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Rettungspakt? Kampfansage!

Große Worte und große Zahlen für den Finanzplatz Deutschland
Von Sebastian Gerhardt

Am Montag, den 27. Oktober 2008, nur 14 Tage nach der Vorstellung, nur zehn Tage nach der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes nahm in Frankfurt am Main der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (www.soffin.de) seine Tätigkeit auf. Er kann Garantien in Höhe von bis zu 400 Milliarden Euro für Geldgeschäfte der Banken untereinander aussprechen und Eigenkapitalzuschüsse bis zu einer Höhe von 80 Milliarden Euro an Banken austeilen. Rasch und kurz entschlossen haben die zuständigen Stellen gehandelt. Es war in aller Öffentlichkeit von der Verhinderung einer drohenden Katastrophe die Rede. Doch nun ist von einer ebenso raschen Nachfrage nach den Unterstützungsleistungen keine Spur. Warum?

Die Kommentatoren versuchen vergeblich, den vermeintlichen Zweck ("Rettung") mit dem Funktionieren des Paktes zu vereinen. Sinnvoller wäre es, nach den tatsächlichen Zwecken der Veranstaltung zu fragen. Dann müßte sich keiner mehr wundern, warum die Deutsche Bank gerade keine Staatsknete haben will – und sich trotzdem für ein Paket ausspricht, daß doch ihre Konkurrenz stärken könnte.

1) Über ein Jahr hatten die maßgeblichen Kräfte der Eurozone ihren Kurs unerschüttert durchgehalten: Immer wieder hatte der EZB-Chef in ihrem Namen erklärt, daß es sich bei der US-Finanzkrise um eine "Normalisierung der Preisfindung von Risiken" handelt. Sie verweigerten sich jeder Senkung der Leitzinsen, erhöhten sie sogar und wiederholten ihre Forderungen nach einer besseren Regulierung der Weltfinanzmärkte, was auf eine Mitsprache der ausländischen, gerade auch europäischen Gläubiger bei dem Spielregeln der US-Finanzmärkte hinausläuft. Zeiten, in denen das Verlangen der EU nach einer strikteren Kontrolle der US-Investmentbanken in Europa durch eine lockere Selbstkontrolle der New Yorker Mutterinstitute beantwortet wurde sollten der Vergangenheit angehören.

Tatsächlich gehören diese Zeiten der Vergangenheit an. Die fünf großen, kaum kontrollierten US-Investmentbanken gibt es nicht mehr: Lehman ist pleite, Bear Stearns ging an JP Morgan, Merill Lynch an die Bank of America, Goldman Sachs und Morgan Stanley haben sich in Geschäftsbanken umgewandelt und damit selbst einer strengeren Aufsicht unterstellt. Eine internationale Abstimmung über neue Regeln für die Weltfinanzmärkte ist angekündigt und soll nach den US-Präsidentenwahlen beginnen. Und die US-Zentralbank, die Federal Reserve, hat am 8. Oktober 2008 erstmals in ihrer Geschichte in einem gemeinsamen Schritt mit den Zentralbanken Kanadas, Großbritanniens, Japans, Schwedens, der Schweiz und der Europäischen Zentralbank ihre Leitzinsen gesenkt. Auch die Zeiten, in denen die USA ganz allein über ihre Geldpolitik entscheiden konnten, sind dahin.

2) Voraussetzung des europäischen Selbstbewußtseins gegenüber den USA ist allerdings die erfolgreiche Kontrolle der Krise diesseits des Atlantik. Die Zuspitzung nach der Pleite von Lehman Brothers traf erstmals auch große Institute in Euroland wie Fortis und Dexia. Die irische Regierung sicherte ihren nationalen Bankensektor mit staatlichen Garantien ab – und prompt trumpfte die deutsche Bundesregierung auf. Nicht etwa als erste, sondern in Reaktion auf Unterstützungsleistungen anderer Euroländer machte sie mit der Unterstützung der HypoRealEstate und der Verkündung einer Einlagengarantie deutlich, daß sie sich beim Einsatz für ihre Banken nicht überbieten läßt. Und als in einer zweiten Runde Angebote zur Stärkung des Eigenkapitals nicht nur in den USA, sondern in Großbritannien, Frankreich und Österreich angeführt wurden – da zeigte sich die Bundesregierung wieder geneigt, keinesfalls hinter den anderen zurückzustehen. Die deutsche Hegemonie in der Eurozone hat einen Preis.

Das deutsche "Rettungspaket" ist allerdings eine ganz andere Veranstaltung als die 700 Milliarden Dollar in den USA. Das sieht man schon daran, daß es keinen großen Zank gab: Es gibt weniger, worum sich zu streiten lohnt. Der Riesenumfang des Paketes ist nicht Hinweis auf die Größe der deutschen Probleme, sondern eine Machtdemonstration: "Guckt mal, wie viel wir uns leisten können, die kleine Bundesrepublik fast soviel wie die große USA!" Tatsächlich sind die Zahlen aber nicht vergleichbar, denn die Risiken im deutschen Programm sind wesentlich kleiner. Auch wenn die Opposition im Parlament gerne über den Finanzminister spottet, leider hatte Steinbrück recht, als er auf die größere Stabilität des deutschen Bankensystems hinwies. Das hat aber weniger mit der Organisationsform zu tun (Universalbanken, drei-Säulenmodell mit öffentlich-rechtlichen, privaten und Genossenschaftsbanken), sondern mit der erfolgreichen Durchsetzung des deutschen Kapitals in den letzten 20 Jahren.

