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Punk - No One is Innocent

So der Titel der aktuellen, bis zum 7. September laufenden Ausstellung in der Wiener Kunsthalle. Kein gutes Ohmen, bezieht er sich doch auf die 5. Single der Sex Pistols, sie erschien im Juni 1978 nach dem Weggang von Jonny Rotten und leitete das Ende der Pistols und der ersten Punkgeneration in England ein.
Im Pressetext zur Wiener Ausstellung heißt es: „Aus der Distanz von dreißig Jahren belegt die Ausstellung am Beispiel der drei Metropolen New York, London und Berlin, wie unterschiedlich und doch konsistent Punk als Metapher der Revolte in verschiedenen Kulturräumen auf Musik, bildende Kunst und den Look der Jugendlichen wirkte. Während er in England vor allem ein Stil- und Modephänomen war, gab es in den USA und in Deutschland von Beginn an eine enge Beziehung zwischen Künstlern und Punk-Musikern.“ Mit Berlin ist hier natürlich Westberlin gemeint, „Punk in Berlin konnte sich nur im Schatten des kommunistischen Bollwerks entwickeln“, so der Kurator Thomas Mießgang. Punk in Ostberlin hat es für ihn nicht gegeben, der einzige der bei der Wiener Ausstellung darauf hinweist ist Wolfgang Müller von der tödlichen Doris in seinem Katalogtext.

Leider präsentiert die Ausstellung nur bekannte Namen, Derek Jarman, Malcolm McLaren, Genesis P-Orridge, Jamie Reid, Jon Savage, Vivienne Westwood, Stephen Willats, Vito Acconci, Richard Hambleton, Bill Woodrow, Richard Kern, Robert Longo, Alan Vega, Arturo Vega, David Wojnarowicz, Elvira Bach, Jörg Buttgereit, Einstürzende Neubauten, Luciano Castelli, endart, Die tödliche Doris, Manfred Jelinski, Walter Gramming, Hormel & Bühler, Malaria!/Mania D, Martin Kippenberger, Maye & Rendschmidt, Notorische Reflexe, Salomé, Wolkenstein & Markgraf, Yana Yo.

Die Ausstellung reduziert Punk auf Mode, Musik und Kunst. Dabei hatte Punk mit Kunst nichts im Sinn, nur andersherum. Das wissen auch die Künstler, jedenfalls die die sich erinnern können. Wie Wolfgang Müller der im schon erwähnten Katalogtext im Abschnitt Punk trifft Kunst klar die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beschreibt. „In der Westberliner Oranienstraße liegt auch das SO 36, der Kreuzberger Punkclub. Hier tritt Pächter Martin Kippenberger 1978 in einen verhängnisvollen, aber inzwischen legendären Dialog mit der Jugend. Als er die Getränke- und Eintrittspreise erhöht, gerät er mit „Ratten-Jenny“ ins Gehege. In der Folge dieser Auseinandersetzung demoliert sie sein Gesicht. Er dokumentiert sein bandagiertes Antlitz und nennt das Werk: Dialog mit der Jugend. Anschließend zieht er nach Paris, wo die Kunst nicht so heftig mit dem Punk kollidiert. Eigentlich führt Kippenberger den ersten direkten Dialog zwischen Kunst und Punk: Ratten-Jenny ist nämlich nur drei Jahre jünger als er.“

Die Ausstellung ist dann auch so museal, wie befürchtet. Die Stadtnamen London, New York, Berlin prangen in überdimensionalen Kartoffeldrucklettern an den Wänden. Gitarrensound verliert sich in der Kuppel der Kunsthalle. Abgebrauchte Plattencover der gecasteten Boygroup Sex Pistols werden in einer Klimavitrine aufgebahrt, wie auch die erste Ausgabe des Fanzines Sniffin Glue. Bilder von Sue Catwoman, ein Punk-Role-Model aus dem Londoner Bromley Contingent und von Lydia Lunch, der einflussreichen feministischen Musik- und Performance - Ikone aus New York werden in Rahmen vorgeführt und das Schlagwerk der Einstürzenden Neubauten kann durch eine Kordel geschützt aus der Ferne betrachtet werden.
Schautafeln klären über die „Mutter“ des Punks Vivienne Westwood und anderer vorgeblicher Helden auf. Modeartikel von Vivienne Westwoods liegen in Vitrinen, die sich schon 1976 kein Punk leisten konnte. Eine Installation von Bill Woodrow zeigt eine demolierte Autotür mit Schusswaffe, daneben stehen Skulpturen von Genesis P-Orridge, wie ein weiblicher von blutigen Tampons behängter Torso. Arbeiten von Arturo Vega sind zu sehen, von dem das Ramones-Logo stammt und Bilder von Elvira Bach und Salome, die mit Punk auch nur soviel zu tun hatten wie die nächste Polizeiwache am Kreuzberger Moritzplatz.
Es scheint so als sollte die Kommerzialisierung von Punk, die schon 1977 in England als effektivste Waffe gegen Punk eingesetzt wurde, als das Ursprüngliche verkauft werden. Der Kurator Thomas Mießgang bemerkte zum Fehlen der politischen Aktionen der Punkbewegung in der Ausstellung: „Es ist sofort langweilig geworden wenn Punks sich in die Politik eingemischt haben“.
Da der Kurator augenscheinlich nichts von ähnlichen Ausstellungen der letzten Jahre gelernt hat, sind sie hier nochmal im Schnelldurchlauf.

