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Sound of Art

von Jürgen Schneider

Zur Ausstellung »Sound of Art – Musik in der bildenden Kunst«

Salzburg hat etwas Schönes – den Mönchsberg. Schön ist der Berg, weil es keiner Kletterei bedarf, um hinauf zu gelangen. Es gibt einen Aufzug, und der führt zum hoch über der Mozart- und Festspielstadt gelegenen Museum der Moderne. Als sollten die Besucher akustisch auf die dort bis zum 12. Oktober zu sehende Ausstellung »Sound of Art – Musik in der bildenden Kunst« eingestimmt werden, mischt sich im Aufzug dessen leises Rumpeln mit den aus dem Deckenlautsprecher rieselnden Klängen aus der Frühzeit der österreichischen DJ-Ikonen Kruder und Dorfmeister.
Die Ziele von »Sound of Art« sind hochgesteckt. Es »geht um das Objekt ›Musikinstrument‹ und um dessen kulturelle Symbolbildung, es geht um den Vorgang des Musizierens und seine performativ körperlichen Qualitäten über die eigentliche Musik hinaus.

Die Ausstellung dreht sich um die Spannung der Geschlechter gegenüber der Resonanz der Instrumente. Die große Frage der Harmonie ist zu klären und die Frage, ob uns Musik vom Alltag entfernt oder ihn uns erst verstehen lässt. Es geht auch ganz grundlegend um die Demokratisierung von Kultur, um das Verhältnis von Hochkultur und populärer Musik und darum, wie sehr diese Differenz gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelt.« Das Musizieren und die performativ körperlichen Qualitäten werden anhand von Karikaturen auf das Virtuosentum des »Teufelsgeigers« Niccolò Paganini aus dem 19. Jahrhundert illustriert. Zeichnungen und Fotos zeigen das »Festgeschnalltsein« braver höherer Töchter an ihre Instrumente: Klavier oder Violine. Als Gegenentwurf dazu wird die Cellistin Charlotte Moorman präsentiert, die 1967 erstmals in der Aufführung der »Opera sextronique« des Koreaners Nam June Paik halbnackt auftrat. Moormans Körper wurde ununterscheidbar vom Instrument. Sextronique durfte nicht sein: Die Cellistin und Paik wurden von der New Yorker Polizei festgenommen.
Die Frage der Harmonie bleibt in der Ausstellung ebenso ungeklärt wie die nach der Demokratisierung von Kultur. Welche Ausstellung sollte das auch leisten können? Obwohl, unter Einbeziehung so unterschiedlicher künstlerischer Positionen wie die eines Brian Eno, der Tödlichen Doris, von Throbbing Gristle, Carsten Nicolai oder Michaela Mélian hätte die Gewichtung auf Hochkultur mühelos verschoben werden können.
Der Ausstellungstitel verweist auf den US-amerikanischen Musik-Film The Sound of Music aus dem Jahre 1965. Die filmische Geschichte der Salzburger Trapp-Familie zieht bis heute Touristen aus aller Welt an die Originalschauplätze. Der Ausstellungsbesucher stößt zunächst auf ein Video des Salzburger Künstlers Erik Hable mit »neuen, unerwarteten Klang- und Tonsequenzen aus dem künstlerisch transformierten Originalfilm«, wie es im Medieninfo des Museums heißt. Weil es zu hell ist, sieht man auf dem Flachbildschirm wenig und hört noch weniger, weil der Dezibeloutput minimiert ist und ein Besucher nebenan die Mitte der 1960er Jahre entstandene »Krachmaschine« (Nägel in Waschmaschine) von Günther Uecker lospoltern lässt, die zur Werkgruppe »Terrororchester« gehört. 1963 schlug Uecker in Paris Nägel in ein Piano und brachte mit jedem Hammerschlag dessen Saiten zum Schwingen. Jetzt steht das Piano stumm in der Ausstellung, nicht jedoch das Fernsehgerät, in das Uecker einst zum Entsetzen der Zuschauer ebenfalls Nägel trieb. »Das ist Geschichte. Damals konnte man mit so etwas provozieren«, merkte der Künstler beim Medienrundgang an. In der thematisch gegliederten Ausstellung geht es weiter mit dem Futurismus bzw. mit Nachbauten der »Intonarumori« (Geräuscherzeuger) von Luigi Russolo. Diese Klangkörper sollten »die musikalische Poesie der Technik« artikulieren. Der Dadaismus, der sich der Lautmalerei und der Alltagsgeräusche ebenso annahm wie die Futuristen, wird lediglich im fotokopierten »Saaltext« erwähnt. Sowohl futuristische wie dadaistische Avantgarde stehen für die programmatisch überwundene Gattungsästhetik der Teilung von Sicht- und Hörbarem. Thematisch hätten an dieser Stelle auch die Maschinen- und Fabriksound-Performances sowjetischer Avantgardisten einen Platz gehabt. Doch wir stoßen hier auf Wolf Vostells »Symphonie für 40 Hoover-Staubsauger«. Vostell, einer der Vertreter der Fluxus-Bewegung in Deutschland, bezieht sich mit seinem Staubsauger-»Orchester« auf die Säuberungsaktionen des US-amerikanischen FBI unter dem Kommunisten-Hasser J. Edgar Hoover.
Mit »Sara Jevo 3 Fluxus Pianos« verarbeitete Vostell seine Anfang der 1990er Jahre in Sarajevo gesammelten Kriegseindrücke. Die vier Kettensägen, die sich schon ein paar Zentimeter in die Tastatur eines der Pianos gearbeitet haben, hängen nicht am Stromnetz.

