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Die Lehren des Rosenbergprozesses

Von Michael Meeropol und Robert Meeropol.

Vorbemerkung des Übersetzers: Am 11. September 2008 wurden eine Reihe von Dokumenten zum Prozeß gegen Ethel und Julius Rosenberg auf der Internetseite des unabhängigen National Security Archive erstmals veröffentlicht. (http://www.gwu.edu/~nsarchiv/news/20080911/index.htm) Zugleich erschien in der New York Times ein Artikel mit überraschenden Aussagen von Morton Sobell, einem Verteidiger der Rosenbergs. Auf die daran anknüpfende Diskussion reagierten die beiden Söhne der Rosenbergs, Michael und Robert Meeropol, mit eigenen Stellungnahmen. Der folgenden Text antwortet auf einen Kommentar von Ronald Radosh in der Los Angeles Times vom 17. September. Er erschien in der LA Times am 5. Oktober 2008. Inzwischen sind auf der Website nsarchive.org weitere Dokumente zum Prozeß veröffentlicht worden.

Wir sind die Söhne von Ethel und Julius Rosenberg. Wir waren kleine Kinder – 10 und 6 Jahre alt – als unsere Eltern auf dem elektrischen Stuhl in Sing Sing getötet wurden, weil sie das "Geheimnis der Atombombe" der Sowjetunion verraten haben sollen.

Lange Jahre glaubten wir, daß unsere Eltern völlig unschuldig gewesen sind. Aber mit der Zeit, besonders als mit dem Ende des Kalten Kriegs neue Fakten bekannt wurden, stellten wir diesen Glauben in Frage.

Heute, 55 Jahre nach ihrer Hinrichtung, haben zwei Enthüllungen zum Prozeß unserer Eltern die heftige Debatte über ihre Schuld neu belebt. Unserer Auffassung nach haben diese Veröffentlichungen – die Freigabe der beschworenen Aussage unserer Tante und eine überraschende Aussage eines Verteidigers unserer Eltern – das Wesen des Prozesses und seine entscheidenden Lehren eher verdeckt.

Viele Amerikaner die heute leben waren noch nicht geboren, als unsere Eltern 1951 für eine Verschwörung zur Spionage vor Gericht standen. Deshalb werden viele von ihnen nicht verstehen, warum dieser Fall einer sensationellsten Gerichtsprozesses dieses Landes bleibt: Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wurden zwei Menschen dafür hingerichtet, daß sie vermeintlich das Geheimnis der Atombombe der Sowjetunion übergeben hätten.

Aus dem Blickwinkel des Amerikas der 1950er Jahre schien es vielen, daß die Rosenbergs unserem Erzfeind die Mittel zur Zerstörung unseres Landes übergeben hätten. Der Richter rechtfertigte die Todesstrafe indem er betonte, unsere Eltern hätten es den Sowjets ermöglicht, die Atombombe früher als erwartet zu bauen, sie hätten so den Koreakrieg und den Tod Tausender US-Soldaten herbeigeführt. "Ich halte Ihr Verbrechen für schlimmer als Mord" sagte der Richter, als er sie zum Tode verurteilte. "Offener, vorsätzlicher, vorbedachter Mord erscheint winzig verglichen mit dem Verbrechen, das Sie begangen haben."

Aber war es tatsächlich so? Hatten sie tatsächlich das sogenannte Geheimnis der Atombombe den Russen übermittelt? Wir haben schon vor langer Zeit die Möglichkeit anerkannt, daß unser Vater an nicht-atomarer Spionage beteiligt gewesen sein könnte. Die jüngste Äußerung des Verteidigers unserer Eltern, Morton Sobell, bestätigt genau das und vor einigen Wochen haben wir erstmals öffentlich erklärt, daß wir heute annehmen, daß sich unser Vater an der Weitergabe militärischer Informationen beteiligt hat.

Aber Sobells Äußerung besagt nichts darüber, ob unser Vater tatsächlich das Geheimnis der Atombombe gestohlen hat – das Verbrechen, für das er hingerichtet wurde. Bis heute gibt es keine glaubwürdigen Beweise für seine Beteiligung an der Aufdeckung und Weitergabe eines solchen Geheimnisses.

Im Gegenteil, die jetzt freigegebenen Protokolle der Grand Jury enthalten interessante neue Informationen über den Prozeß. Zu Beginn der Untersuchung gegen unsere Eltern gestanden David und Ruth Greenglass, der Bruder unserer Mutter und seine Ehefrau, Mitglieder eines Rings von Atomspionen gewesen zu sein. Sie kooperierten in der Untersuchung, im Austausch dafür wurde Ruth nicht angeklagt und gegen David nur relativ geringe Strafe verhängt.

Ruths Zeugenaussage im Prozeß lieferte das entscheidende Beweismittel zur Verurteilung und Hinrichtung unserer Mutter. Sie sagte vor Gericht aus, unsere Mutter habe Notizen abgeschrieben, die das "Geheimnis" der Atombombe enthielten. Diese Notizen sollte David geliefert haben, ein U.S. Army Sergeant ohne Hochschulausbildung, der als Maschinist zum Manhattan Project des Los Alamos National Laboratory in New Mexico gehörte.