3) Ein letzter Aspekt des verabschiedeten Paketes betrifft die ganz unterschiedliche Wirkung der beschlossenen Maßnahmen für die verschiedenen Bereiche des deutschen Bankwesens. Bisher liegen drei Nachfragen vor: Von der Bayern LB (Platz 7 der deutschen Banken nach Bilanzsumme), der WestLB (Platz 10) und der HSH Nordbank (Platz12) - drei Landesbanken. Das war zu erwarten. Die Bundesbank hat in ihrem Monatsbericht September eine Untersuchung zu den Liquiditätsrisiken und zu den Finanzierungsquellen der deutschen Banken vorgelegt: Keine andere Bankengruppe hat so einen geringen Anteil von Einlagen und Krediten von Nichtbanken wie die Landesbanken: knapp über 20 Prozent. Bei den privaten Großbanken liegt dieser Anteil bei über 30 Prozent, bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken bei über 60 Prozent.(Monatsbericht, S. 61). Einlagen und Kredite von Nichtbanken gelten aber nicht nur als besonders stabile Quelle für eigene Geschäfte der Banken, sie werden auch in höherem Maße von den bereits ausgesprochenen Garantien der Bundesregierung abgesichert. Die Landesbanken sind daher besonders auf weitergehende Hilfen des Staates angewiesen.

Den privaten Großbanken ist es gelungen, im Gesetzgebungsverfahren jede Gleichbehandlung mit der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz zu verhindern. Zwar macht die Umstrukturierung der Finanzmärkte macht auch vor den deutschen privaten Großbanken nicht halt: Von den 5 Instituten, die es noch gibt, werden zwei ihre Selbständigkeit in absehbarer Zeit verlieren: Die HypoRealEstate wird kontrolliert abgewickelt, die Dresdener Bank wird der Commerzbank eingegliedert. Bleiben die Deutsche Bank als mit Abstand größtes deutsches Institut, die Commerzbank, praktisch als Teil des Allianzkonzerns (Siehe Jörg Huffschmids Analyse: http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m3708.pdf), und schließlich die HypoVereinsbank, der deutsche Zweig der italienischen UniCreditGroup, der zweitgrößten Bank Europas. Aber sie setzen auf weitere Privatisierungen, bei denen sie – wie im Falle der Postbank - Anteile im Einlagengeschäft von bisher öffentlichen Banken oder Sparkassen erwerben und für ihre Geschäfte einsetzen können. Dazu soll die Bundesregierung ruhig die Finanzmärkte stabilisieren und auch Institute erhalten. Auf den so stabilisierten Märkten werden sie ihre Vorteile voll ausspielen können. Krisen haben nicht nur Verlierer, sie haben auch Gewinner.

4) In allen drei angeführten Konflikten hat das "Rettungspaket" der deutschen Regierung eine Funktion. In allen drei Konflikten aber geht es nicht darum, etwas zu "retten". Im transatlantischen Kräftemessen, in der Behauptung der deutschen Spitzenstellung in der EU und im Konflikt um die Gestaltung des deutschen Bankwesens – jedesmal handelt es sich um eine Kampfansage: um den offensiven Anspruch des deutschen Kapitals, bei der Neuaufteilung der Weltfinanzmärkte mitzubestimmen und dazu das eigene Vorfeld und Hinterland zu kontrollieren. Die Gesetzgebung zur Finanzmarktstabilisierung hat auch dem letzten zeigen können, daß die Bundesregierung bereit ist, diesen Anspruch zu unterstützen. Deshalb war und ist die Deutsche Bank gar nicht gegen das Gesetz, auch wenn sie selber das Geld nicht braucht.

Deshalb kommen die Sterbesakramente, die dem Neoliberalismus zur Zeit öffentlich erteilt werden, verfrüht: Veränderungen im Kräfteverhältnis der großen kapitalistischen Nationen bedeuten nicht, daß die Bewohner dieser Länder oder des Rests der Welt auch nur ein wenig mehr Einfluß auf ihre Geschicke nehmen könnten. Zwar sind zaghafte Stimmen zu vernehmen, die sich mit keynesianischen oder halbkeynesianischen Konjunkturprogrammen als Reparaturkolonne für den Krisenfall empfehlen. Doch etwas fehlt nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit: die Forderung nach einer demokratischen gesellschaftlichen Kontrolle der ganzen Wirtschaft. Sie muß fehlen, denn außerhalb von esoterischen Zirkeln kann sie nur als Element eines Versuchs zur Selbstbefreiung der arbeitenden Klasse in Stadt und Land, in Fabrik und Küche entstehen. Proteste gegen die Umverteilung von unten nach oben sind unerläßlich. Am 30. Oktober ist Gelegenheit dazu.(http://www.labournet.de/GewLinke/profile/berlinbanken.pdf) Doch ohne eine tiefgreifende Änderung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen haben sie keine Aussicht auf Erfolg.


Sebastian Gerhardt | 28.10.08 16:05 | Permalink