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Aber der hat ja gar nichts an

Andreas Dresen entdeckt in “Wolke 9” den Sex zwischen Älteren

Von Angelika Nguyen

Eine Frau über 60 geht durch die Straßen, ihre Haare sind unfrisiert, sie ringeln sich in kleinen fettigen Löckchen. Ein zu enges T-Shirt zeichnet die Speckringe ihres Oberkörpers ab. Sie klingelt an einer Haustür, ein Mann über 70 öffnet, sie bringt ihm eine Hose, die sie ändern sollte. Er probiert sie in ihrer Gegnwart an und sie bekommt Lust. Er auch. Eine Sexsequenz beginnt. Sie zerren sich die Sachen vom Leib und atmen schwer. Wir Zuschauer können nicht entkommen. Da wird weder an üblicher Stelle geschnitten noch wird hier nur angedeutet. Da liegen sie nackt aufeinander und erarbeiten sich den Höhepunkt und wir müssen jede verdammte Sekunde dabei sein. Scham ist zu sehen, Anstrengung, Entschlossenheit, wobei nicht ganz klar ist, ob wir nun gerade Zeugen der Gefühle der Schauspieler Ursula Werner und Horst Westphal werden oder der gespielten Figuren. Auf radikale Weise lässt der Film beides ineinander übergehen.

Als er im Bad ist, verlässt sie fluchtartig die Wohnung. Verlassen, nackt setzt sich der Mann mitten in sein Wohnzimmer.

So beginnt der Film. Hier ist noch alles drin. Bereiter als man denken sollte, sind die Zuschauer, die Alltäglichkeit der gefilmten Gesichter und Körper in Kauf zu nehmen. Möglich ist immerhin, dass hier eine Geschichte beginnt. Dass wir erfahren, was die beiden, die eben spontanen Sex mit einem Fremden hatten, aneinander finden, dass wir spüren, warum sie ihren Ehemann betrügt, dass wir wissen, was die Figuren antreibt.

In Wirklichkeit bleibt die Handlung an dieser Stelle stehen und geht nur scheinbar weiter. Das Muster ist festgelegt. Nacktheit und Sexszenen wiederholen sich, ohne dass ich mehr über die Menschen erfahre. Das nicht geschriebene Drehbuch rächt sich. Mühsam hangeln sich die Theaterschauspieler Ursula Werner, Horst Westphal und Horst Rehberg an einem Entwurf entlang und improvisieren über Strecken ihre Dialoge. Dramaturgischer Stillstand ist die Folge. Jeder redet und spielt für sich, sie kommen einander nicht näher. Als Inge ihrem Mann die Affäre mit Karl gesteht, weint sie mehrere Minuten lang ohne Filmschnitt und ruft immer wieder: “Was soll ich denn machen?” Es ist als flehte Ursula Werner ihren Regisseur Dresen an, ihrer Rolle doch endlich Kontur und Richtung zu geben.

Horst Westphals Figur bleibt noch blasser, seine Motive noch abstrakter. Er ist einfach nur da, der (meist) potente, noch attraktive Liebhaber, ewig lächelnd, nicht ganz frei in den Nacktszenen.

Merkwürdigerweise verlässt ausgerechnet in diesem Sujet Andreas Dresen sein Humor, verbeißt er sich in eine Ernsthaftigkeit, die die Figuren verflacht. Das soll ein Dialog wieder gut machen, als Karl Inge einen Sexwitz über alte Leute erzählt, die einzige einigermaßen gelöste Szene des Films.

Der Film hinterlässt eine Art Werkstattgefühl, ein Gefühl, als Zuschauer mitarbeiten zu müssen, damit das Dresen-Team doch noch Erfolg hat. Der aber war dem Film beschieden. Zumindest ging ihm mit dem Bericht über Standing Ovations bei Aufführungen während des Cannes-Wettbewerbs und einem Festival-Preis ein Ruhm voraus, der vieles versprach. In zahlreichen Printmedien gab Dresen seine Ansichten zum Sex im Alter zum Besten, ließ teilhaben an seiner Entdeckung, dass es jenseits der 65 noch Sex gibt. Genau in diesem Muster bleibt der Film verhaftet, in dem Staunen, dass Inge, Karl und auch Werner Körper haben, Sex haben. Es ist das Thema des Films und als Horst Rehberg sich mit seinem dürren nackten Körper in die Wanne setzt, damit Frau Werner ihn einseifen kann, kommt kurz das Gefühl einer Reportage in der Geriatrie auf statt das Erlebnis einer Geschichte, die von Menschen und ihren Gefühlen, ihren Persönlichkeiten handelt. Das distanzierte Staunen des 45jährigen Dresen über seine Entdeckung überträgt er auf die Kamera, die dem Geschehen nicht näher kommt, weder durch Großaufnahmen noch durch pseudodokumentarische Bewegtheit. Dabei sind die drei gar nicht die Alten. Das stellt auch Dresen fest, indem er wiederholt den Vater des Protagonisten Werner inszeniert, der, wirklich alt, dement im Rollstuhl sitzt und mit Hingabe Mitgebrachtes vom Sohn isst. Insofern ist der Slogan “Greis ist geil” eine Mogelpackung. Er trifft nicht den Kern des Stoffes. Der Kern des Stoffes ist einVerhalten 60 und 70 Jähriger, das nicht von ihnen vermutet oder erwartet wird. Das ist noch keine Geschichte und die verschiedenen Leute, die an der Stoffentwicklung mit gearbeitet haben und dann die Schauspieler mit ihr alleine ließen, haben keine Geschichte daraus gemacht.

Umflort vom Ruhm in Cannes, schien der Film als Kunstwerk bereits bestätigt, bevor ihn hierzulande jemand sah. Die Kritiker feierten mit Dresen zusammen die soziologische Entdeckung des reifen Sexes. Nach der Qualität des Filmes fragte keiner mehr. Alle bestätigten dem Kaiser, dass seine Kleider wunderschön seien.
In Wirklichkeit ist der Film nackt, bar einer wirklichen Geschichte und erzeugt etwas, was Billy Wilder unter Strafe stellen wollte: Langeweile.

A.S.H. | 29.09.08 12:51 | Permalink