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Systemerhalt und Eigeninteresse

Die HypoRealEstate, die Einlagensicherung und die Konkurrenz

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6. Oktober 2008 steht ein Kommentar von Holger Paul. Er greift ein altes Bild auf und vergleicht die wirtschaftliche Zirkulation mit dem menschlichen Blutkreislauf. Die Finanzkrise sei eine Stockung der lebensspendenden Bewegung: Wenn das Blut nicht mehr am Herzen ankomme, dann könne der Muskel pumpen und pumpen, doch nichts wird besser. Am Ende allerdings aber kommt er auf einen Umstand zu sprechen, der innerhalb eines Körpers so nicht verkommt: "Das System ist auch deshalb verkrampft, weil befürchtet wird, dass die eine oder andere Bank die Krise nutzen will, die eigene Position auf Kosten der Konkurrenz auszubauen. Spätestens jetzt muss aber allen klar sein, dass die Stabilität des Systems wichtiger ist als der Profit, den ein Haus aus dem Untergang eines Konkurrenten ziehen kann."

Am späten Sonnabend, schon nach Abschluß des Pariser Gipfels zur Finanzkrise, gelangte eine Nachricht in die Medien: Das Sicherungspaket für die Münchener Großbank HypoRealEstate, den zweitgrößten deutschen Immobilienfinanzierer hinter der Eurohypo, die zur Commerzbankgruppe gehört, war geplatzt. Prüfer der Deutschen Bank, so Vorabmeldungen von Zeitungen, hätten weitere Risiken in ihren Büchern ausgemacht. Damit beliefe sich der Bedarf an frischen Geldern bis Ende des Jahres auf 50 Milliarden Euro – statt der 35 Milliarden, mit denen bisher gerechnet worden war. Bis Ende 2009 könnten gar 70 bis 100 Milliarden Euro fällig werden. Damit sei die schwer herbei verhandelte Einigung obsolet, wonach die Bundesregierung mit einer Bürgschaft von bis zu 26,5 Milliarden Euro das Unternehmen stützen sollte. Private Banken sollten 4,5 Milliarden Euro, Sparkassen und Landesbanken 1,6 Milliarden, Versicherungen 1,4 Milliarden garantieren, die Genossenschaftsbanken hätten Bürgschaften über 600 Millionen und staatliche Förderbanken von 400 Millionen Euro übernommen.

Es folgten viele Stunden intensiven Verhandelns, in denen die Größen der Finanzwirtschaft immer wieder auf eine größere Teilhabe des öffentlichen Sektors drängten. Mit Erfolg: Am Sonntagnachmittag gab die Bundeskanzlerin eine politische Willenserklärung ab, wonach die Regierung für die Sicherheit der Bankeinlagen der garantiere. Sie folgte damit dem Zug der Zeit, in den USA, in Irland, Österreich und anderswo sind in den letzten Tage ähnliche Versprechen abgegeben, teils sogar zum Gesetz erhoben worden. Die deutschen Banken sahen es als Standortnachteil, daß ihnen solche Garantien verweigert wurden.

Nun suchen manche in den Geldvermögenstatistiken der Bundesbank, wie groß denn die damit garantierte Summe sei. Ein spannende, sicher auch in Details erhellende Frage. Tatsächlich ist kaum damit zu rechnen, daß die Regierung wegen ihrer Garantie Geld auf den Tisch legen muß. Im Falle einer Bankpleite würden zunächst die Einlagensicherungsfonds der verschiedenen Säulen des deutschen Bankensystems einspringen. Nur darüber hinausgehende Forderungen könnten sich an den Staat richten.

