paket, denn: "Ich kann nicht sagen, wer das in der neuen Regierung sein wird."(NYT, 04.10.08) Präziser kann man wohl kaum bestätigen, was wir hier vor ein paar Tagen geschrieben haben:

Der Kern der Sache liegt ... nicht in einem ideologischen Streit über Staatsinterventionen, sondern in der Frage, wer im Staat das Sagen hat. Und da die Republikaner offensichtlich ihre Felle im Vorfeld der Präsidentenwahlen wegschwimmen sehen, haben sie kein Interesse an einer kapitalistisch rationalen Strategie, sondern machen in Apokalypse: "Nach uns die Sintflut!"

Auf Seiten der Demokraten kam ein ganzes Bündel von Ablehnungsgründen zusammen: Mißtrauen gegenüber der Bush-Regierung und ihrem Finanzminister Henry M. Paulson, bis vor zwei Jahren Chef der Investmentbank Goldmann Sachs war. Angst, sich an der Seite der scher getroffenen Wall Street sehen zu lassen, der Versuch, mehr für die "middle class" herauszuholen. Umsonst hatte der alte Keynesianer James K. Galbraith noch kurz vor der Abstimmung versucht, sie zur Zustimmung zu einem kleineren Übel zu bewegen: Der überarbeitete Plan böte die Chance, eine Crash zu verhindern und Zeit zur Entwicklung eine langfristigen Strategie unter einem neuen Präsidenten zu kaufen. Auf jeden Fall sei ein Eingreifen des Staates unerläßlich. Nicht ohne eine gewisse Resignation vermuteten Ökonomen des gewerkschaftsnahen Economic Policy Institut nach dem ersten Scheitern im Repräsentantenhaus, trotz all ihrer Kritik sei "das bailout-Paket, angesichts der Ideologie des derzeitigen Präsidenten und angesichts des gegenwärtigen Kongreß die beste Möglichkeit, ein drohende Kernschmelze des Finanzsystem zu stoppen und eine Hilfe dabei, substantielle Folgeschäden für Produktion und Beschäftigung abzuwenden." (Lawrence Mishell, Ross Eisenbrey, John Irons, www.epi.org, 29.09.08)



Abstimmung an Wall Street

Kaum stand das Ergebnis im Repräsentantenhaus fest, begann eine andere Abstimmung: An der Wall Street stürzten die Aktienkurse. Wall Street warf seine Stimmen in die Waagschale, gewichtet mit dem Kapital, das hier einzusetzen war. Der Dow Jones gab bis Handelsschluß am Montag um 777 Punkte nach. Die Kommentatoren in den Medien wurden nicht müde, den unerhörten Verlust zu beziffern: "1,2 trillion" – 1.200.000.000.000 Dollar. Und die fallenden Kurse nehmen viele US-Amerikaner nicht als ein Indiz der wirtschaftlichen Lage im Lande, sondern als ein Auskunft über den Stand ihrer Altersvorsorge. Schon das Platzen der New-economy-Blase im Jahr 2000 hatte viele um die Vorsorge für den Lebensabend gebracht.

Trotzdem ist die Rede von den "1,2 trillion Dollar" Verlust Unfug. Natürlich kann man die aktuellen Börsenkurse einfach mit der Zahl der Aktien einer Firma multiplizieren und auf diese Weise einen "Börsenwert" des Unternehmens ausrechnen. Und wenn der Börsenkurs zurückgeht, dann ist dieser "Börsenwert" des Unternehmens gesunken – völlig unabhängig davon, daß ja gar nicht alle Aktien, sondern immer nur ein kleiner Teil von ihnen zu diesem aktuellen Kurs gekauft und verkauft wird. Natürlich kann man die Börsenwerte aller Unternehmen an der New Yorker Börse zusammenrechnen und kommt dann, unabhängig vom tatsächlichen Umsatz an der Börsen, rasch zu gigantischen Veränderungen im "Börsenwert", bis zu "1,2 trillion".

Selbst ein großer Rückgang der Börsenkurse ist mit Gewinnen vieler, theoretisch sogar aller Verkäufer an einem solchen schlechten Börsentag vereinbar: Wenn sie nämlich ihre Aktien nicht am Vortag erworben haben, sondern vor längerer Zeit zu noch geringeren Preisen, dann können sie einen Gewinn realisieren, obwohl die Kurse gegenüber dem Vortag gefallen sind. Sie mögen sich ärgern, weil sie am Vortag noch mehr eingestrichen hätten – aber das ist ihr Problem. Wirklich Geld verloren haben die Leute, die zu höheren Kursen gekauft haben und nun zu geringeren verkaufen. Wieviele das sind und wie hoch ihre Verluste, das wird statistisch nicht erfaßt.

