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Die Wüste wächst, Teil 2

Auf den taz Artikel „Erfurter Raufasertapete“ über die kulturelle Wüste in Erfurt, gab es in der dortigen Medienlandschaft prompte Reaktionen, die lokalen Radio- und TV-Stationen berichteten darüber und die Tageszeitung „Thüringer Landeszeitung (TLZ)“ veröffentlichte einen größeren Artikel unter der Überschrift „Totsparen der Kleinen?“. Dort wurde auch der ehrenamtliche Kulturbeigeordnete der Stadt Erfurt Karl-Heinz Kindervater nach der mangelnden Unterstützung für Kunst- und Kulturprojekte befragt. Er verteidigte die desaströse Kulturpolitik der Stadt und meinte, dass man dem Kunsthaus, dem jegliche finanzielle Unterstützung gestrichen wurde, „kein Geld hinterher werfen sollte".
Wo stattdessen viel Geld hinterhergeworfen wird ist schnell auszumachen.

Zum diesjährigen Kulturjahrthema: „200 Jahre Erfurter Fürstenkongress 1808-2008“ werden mehrere hunderttausend Euro an Fördergeldern ausgegeben. Davon allein 97.100 Euro für die Multimedia-Inszenierung „Versammlung der Geister“ am 6. September auf den Domstufen. Im Pressetext zum geplanten Spektakel mit Musik, Licht und Effekten heißt es „Während des Fürstenkongresses 1808 kommt es zu einem verbürgten Treffen zwischen Napoleon und Goethe. Der Kaiser lässt sich von Monsieur Gäth, wie er ihn nennt, beeindrucken. Der Dichter bewundert Napoleon und wird ihn Zeit seines Lebens gegen alle Angriffe verteidigen. Im Jahr 2008 kommen die Geister der Herren Napoleon und Goethe wieder zusammen, diesmal auf den Domstufen. Der Geist Goethes kommt in Erinnerung an das Lob auf den Dichter, das er von Napoleon 1808 in Erfurt vernahm. … Beide Geister sind auf der Suche. Sitzen nun auf den Domstufen, sind vergeistigt in ihren Erfahrungen, … So beginnt ein Dialog der beiden Geister mit viel Witz, Wissen und Information.“
Nach der Geisterbegegnung findet ab dem 14. September eine sechswöchige Ausstellung mit dem Titel „Feine Leute: Mode und Luxus zur Zeit des Empires“ im Erfurter Museum für Thüringer Volkskunde statt. Dafür wurden von der Stadt 135.000 Euro Fördergelder vorgesehen. Die Ausstellung will Angehörige der Oberschicht zeigen, wie sie damals ihre Häuser und sich selbst ausstatteten. In der Ankündigung ist zu lesen: „Der Kontrast, der sich solchermaßen auftut zum Leben der Kleinen Leute, denen die Dauerausstellungen des Museums gewidmet sind, ist gewollt und Bestandteil des Konzeptes. Opulenz in der Ausstattung der Exposition sollen hochkarätige Leihgaben aus Paris, Petersburg, Wien, Berlin und anderen Orten garantieren“.
Für die fünfmonatige Ausstellung „4000 Jahre Gastgewerbe“ im Stadtmuseum wurden 125.000 Euro in Aussicht gestellt. Auch diese Show kommt an Goethe nicht vorbei: „ Wussten Sie, dass Goethes Großvater Gastwirt war und Schiller ständig was auf dem Kerbholz, nämlich Zechschulden, hatte? Oder wie eine Menschenfressergabel oder ein Brot aus der ältesten Betriebskantine der Welt aussehen? Erstmals widmet sich eine Ausstellung der Gastgewerbe-Historie über Jahrtausende hinweg. Mit zum Teil einmaligen Objekten verschiedener Kulturkreise bekommt der Museumsgast Einblicke in die Anfänge des Gastgewerbes, dessen Besonderheiten, dessen skurrile und unbekannte Seiten.“
Zum Vergleich, die eingestellte jährliche Förderung der Stadt für das Kunsthaus Erfurt betrugen für Personal- und Sachkosten 42.000 Euro. Oder das leerstehende Schauspielhaus. Die „Initiative Neues Schauspiel Erfurt“ kämpfte schon vor Jahren darum, das alte Gebäude wieder zum Leben zu erwecken. Der Hamburger Architekt der neuen Erfurter Oper, Prof. Jörg Friedrich, meinte Ende 2004 „Eine Stadt wie Erfurt braucht sowohl ein Schauspielhaus als auch eine Oper“. Eine Bespielbarkeit des Schauspielhauses könnte durch eine Investition von 1,5 Millionen Euro ermöglicht werden.
Dieser Tage trafen sich Kulturschaffende aus Erfurt zu einem ersten Treffen um das Bewusstsein für zeitgenössische Kunst zu schärfen und Perspektiven zu diskutieren. Auch gingen sie der Frage nach, wie der einseitigen Vergabe von Kulturgeldern in Erfurt entgegenzutreten ist und ein Sterben der wenigen unabhängigen Initiativen gestoppt werden kann. Ideen gibt es reichlich, umgesetzt werden können sie nur gemeinsam. Unterstützung erhalten sie auch von Stadträten, die mit der momentanen Situation ebenso unzufrieden sind, politisch muss das in der Berufung eines neuen Kulturbeigeordneten münden und eine neue Strategie der kulturellen Entwicklung Erfurts aufzeigen.

natter | 21.07.08 21:59 | Permalink