Die nun veröffentlichten Protokolle von Ruth Greenglass Zeugenaussage vor der Grand Jury enthalten jedoch nichts über unsere Mutter, die irgendwelche Spionageinformationen abgetippt hätte. Die einzigen Notizen, die in dieser Zeugenaussage erwähnt werden, sind Ruth eigenhändig geschriebenen Notizen, in denen sie die Gebäude in Los Alamos, nicht aber die Atombombe beschreibt.

Erst im Februar 1951, Monate nach ihrer Aussage vor der Grand Jury, machte Ruth eine neue Aussage, in der sie zum ersten Mal, berichtete (wir würden sagen, "erfand"), daß unsere Mutter Davids handgeschriebene Notizen abtippte, in denen die Atombombe beschrieben wird. Konfrontiert mit Ruths Revision ihrer Position widerrief David seine früheren Aussagen, in denen er eine Teilnahme unserer Mutter an Spionageaktivitäten bestritten hatte. Im folgenden bezeugten David und Ruth vor Gericht, daß unsere Mutter Notizen über die Atombombe abgeschrieben habe.

Eine zweite irrwitzige Diskrepanz zwischen den verschiedenen Zeugenaussagen besteht darin, daß sich in Ruths Aussage vor der Grand Jury kein Hinweis auf ein vermeintliches Treffen findet, bei dem David die "Skizze des Geheimnisses der Atombombe" – Beweisstück Nr. 8 – an Julius übergeben haben soll. Vor Gericht haben David und Ruth dieses Treffen beschrieben. Das Beweisstück Nr. 8 war der zentrale Beweis für die Behauptung der Regierung, daß Julius ein solches Geheimnis gestohlen habe. Wenn sich dieses Treffen auch in den Grand Jury Aussagen Davids nicht erwähnt findet – die entsprechenden Protokolle sind bis heute nicht freigegeben, müssen aber zugänglich werden – dann hat der Kern der Anklage der Regierung gegen unsere Eltern einen vernichtenden Schlag erhalten.

Einige Kommentatoren haben sich mehr oder weniger auf den Standpunkt gestellt, daß weder die fehlenden Beweise noch die Widersprüche irgendwie relevant sind. So schrieb Ronald Radosh auf diesen Seiten am 17. September: "Die Rosenbergs waren Sowjetspione – und zwar keine kleinen."

Offensichtlich bleibt unsere Mutter in Radoshs Augen eine Spionin, auch wenn neue Informationen zeigen, daß die Beweismittel gegen sie manipuliert waren, und unser Vater war erfolgreich in der Weitergabe lebenswichtiger Informationen, auch wenn es keine Prüfung des Werts der militärischen oder industriellen Informationen gab, die er, Sobell oder andere übermittelten.

Radoshs Argument lenkt ab vom Kern des Problems: Die US-Regierung hat zwei Menschen für das Stehlen des Geheimnisses der Atombombe hingerichtet – für ein Verbrechen, von dem die Regierung wußte, daß sie es nicht begangen haben.

Die entscheidende Lektion dieser Geschichte ist es, daß unsere Regierung ihre Macht in gefährlicher Weise mißbraucht hat, in einer Weise, die bis heute relevant ist. Die Mächtigen griffen unsere Eltern heraus, sie machten sie zum Ziel der Angst und der Empörung der amerikanischen Öffentlichkeit im Kalten Krieg. Sie manipulierten Zeugenaussagen und Beweismittel. Sie verhafteten unsere Mutter, nur um ein Druckmittel gegen unseren Vater zu erhalten.

Sie setzten die ultimative Waffe ein – die Drohung mit dem Tod – um ein Geständnis zu erpressen. Sie schufen den Mythos, daß es ein "Geheimnis der Atombombe" gegeben habe – und erfanden eine Strategie, um es so erscheinen zu lassen, daß unser Vater nach diesem Geheimnis getrachtet und es weitergegeben hat. Sie richteten unsere Vater hin, weil er sich weigerte, an dieser Lüge mitzuwirken. Sie richteten unsere Mutter hin, obwohl sie wußten, daß sie keine aktiver Teilnehmerin an irgendwelchen Spionageaktivitäten gewesen war.

Dieser Fall enthält eine klare Warnung. Er zeigt Tendenzen unserer Regierungen öffentliche Furcht zu erzeugen und auszubeuten, Bürgerrechte zu zerstören und die Verfahren der Justiz zu manipulieren. In unsere heutigen politischen Situation haben sich die Ziele der Vorwürfe geändert, aber die Taktiken der Mächtigen sind ziemlich die gleichen.

Michael Meeropol ist Präsident der Fakultät für Wirtschaft des Western New England College in Springfield, Massachusetts. Robert Meeropol ist Gründer und Direktor des Rosenberg Fund for Children (www.rfc.org).
Der englische Text ihres Artikels in der LA Times – und weiteres Material – finde sich unter portside.org, Item 008773.

Sebastian Gerhardt | 28.10.08 16:01 | Permalink