Da wäre nach Teipels Buchveröffentlichung „Verschwende Deine Jugend“ die Ausstellung „Zurück zum Beton“.
Die Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf lief vom 7. Juli bis 15. September 2002 und wurde von Ulrike Groos, Peter Gorschlüter und Jürgen Teipel kuratiert. Der Eingangsbereich der Ausstellung wurde mit Neonröhren ausgeleuchtet im Stile der Kneipe Ratinger Hof in Düsseldorf. Im ersten Raum waren die Wände mit Flyern, Fotos, Plakaten, Coverentwürfen, Fanzines, Collagen beklebt. Meist handelt es sich bei den Exponaten um Fotokopien, zwischendrin immer wieder Originale hinter Plexiglas. Es gab die Möglichkeit einen Teil der damals erschienenen Fanzines zu fotokopieren, dazu befand sich im Ausstellungsraum ein Kopiergerät. Als Raumteiler fungieren zwei Schauwände mit Originalplatten. Eine Auswahl von LPs und Singles, die an Drähten von der Decke hingen. Dabei einige rare Stücke, wie der SO 36 Sampler im Metallcover. Hinter den beiden "Plattenwänden" hingen gerahmte Fotos. Es waren Vitrinen aufgestellt, mit Buttons und Demotapes. Der Raum wurde mit Punkmusik untermalt und an CD-Spielern konnten unveröffentlichte Demo-Tapes gehört werden.
Im zweiten Raum standen selbstgebastelten Sequenzer und Rhythmusmaschinen wie den Duo-Multivibrator-Simultanhickhack, ein von Frieder Butzmann und Peter Ludäscher gebauter Tongenerator und Tonsignalzerhacker oder den Brontologic, einer der ersten Musikcomputer, gebaut von Werner Lambertz und Kurt Dahlke/ Pyrolator. Aber auch ganz normale Instrumente, wie die Gitarre von Jürgen Engler, Casio-Keyboards oder Effektgeräte. Und das Schlagwerk der Einstürzenden Neubauten inklusive ihres Maskottchens, welches jetzt auch wieder in Wien zu sehen ist. Ergänzt wurde der Ausstellungsraum mit Monitoren, auf denen es Dokumentationen, Konzertmitschnitte und Interviews gab. Zentral stand ein Original-Bühnenbild von Der Plan, sowie die Vorlage für die "Da vorne steht eine Ampel" Single der Band, beides entworfen von Moritz R.. Es folgte eine Wand mit Hunderten von Polaroid-Fotos mit Schnappschüssen von Konzerten und Partys. In drei aufgestellten Containern konnte man auf Monitoren weitere Dokumentationen, Konzertmitschnitte und Super-8 Filme sehen.
Ulli Putsch, der Schlagzeuger der Solinger Punkband S.Y.P.H., von denen die Zeile "Zurück zum Beton" stammt, war mit der Ausstellung nicht zufrieden und hat im Internet seinen Unmut geäußert: "Die Ausstellung entrückt einen Teil der jüngeren Kulturgeschichte ungewollt in die Historie. Als Beteiligter kam ich nun in die Ausstellung und empfand sofort erst mal Ekel. Da kamen mir Schickimicki-Muttis im Abendroben-Outfit entgegen und fanden alles super toll. Die dazugehörigen männlichen Abbilder mit dem Blick: `Ich weiß zwar nicht, was hier abgeht, aber die anderen sind ja auch da und finden es toll. Da mach ich auch mal besser mit.' Genau die ekelhafte Klientel mit der ich damals schon nichts zu tun haben wollte. Und diese Typen laufen durch die Ausstellung und tun beschaulich und fachkundig. Für mich zum Kotzen."