Wer aber weiß, daß vom Auf und Ab der Börsen der Termin seines Ruhestandes oder die Finanzierung der Ausbildung seiner Kinder abhängt, dem wird rasch ganz blümerant zu Mute, wenn er oder sie die Kursen sinken sieht, von stärkeren Kräften getrieben, als seinem Sparplan. In einer Umfrage für ABC und die Washington Post befürchteten 88 Prozent der Befragten am Montagabend, daß sich die wirtschaftliche Lage der USA durch die Ablehnung verschlechtern werde, 51 waren gar "sehr besorgt". Eine klare Mehrheit gab den Republikaner die Hauptschuldigen der verfahrenen Situation. Zwar hielt die Uneinigkeit über die Gesetzesvorlage an, da sich nur 45 Prozent für den vorliegenden Plan aussprachen, während 47 Prozent dagegen votierten. Doch angesichts der Uneinigkeit der Gegner im Repräsentantenhaus und der weitgehenden Übereinstimmung der Eliten war die endgültige Annahme des Vorschlags nur mehr eine Frage der Taktik.


Neue Kredite: Weniger, aber teurer

Denn der Grund für das beispiellose Hilfsprogramm für das US-Finanzkapital besteht fort: Die Kreditkrise mit ihren hohen Kosten für neue Kredite und der Beschränkung der Neuverschuldung selbst für gute Adressen. Auch auf dem Kreditmarkt wird regelmäßig abgestimmt. Täglich laufen Kreditverträge aus und werden teils bezahlt, teils durch neue Kredite zu neuen Konditionen ersetzt. Ein Beispiel: Die Nettokreditaufnahme der Bundesrepublik Deutschland betrug im Jahr 2004 nur 31,4 Milliarden Euro. Dieser Betrage ergibt sich aber aus einer Differenz: Nicht weniger als 193 Milliarden Euro alter Schulden wurden einfach dadurch getilgt, daß in dieser Höhe neue Schulden eingegangen wurden. Die Bruttokreditaufnahme (= Umschuldung + Neukredite) lag damit bei 224 Milliarden Euro. Anders ist es auch bei Unternehmen nicht, was keine Probleme bereitet, solange Kreditquellen verfügbar sind.

Doch seitdem offensichtlich ist, daß zumindest im Immobiliensektor der USA Milliarden auf Nimmerwiedersehen versenkt wurden, ist die Bereitschaft zur Kreditvergabe deutlich gesunken. Statt einfach auslaufende Wertpapiere durch neue abzulösen, brauchen die Unternehmen Cash für die Rückzahlung laufender Verbindlichkeiten und das laufende Geschäft. – oder müssen empfindlich höhere Zinsen zahlen. Wie sich das auf dem wichtigsten Markt für kurzfristige Finanzierungen in den USA, dem Markt für "Commercial Paper" (CP) darstellt, zeigen die folgenden Grafiken. Die erste Grafik

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gibt das Gesamtvolumen der offenen CP und den Umfang von drei wichtigen Marktsegmenten für den Zeitraum seit Anfang 2007 an. Es handelt sich die Bestände jeweils zum Dienstag einer Woche, die Angaben erfassen also nicht alle täglichen Schwankungen und weisen klar zusammenhängende Trends auf. Deutlich ist der Anstieg des kurzfristigen Kreditvolumens im Frühjahr 2007 zu erkennen, den weitgehend auf ein Segment zurückgeht: Forderungsbesicherte Schuldscheine, die ihre Sicherungen zumeist aus Hypotheken erhielten. Dieses Segment gibt nach dem 8. August 2007, dem offenen Beginn der Finanzkrise, deutlich ein und kann auch durch eine Zunahme der kurzfristigen Verschuldung der Finanzunternehmen nicht ausgeglichen werden: Die Gesamtvolumen auf dem Markt der Commercial Paper sinkt. Und nach dem 10. September 2008 gibt der Markt noch einmal nach, wobei diesmal auch die Schuldscheine der Finanzunternehmen in Mitleidenschaft gezogen werden. Kein Wunder, denn in der folgenden Woche brach Lehmann Brothers zusammen. Nur die Kreditausstattung der nichtfinanziellen Unternehmen, der "Realwirtschaft", hat bisher nicht gelitten.

Aber teurer werden die Kredite auch hier. Die Risikoprämie, welche US-Firmen für ihre kurzfristigen Kredite zahlen müssen, beleuchtet die zweite Grafik

