« Vom Anschluß der DDR zur Stärke des Euro | Hauptseite | Aber der hat ja gar nichts an »

Keine Peanuts

Die Wall Street braucht 700 Milliarden US-Dollar im Kampf um die Neuaufteilung der Weltfinanzmärkte

Von Sebastian Gerhardt

Scheinbar ist es nur eine kleine Gruppe von Republikanern im US-Kongreß, die gestern eine Einigung über einen hunderte Milliarden schweren Stützungsplan der US-Regierung für Wall Street verhindert hat. Selbst Präsident Bush und der US- Finanzminister Henry M. Paulson, selbst Republikaner, konnten sie nicht zu einer Zustimmung bewegen. Konservativ und eigensinnig beharren sie auf der Position ihres Kollegen Joe Barton, republikanischen Kongreßabgeordneten aus Texas, der bibelfest verlautbaren lies: "Bloß weil Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat müssen wir doch nicht dieses Gesetz in sieben Tagen verabschieden." Doch steckt mehr hinter der parlamentarischen Blockade, die ganz nebenbei die bisher größte Bankenpleite der US-Geschichte garantiert hat: Den Bankrott der sechstgrößten US-Geschäftsbank Washington Mutual (WaMu).

Vor einer Woche, am Donnerstag, den 18. September hatten das US- Finanzministerium und die US- Notenbank Federal Reserve (FED) gemeinsam einen Plan zur Stabilisierung der US- Finanzmärkte vorgeschlagen. Das Finanzministerium soll ermächtigt werden, Finanzinstituten in den USA schwer oder gar nicht verkäufliche Wertpapiere abzunehmen und dafür bis zu 700 Milliarden Dollar neue Schulden machen dürfen. Der Chef des Finanzminsteriums, und Bernard Bernanke, der Chef der FED, erklärten, nur mit einem solchen Plan können ein "Einfrieren" der Kreditmärkte verhindert werden. Sie reagierten damit auf die Zuspitzung der Kreditkrise nach der Pleite der US-Investmentbank Lehmann Brothers am 15. September und der Beinahepleite der Versicherungsgesellschaft AIG einen Tag später. Denn die Börsianer hatten die Botschaft wohl verstanden: Künftig würde es keine einfachen Auswege geben, auch nicht für die Großen der Branche.

Die Staatsgarantie für die Hypthekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac Anfang September hatte nur einen Teil der Märkte sichern können, und das auf Kosten nicht nur des Staates, sondern auch der Aktionäre, die bei dieser Rettung leer ausgingen- Jeder muß sehen, wo er bleibt. Selbst die Investment Bank Merill Lynch konnte sich nur dadurch in private Hände retten, daß sie ihre Selbständigkeit aufgab und sich – für immerhin 50 Milliarden Dollar – von der Geschäftsbank Bank of America schlucken ließ. Bank of America hatte übrigens bis zum 12. September auch noch Gespräche mit Lehmann Brothers geführt. Dann aber bot der Chef von Merill Lynch ein besseres Unternehmen zur Übernahme an, und am 13. September konnten die Herren von Lehmann bei der Bank of America niemanden mehr telefonisch erreichen. (So zumindest erzählt die New York Times die Geschichte.) Lehmann Brothers versuchte vergeblich, noch einen anderen kapitalstarken Käufer zu finden. Anders als noch im März beim Ende der Investmentbank Bear Stearns an JP Morgan gab jedoch es keine öffentliche Absicherung für einen Notverkauf von Lehmann Brothers. Und niemand war bereit, den Laden ohne solche Absicherung zu erwerben. Die zweifelhaften oder ganz uneinbringlichen Forderungen von Banken heißen in der Berichterstattung nur noch "toxic waste" – Giftmüll. Und den will keiner privat entsorgen müssen. Erst nach der Pleite war die britische Barclays Bank bereit, die ausgewählten besten Stücke von Lehmann für nur noch 1,9 Milliarden US-Dollar zu übernehmen. Und im Fall der AIG müssen die Anteilseigner dem Staat für seinen Kredit in Höhe von 85 Milliarden Dollar – keine privaten Finanziers waren zur Übernahme des Risikos bereit – 80 Prozent der Firma abtreten.