Den Banken ging es vor allem darum, das Publikum ruhig zu halten. Denn wenn ein Run auf mehrere Banken einsetzen würden, dann helfen keine Sicherheiten mehr: Die Einlagen der Kunden liegen nicht, wie es so schön umgangsprachlich heißt, "auf der Bank". Sie sind in allerlei Geschäfte investiert. Und solange diese Geschäfte genug abwerfen, kann der Geldbedarf der kleinen und großen Kunden locker mit einer gut optimierten, d.h. kleinen Kassenhaltung bewältigt werden. Wenn aber viele auf einmal kommen und ihre Konten räumen, dann ist ganz schnell Schluß. Dann schließ die Regierung die Schalter und verkündet "Bankfeiertage", in denen hinter den Kulissen aufgeräumt und der Schaden begrenzt wird: Wie zuletzt bei der britischen Northern Rock im Herbst 2007, die anschließend verstaatlicht wurde.

Als Gegenleistung für die Garantie der Einlagen soll die Bundesregierung eine größere Beteiligung des Bankgewerbes an der Stützung der HypoRealEstate erhalten haben: 15 Milliarden mehr. Und es ist von künftigen, weitergehenden Regulierungen die Rede, die nun zur Verhinderung künftiger Krisen geschaffen werden müßten. Die Deutsche Bank wird das nicht schrecken.

Das traditionsbewußte Institut hat 1995 zum 125-jährigen Bestehen der Bank von renommierten Historikern eine durchaus wohlwollende Unternehmensgeschichte vorlegen lassen.(1) Darin formuliert Gerald D. Feldmann über die Bankenkrise von 1931 mit aller geboten Zurückhaltung: "Auch kann man nur zu der Schlußfolgerung kommen, daß es den beiden Hauptakteuren in der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft (2), Wassermann und Solmsen, in der kritischen Entscheidungsphase, in der Woche vor der Zahlungseinstellung der DANAT-Bank am 13. Juli und den am 14. Juli verfügten Bankfeiertagen, sehr viel mehr um die Wahrung der eigenen Interessen ging als etwa um eine Verhütung des Zusammenbruchs von DANAT-Bank und Dresdener Bank und dessen unausbleiblicher Konsequenz, der massiven Verschärfung der staatlichen Bankenaufsicht."

Zumindest 1931 ging es also der Deutschen Bank mehr um "den Profit, den ein Haus aus dem Untergang eines Konkurrenten ziehen kann", als um den Erhalt des Finanzsystems, das einigermaßen zusammenbrach. Doch die Deutsche Bank war damals stark genug, den Einfluß des Staates auf Minderheitsbeteiligung zu begrenzen. Um die Konkurrenz mit ihren guten Beziehungen in die USA in die deutschen Schranken zuweisen, nahm die Herren der Deutschen Bank 1931 eine "Kernschmelze", wie man heute sagen würde, des deutschen Finanzsystems und einen, allerdings begrenzten Einfluß des Staates in Kauf. Das Buch, in dem diese erfolgreiche Katastrophenpolitik geschildert wird, ließ die Deutsche Bank in den Jahren nach 1995 an ihre Kunden verteilen. Ich mußte es mir kaufen.

Die BNP Paribas hat sich am 6. Oktober 2008 die Mehrheit am strauchelnden Finanzkonzern Fortis gekauft: für 14,5 Milliarden Euro. Wenn in der Krise noch Geld hat, der kann billig shoppen gehen. Auch für die Hinterlassenschaft des HypoRealEstate wird sich ein Abnehmer finden.


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(1) Lothar Gall, Gerald D. Feldmann, Harold James, Carl-Ludwig Holtfrerich, Hans E. Büschgen, Die Deutsche Bank 1870-1995, C.H. Beck München, 1995.
(2) Die Deutsche Bank und die Disconto-Gesellschaften hatten 1929 fusioniert und zunächst einen Doppelnamen getragen. Erst ab 1937 firmierte das Unternehmen wieder einfach als "Deutsche Bank".

Sebastian Gerhardt | 06.10.08 14:52 | Permalink

Kommentare

Schöner und logischer Vergleich, allerdings bezweifel ich, dass mittlerweile jedem klar ist, dass Profit kein Ziel mehr sein darf, will man das System langfristig retten. ich glaube ja, dass sich das System an sich neu strukturieren muss, sonst kann es so oder so keine Rettung geben.

Verfasst von: Lukas | 07.10.08 13:40

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