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Auch Fluxus muss einmal aufhören zu fließen bzw. zu sägen. Der Künstler ist tot, und die Erbengemeinschaft hat beschlossen, das »Sara Jevo«-Ensemble zu erhalten. Von Sarajevo geht es weiter ins »Kinderzimmer«, wo die Kleinen und die Großen, denen der Spieltrieb noch nicht abhanden gekommen ist, Nudelwalker über den Tisch rollen, mit auf den argentinischen Allroundartisten Mauricio Kagel zurückgehenden Klappersandalen umherspazieren oder in Papierstreifen ihre eigene Spieluhrenweisen stanzen können.
Im nächsten Stockwerk treffen wir wieder auf Kagel und seinen Film »Ludwig van«, dessen Projektion jedoch Opfer der wiederum zu hellen Ausleuchtung des Raumes wird. Ausgehend von seiner Komposition, dem »silent piece« »4’33’’«, wird der von Marcel Duchamp beeinflusste und dem künstlerischen Prinzip des Zufalls verpflichtete John Cage vorgestellt und sein Einfluss auf die Künstler der Fluxus-Bewegung aufgezeigt. Ein ganzer Raum ist dem genialen Dilettanten Karl Valentin vorbehalten. Der Autodidakt beherrschte 12 Instrumente. Auf seinem selbstgebauten Orchestrion von 1903 konnten 20 Instrumente gleichzeitig gespielt werden. Auf dem Foto »Oktoberfestschaubude« ist neben Valentin und seiner ebenso genialen Kollegin Liesl Karlstadt Bertolt Brecht mit einer Klarinette zu sehen. Und wer dachte, dass die Bayernhauptstadt ein Monopol auf ihren Karl hat, der irrt. Der Nachlass, aus dem die in Salzburg gezeigten Valentin-Schmankerl stammen, befindet sich in Köln.
Von Valentin, der in dem bekannten Sketch »Im Schallplattenladen« statt Platten mit Musik oder Gesang Platten »nur mit Schall, mit billigem Schall« verlangt, geht es zu den Schallplatten. Vorgestellt werden der Prager Künstler Milan Knizak, der ab 1965 begann Schallplatten zu durchbohren oder zu übermalen, sowie Christian Marclay, der Platten zerschneidet und neu zusammensetzt. Auf einem Video von 1985 ist Marclay mit seiner Phonogitarre zu sehen, einem Plattenspieler, auf dem er Hendrix-Scheiben abspielt und die Bewegungen des Gitarrenvirtuosen nachahmt. Dass bildende Künstler(innen) auch das Plattencover zum Gegenstand künstlerischer Gestaltung mach(t)en, wird an Hand weniger, recht willkürlich ausgewählter Beispiele demonstriert. Man hätte – ein paar ebenso willkürliche Beispiele seien erlaubt –, Andy Warhols Plattencover für Velvet Underground zeigen können und auch die Aufzeichnungen von dessen »Exploding Plastic Inevitable«-Veranstaltungen rund um die Konzerte der Band, das Cover des Albums »Daydream Nation« von Sonic Youth mit der Kerze von Gerhard Richter oder die Plattenhüllen, die der von den Situationisten beeinflusste britische Künstler Jamie Reid für die Sex Pistols schuf.
Im Obergeschoss wird die Fluxus-Bewegung vorgestellt und exemplarisch dafür Joe Jones präsentiert, dessen im Raum hängende Instrumente der Besucher zum Klingen bringen kann. Warum nicht auf die umfassende Fluxus-Sammlung von René Block zurückgegriffen wurde, bleibt ein Rätsel. Selbst bei dem gezeigten Multiple »Ur-Klavier«, eine Gemeinschaftsarbeit von Nam June Paik und Joseph Beuys, fehlt der Hinweis, dass es aus der Edition Block stammt.
Drei Werke von Rebecca Horn, die durch die Verknüpfung mit Bewegungsmeldern auf den Besucher reagieren, sind in der Ausstellungssektion »Musikautomaten« zu sehen.

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Parallel zu »Sound of Art« zeigt das Museum der Moderne im Rupertinum eine repräsentative Auswahl aus Horns Œuvre, darunter neue Zeichnungen, die filigrane Klangskulptur »Zimbel Zen« (2006) und die Messerapparatur »Knuggle Dome for James Joyce« (2004), die auch das Motiv des Ausstellungsplakats ist. Eine schöne Koinzidenz. Joyce hat sich vor 80 Jahren sechs Wochen lang in Salzburg aufgehalten und unter anderem Stefan Zweig in dessen Villa Europa am Kapuzinerberg besucht.
Rebecca Horn wird auch die Inszenierung von Salvatore Sciarrinos Oper »Luci mie tradici« ausstatten, die am 3. August im Rahmen der Salzburger Festspiele Premiere haben wird.
Musikwerke, so heißt es im Katalog zur Ausstellung, seien erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Automaten eingebaut worden. Wer jedoch die einem Viehauftrieb gleichende Führung durch die Wasserspiele des Salzburger Lustschlosses Hellbrunn nicht scheut, hört dort in einer künstlich angelegten Grotte Vogelstimmen, die seit 400 Jahren durch eine Wasserdruckautomatik erzeugt werden.

Sound of Art, Museum der Moderne Mönchsberg, Salzburg, bis 12.10.2008, Katalog (Verlag der Bibliothek der Provinz) € 33.00
Rebecca Horn, Love and Hate, Museum der Moderne Rupertinum, Salzburg, bis 21.09.2008, Katalog (Museum der Moderne) € 15.00

Abb.:
Wolf Vostell, Sara Jevo Fluxus Piano, 1994 (Detail); Foto: Jürgen Schneider
Rebecca Horn, Knuggle Dome for James Joyce, 2004; Foto: Gunter Lepkowski
© Rebecca Horn, © VBK, Wien, 2008

natter | 31.07.08 23:18 | Permalink