Daraufhin gingen am 17. September die Zinsen für kurzfristige private Kredite scharf in die Höhe. Da mit dem Ausfall weiterer Vertragspartner gerechnet werden muß, wollen die Geldgeber mehr Zinsen für ihr gestiegenes Risiko haben - oder sie stiegen gleich aus den privaten Wertpapieren aus und in Staatsschuldpapiere um, für die der ganze Staat USA gerade stehen muß. Um den Markt für kurzfristige Kredite zu beruhigen, räumte die FED den Händlern einen erweiterten Zugang zu ihren Dollars ein. Aber an eine Lösung der Kreditkrise ist ohne eine Beendigung der Hypothekenkrise nicht zu denken. Denn eine Bankbilanz hat immer zwei Seiten: Solange unklar ist, ob den Forderungen an eine Bank (Einlagen, Kreditaufnahme der Bank) auch ein wirkliches Vermögen gegenübersteht, das rechtzeitig zu Geld gemacht werden kann, ist das Mißtrauen groß. Und wer kann, zieht sein Geld ab. Bei Washington Mutual wurden in den letzten 10 Tage über 16 Milliarden Dollar abgehoben. Dann griff die Aufsichtsbehörde ein. Die guten Teile von WaMu gehen an JP Morgan. Damit habe sich die beiden größten Geschäftsbankkonkurrenten der Citigroup innerhalb dieses Jahres massiv vergrößert: die Bank of America mit Merill Lynch, JP Morgan mit Bear Stearns und eben der WaMu.

Als Bernanke und Paulson einen kurzen Gesetzesentwurf vorlegten, der dem Finanzministerium einen praktisch unkontrollierten Einsatz von 700 Milliarden Dollar ermöglicht hätte, folgten sie einfach der Konsequenz des Marktverhaltens: Da die privaten Eigentümer ihre Kredite an private Unternehmen gegen öffentliche Schuldscheine austauschen, wollen sie nun öffentliche Schulden gegen private Kredite eintauschen und der Wall Street ihre faulen Wertpapiere und zweifelhaften Vermögenswerte abnehmen. Daß dies für die Wall Street nur Sinn hat, wenn das Finanzministerium Preise zahlt, die auf den Finanzmärkten nicht zu erzielen wären, ist klar. Bernanke spricht von "hold-to-maturity" Preisen, d.h. von Preisen, die nicht aktuell am Markt gezahlt werden, aber im Zuge der gesamten Laufzeit eines Kreditvertrages bis einschließlich der Tilgung erlöst werden können. Aber was heißt das? Wie groß der Abschlag auf unsichere Kreditpapiere aktuell sein kann, hat die Investmentbank Morgan Stanley vorgeführt. Sie hat ein umfangreiches Wertpapierpaket an den Finanzinvestor Lone Star verkauft und dabei für einen Dollar, der auf dem Papier stand, im Durchschnitt nur 22 Cent bekommen.

Mehrere Punkte des Gesetzesentwurfs haben sofort zu Protesten geführt, von verschiedenen Seiten. So verlangten ausländische Banken mit umfangreichen Geschäften in den USA, daß auch sie ihre faulen Wertpapiere ans Finanzministerium zu besseren als Marktpreisen verkaufen dürfen. Diesem Einspruch wurde rasch stattgegeben – weshalb sich nun besonders nationalistische Republikaner beschweren, daß der Staat USA Ausländern aus der Patsche hilft. Die Demokraten beschwerten sich, daß mit dem Plan nur der Wall Street, nicht aber "Main Street" – der Hauptstraße, dem durchschnittlichen Amerikaner geholfen würden. Ihr Forderung nach Änderungen bei Zwangsversteigerungen zugunsten zahlungsunfähiger Familien ließen sie allerdings rasch fallen. Nach einer besseren Finanzaufsicht hatten sie gar nicht erst laut gerufen. Nur ein Kontrollgremium zur Beaufsichtigung des Finanzministeriums bei der Umsetzung des Programms konnten sie offenbar durchsetzen.