Nach Düsseldorf musste Westberlin nachlegen, „Lieber zu viel als zu wenig“, so der Titel der Kreuzberger Ausstellung im Sommer 2003. Er bezog sich auf das Motto des ZickZack Labels von Alfred Hilsberg „Lieber zuviel als zuwenig veröffentlichen“. Die Ausstellung drehte ungewollt den Satz um. Dem Retro-Hype wollte sich die NGBK entziehen indem sie die Zeiten des Punk nach der Wechselwirkung zwischen Bildender Kunst, künstlerischer Aktion und Musik befragen wollte. Als Anlass diente das 25 Jährige Jubiläum des Konzertortes SO 36. Im Vorfeld fetzte sich die Kuratoren-Gruppe zusehends, das Konzept wurde immer wieder umgeschmissen. Auch die angedachte Einbeziehung von Punk und Subkultur aus der DDR schrumpfte bis zur Unkenntlichmachung immer weiter.
Am Eingangsbereich befand sich eine Diaprojektion von Plattencovern, weiter ging es durch eine mit spitzen eisengrauen Schaumstoffelementen ausgekleidete Blackbox. Dort war die Musik zu hören, die sich hinter den Plattenhüllen verbarg.
Dann ging’s in den schlauchförmige Raum des NGBK, dominierte von der einzigen Malerei der Ausstellung: Bernd Zimmers 27 x 3 Meter großes Bild U-Bahn, 1/10 Sek. vor der Warschauer Brücke aus dem Jahr 1978. Das Bild führte zu einer wandfüllenden Innenansicht des S.O.36 nach einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Dem Bild gegenüber hingen Ausgaben des von HdK-Studenten herausgegebenen Fanzines GEPEIN.
Am Ende des Raumes stand eine zweite Blackbox. Dort ließen sich die am Eingang abgespielten Titel noch einmal abrufen, während eine Dreifachprojektion 243 kolorierten und collagierten Dias an die Wand projizierte, eine1978 entstandenen Arbeit von Bettina Sefkow mit dem Titel PHANTOME. In der Blackbox liefen Super 8-Filme, diesmal auch mit Ostbeteiligung.
Gegen die ursprüngliche Intention der Kuratoren stellten sie das einzige Objekt der Ausstellung "Chöre und Soli", ein Abspielgerät für Miniphonplatten der Künstlergruppe Die Tödliche Doris in eine Glasvitrine und es wirkte wie befürchtet wie ein abgelegtes Sammlerstück, das überhaupt nichts mehr von der seltsamen "Chöre&Soli"-Musik vermitteln konnte.
Neben der Vitrine hingen Fotoarbeiten von Fetting, Kippenberger, Wachweger - das Triptychon magisch anmutender Kampfmasken, die mit Aggressivität und Kraft aus dem Dunkel herauswachsen. Die Performerin Anne Jud war mit einer Fotoserie vertreten, die sie im S.O.36 aufnahm. Sie hatte sich dort 1978 für eine Nacht in schwarzer Latexmontur einschließen lassen.
Der versteckte Untertitel der Ausstellung hieß „ Kunst, Musik, Aktionen zwischen Hedonismus und Nihilismus (1976-85)“. Also Glück gehabt, es hatte also doch nichts mit Punk zu tun.