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Sie stellte den Zinsunterschied (Spread) zwischen der Federal Funds rate, zu der sich US-Geschäftsbanken untereinander Tagesgeld leihen, und den Zinsen für Commercial Papers von Finanzunternehmen, von Nicht-Finanzunternehmen und für Forderungsbesicherte Schuldscheine mit der gleichen Laufzeit dar. Das Bild ist etwas heftiger aus, weil hier – der Quellenlage wegen – börsentägliche Angaben zugrunde gelegt sind. Präzise kann man hier den Anfang der Finanzkrise ausmachen und den Aufschlag erkennen, den weniger sichere Gläubiger ihren Schuldner bieten müssen: Bis zum 9. August mußten Unternehmen für ihre Schuldscheine nicht mehr zahlen, als für Tagesgeld. Seitdem aber ist teuer geworden, sich neu zu verschulden: ein Zinsunterschied von einem, zwei, oder sogar fast 4,5 Prozent macht bei den hunderten Milliarden, die auf dem Markt umgesetzt werden, einen Zinsunterschied von hunderten Millionen Dollar. Wer da verleihen kann, ist gut dran. Die Ausschläge zeigen die Zeiten, in denen es besonders eng zuging, die einzelnen Wellen der Finanzkrise – im August und Dezember 2007, Ende März und Mitte September 2008. Zu keinem Zeitpunkt war es in dieser Krise so teuer, wie in den Wochen seit dem Zusammenbruch von Lehmann, während das Volumen des privaten Kreditmarktes weiter geschrumpft ist. Die Möglichkeiten der Federal Reserve sind wohl groß, aber nicht unendlich. Schon kalkulieren Experten, wieviel Raum für weitere Interventionen der Zentralbank noch bleibt, da sie immer mehr Dollar gegen private Wertpapiere ausgibt.


Kein Happy End

Aus diesem Grund konnten weder US-Regierung noch Wall Street auf den bail-out Plan verzichten. Jedes Nachlassen der Hoffnung auf seine Realisierung trieb die Zinsen empor, senkte das Volumen der privaten Kredite und machte den US-Parlamentariern wie ihren Wählern deutlich, daß nun rasch gehandelt werden mußte. Präsident und Regierung hatten sich schon weitgehend blamiert. Kurzerhand übernahm das kleinere und elitäre Oberhaus des Parlamentes, der Senat, das Kommando. Der dort trickreiche eingebrachte Text erweiterte die Gesetzesvorlage um einige Steuererleichterungen, die vor allem den Republikanern am Herzen liegen. Und er fügte eine Formulierung ein, die für breite öffentliche Unterstützung sorgte: Die Grenze für die Versicherung von Bankeinlagen durch die zuständige FDIC wurde von 100 000 auf 250 000 Dollar angehoben. So wurde das Gesetz mit 74 zu 25 Stimmen angenommen. Beide Präsidentschaftskandidaten hatten zugestimmt. Der Text ging dem Repräsentantenhaus wieder zu, das nun kein Komma mehr ändern, nur mehr "ja" oder "nein" sagen durfte. In der endgültigen Abstimmung am 3. Oktober votierten 263 Abgeordnete für den Text, 172 Demokraten und 91 Republikaner, nur 171 stimmten dagegen. Dem Dow Jones hat diese Wendung allerdings nicht geholfen. Er schloß am Freitagnachmittag eine bewegte Woche noch leicht unterhalb der Notierung des chaotischen Montagabend.

Die eingefügten Steuererleichterungen werden auf etwa 150 Milliarden Dollar geschätzt, verteilt auf die nächsten 10 Jahre. Substantiell ist die Ausweitung des Einlagenschutzes. Von ihm profitieren vor allem Rentner und Kleinunternehmer – als "small business" gelten in den USA allerdings Firmen mit bis zu 500 Beschäftigten. Waren zuvor etwa 50 Prozent ihrer Bankeinlagen versichert, so sind es jetzt mehr als zwei Drittel. Das kann sich sehen lassen. Und die Herren werden es brauchen. Ihre Banken halten sich mit Krediten zurück. Erweiterungsinvestitionen werden zurückgestellt, weil die Marktaussichten unsicher und die Finanzierung schwierig ist. Im September nahm die Zahl der Arbeitslosen – saisonbereinigt - nochmals um 101 000 zurück.

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Die Krise erreicht langsam auch die nicht-finanziellen Unternehmen. Insbesondere im Bauwesen, dem verarbeitenden Gewerbe und im Einzelhandel wurden Jobs abgebaut. Nur weil hunderttausende Arbeitslose nicht mehr mitgezählt werden, weil sie keine Arbeit mehr aktiv suchen würden, blieb die Arbeitslosenquote der USA im September konstant, bei 6,1 Prozent.

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In der öffentlichen Debatte in den USA wurde ein Punkt bisher aber immer wieder vorsichtig umgangen: Woher das Geld kommen soll, das sich der Staat für sein neues Projekt leihen muß. Man geht einfach davon aus, daß insbesondere arme China weiter den reichen USA Kredit gewährt.

Sebastian Gerhardt | 06.10.08 13:16 | Permalink

Kommentare

Hallo :)
Ich muss sagen dass ihr eine tolle Seite habt, man kann hier alle noetwendige Infos finden und die Art und Weise in dem ihr die Artikel findet gefaellt mir auch. Gruss

Verfasst von: PetraHenning | 16.10.08 15:57

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