Doch trotz der Unterstützung durch den Präsidenten und die Regierung, trotz der möglichen Einigung mit den Demokraten blockt ein Teil der US-Republikaner die Verabschiedung des Gesetzes. Sie behaupten einerseits, hier werde ein unamerikanischer Sozialismus betrieben, wo der Staat die Wirtschaft lenke, und greifen zugleich die bösen kapitalistischen Geldhaie in New York an. Der Kern der Sache liegt aber nicht in einem ideologischen Streit über Staatsinterventionen, sondern in der Frage, wer im Staat das Sagen hat. Und da die Republikaner offensichtlich ihre Felle im Vorfeld der Präsidentenwahlen wegschwimmen sehen, haben sie kein Interesse an einer kapitalistisch rationalen Strategie, sondern machen in Apokalpyse: "Nach uns die Sintflut!" Natürlich berufen sie sich dabei auf den einfachen Steuerzahler, dem keine Lasten zugunsten der Großfinanz zugemutet werden könnten. Aber die öffentlichen Schulden der USA betragen etwa 52 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und würden auch nach der Hinzufügung von 700 Milliarden Dollar noch unter der Maatsrichtgrenze von 60 Prozent liegen. Die Widersprüche auf diesem Feld sind ganz woanders zu suchen – wozu gleich mehr. Und die einfachen US-Amerikaner sind gar nicht unbedingt gegen Hilfen für die Finanzmärkte. Es kommt nur darauf an, wie das Umfrageinstitut die Frage formuliert: Gegen ein "Rauskaufen" der – arroganten, stinkreichen, usw. – Investmentbanker sind viele, gegen "Investitionen zur Sicherung der Finanzmärkte" aber nur eine Minderheit.

An welcher Stelle die politische Blockade in Washington in den nächsten Tagen brechen, und wie der Kompromiß aussehen wird, ist schwer zu sagen. Sicher aber ist, daß der Tanz dann erst anfängt. Denn kein Gesetz kann die Frage beantworten, zu welchen Preisen das US-Finanzministerium den Banken und anderen Finanzunternehmen ihren Giftmüll abkaufen soll. Danach richtet sich aber zum einen, wie groß die Entlastung für die Wall Street wird – und wie groß andererseits das Risiko ist, das vom Finanzministerium verwaltet werden muß. Die Vermögensseite der Bilanz der US-Notenbank hat sich seit Beginn der Finanzkrise schon gründlich gewandelt. Besaß die FED als Gegengewicht zum Notenumlauf und anderen Forderungen an sie bis 2007 fast ausschließlich staatliche Schuldpapiere, so gut oder schlecht wie der Kredit des Staates USA, so finden sich dort heute große Mengen mehr oder minder guter privater Wertpapiere. In der Geschichte der Notenbanken war dies früher einmal üblich – in den letzten vierzig Jahren aber nicht mehr. Welche Folgen dies für den Dollar haben wird, ist eine eigene Untersuchung wert. Da sich vieles ändern wird, kann sich auch hier viel ändern.

Manches hat sich auch schon geändert. In recht selbstbewußter Sprache konnte der Bundesfinanzminister am 25. September im Deutschen Bundestag feststellen: "Die Fernwirkungen der Krise sind derzeit nicht absehbar. Eines scheint mir aber wahrscheinlich: Die USA werden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren. Das Weltfinanzsystem wird multipolarer. In der neuen Finanzmarktwelt werden Staatsfonds und Handelsbanken aus Asien oder dem Nahen Osten ebenso ihren Anteil haben wie europäische Banken mit ihrem Universalbankenmodell – ein Modell, das sich übrigens dem amerikanischen Trennbankenmodell gerade jetzt als überlegen erwiesen hat." Tatsächlich hat das System der Trennung von Einlagen- und Investmentgeschäft im US-Bankwesen, das mit dem Glass-Steagall-Act als Konsequnez der Großen Depression 1933 eingeführt wurde, diese nächste große Krise 75 Jahre später nicht überstanden. Als am 20. September die letzten beiden, die erfolgreichsten Investmentbanken Goldmann Sachs und Morgan Stanley ihre Umwandlung in Geschäftsbanken verkündeten, ging eine Ära endgültig zuende. Ob allerdings tatsächlich das Trennbankensystem gescheitert ist, oder nicht vielmehr seine seit 1999 stark abgeschwächte Form, in auch große Geschäftsbanken massiv in das Investmentgeschäft einsteigen konnten, ist eine eine andere Frage.

Und eine ganz andere Frage ist es, ob tatsächlich die Organisationsform den Erfolg macht, oder die erfolgreiche Teilhabe an richtiger Ausbeutung, im globalen Kapitalismus nicht allen Kapitalisten gleichmäßig gelingt: Die USA sind zwar zweifellos die reichste und mächtigste Nationalökonomie. Aber sie sind seit Jahren auf Kapitalimport angewiesen. Und da hat sich bereits im Juli diesen Jahres die Flucht ausländischer Anleger, gerade auch aus der Volksrepublik China, in sichere Anlagefelder abgezeichnet.(http://www.ustreas.gov/tic/) Leider ist das Selbstbewußtsein der westeuropäischen Imperialisten gar nicht so unberechtigt. Woher es kommt, das beleucht ein Artikel, der hier zu finden ist.

Sebastian Gerhardt | 26.09.08 16:38 | Permalink