Der Osten brauchte etwas länger und huldigte 2005 in einer maroden Fabrik in Berlin, Prenzlauer Berg mit „too much future“ den Punk in der DDR von 1979-89. Das vierköpfige Kuratorenteam, bestehend aus Aktivisten der Punk- und Subkulturszene der 1980er Jahre, war sich schnell einig was es nicht wollte. Vitrinen waren genauso verboten wie die originalen Bilder hinter Glas zu stecken (wurde fast eingehalten). Die drei Stockwerke des Fabrikgebäudes wurden mit einer Ausstellungsarchitektur versehen die mit russischer Avantgarde, Dada und Bauelementen der DDR-Zeiten spielte, wie dem abgerissenem Ahornblatt. Peter Lang schrieb dazu im Ausstellungskatalog „Verweise auf Ostarchitektur in der Ausstellung betonen nicht nur den realen, egalitären `Plattenbau´ – Lebensraum, aus dem Ostpunk erwuchs, sie sind auch Hinweis auf eine Lebensweise in der Norm, aus der es auszubrechen galt.“
Die Ausstellung war in verschiedene Cluster unterteilt. Am Eingang der Räume sagte John Peel Punk-Hits an, es lief eine Peel-Session aus dem Jahr 1979, dem Entstehungsjahr von Punk in der DDR. Hunderte Dias wurden an eine Wand des Eingangsbereiches projiziert, Fotos die viele „Ex“punks zur Verfügung gestellt hatten, daneben hingen großformatige Porträts von Frauen und Männer der DDR-Punkszene, aufgenommen Anfang der 1980er Jahre und 2005. Es folgte eine Wand mit „Amateurfotos“ vom Leben der Punks in der DDR, daneben eine Wand mit aufgezogenen Farbfotos der Westberliner Fotografin Ilse Ruppert. Sie bereiste Anfang der 1980er Jahre Ostberlin und fotografierte Punks so wie es in der DDR nicht gemacht wurde, in Farbe und gestellt. Einzelne Fotos wurden in Westberliner Zeitschriften veröffentlicht, woraufhin die abgelichteten Punks von der Staatssicherheit besucht wurden. Daneben gab es einen Raum von Schwarz-Weiß Fotos der Fotografen Helga Paris, Christiane Eisler und Harald Hauswald, die in ihrer ganz eigenen Art Punks begleiteten. Im hintersten Raum des Erdgeschosses wurden Songs der DDR-Punkbands gespielt, an den Wänden hingen Fotos von Bandauftritten. Im Treppenhaus in die Ecke gedrängt gab es Texte zum unappetitlichen Thema Nazipunks. Ein kleiner Raum, der durch eine Treppe zum ersten Stock führte, wurde Mita Schamal und Flanzendörfer gewidmet. Ein Versuch wie Punk und Kunst zusammen funktionieren konnte. In kreativen Jahren schufen sie Bilder, Texte, Künstlerbücher und Super 8-Filme. Flanzendörfer beendete vor dem Ende der DDR sein Leben. Im ersten Stock gab es Wände wo das Leben und die Kunst der Punks und ihrer befreundeten subkulturellen Nachbarn nach Städten oder Projekten aufgeteilt sichtbar wurden. Da reihen sich Holzschnitte von Ralf Kerbach und Cornelia Schleime an Fotos von Schleim-Keim, Super 8-Filme aller wichtigen Filmemacher dieser Zeit, Dokumente der Musikprojekte der Lippok Brüder hingen neben Faltrollos vom Intermediafestival 1985 in Coswig. Eine legendäre Ausstellung in der Erfurter Kürschnergasse aus dem Jahr 1984 wurde nachgestellt, Bilder von CD Spinne. Matthias Schneider Kult neben Fotoreihen der Erfurter Künstlerinnengruppe. Daneben Arbeiten von Matthias Baader Holst und Moritz Götze und eine auf Packpapier gemalten Bilderreihe der 1987er Ausstellung von AG Mauerstein. Es folgte ein dunkler Raum, indem es eine Mehrfachprojektion, eine Art Collage von Film- und Musikzusammenschnitten zu erleben gab. Die Originalaufnahmen stammen von Punks und wurden zu dieser Ausstellung das erste Mal gezeigt.
Die letzten Etage widmete sich dem Thema Stasi. Dort wurde der Unterschied zwischen Punk im Osten und Westen am deutlichstem. Im Westen konnte man mit einer wilden Single in die Charts kommen, im Osten in den Knast. Im Westen wurden Punks von Touristen fotografiert, im Osten von der Stasi. Das wurde dokumentiert durch eine Vielzahl von Stasiakten, Schulungsmaterial und Observationsfilmen.

Auch bei dieser Ausstellung blieb die Frage, was hatte Punk mit Kunst zu tun. Zwei Antworten dazu. In einem Interview im ND von 2005 antwortete der Erfurter Punk und Künstler CD Spinne „Ich mache aus mir ein Bild und dann starte ich durch, indem ich noch weitere Bilder mache.“ Der Dichter Bert Papenfuß schrieb im Katalog zur NGBK-Ausstellung: "Punk war gegen Kunst. So wie man gegen das Gekünstelte des Art- und Bombast-Rock war, wurde Bildende Kunst als Kunstkacke, und deren Macher bestenfalls als Wichser angesehen. Der Straßenpunk war nur Punk, er pflegte proletarischen Anti-Intellektualismus."

natter | 15.06.08 23:02 | Permalink