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Nie wieder schreiben

Noch immer sitzen Florian, Axel und Oliver sowie Andrej im Moabiter Untersuchungsgefängnis. Ihnen, wie auch drei weiteren Beschuldigten aus Berlin und Leipzig wird vorgeworfen, Mitglieder der militanten gruppe (mg) zu sein. Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erließ am 1. August Haftbefehle gegen die drei in Brandenburg sowie den in Berlin Festgenommenen. Gegen die sieben Leute läuft seit 2006 ein von der Bundesanwaltschaft geführtes Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a.
Zwei angebliche konspirative Treffen sind in der Argumentation der Karlsruher Strafverfolger nicht nur konstitutiv für den Terrorismusvorwurf, sondern die einzige Verbindung zwischen den in Brandenburg Festgenommenen und den in Berlin verhafteten Beschuldigten.
Die Verdachtsmomente gegen den inhaftierten Berliner Wissenschaftler und Journalisten Andrej H. und den anderen 3 Berlinern ist an Absurdität kaum zu überbieten. Ihnen werden in den Zeitschriften telegraph und junge Welt veröffentlichten Texte und ihre wissenschaftliche Arbeit vorgehalten.

In der Anklageschrift heißt es dazu: „Eine veröffentlichte wissenschaftliche Abhandlung enthält Schlagwörter und Phrasen, die in Texten der „militante(n) Gruppe (mg)“ gleichfalls verwendet werden. Die Häufigkeit der Übereinstimmung ist auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich.“ … „Als promovierter Politologe ist er zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der „militante(n) Gruppe (mg)“ zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen.“

Über den Stand der Ermittlungen gibt Wolfgang Kaleck Auskunft. Er ist Anwalt und Vorsitzender des Republikanischen Anwaltsvereins RAV und vertritt im aktuellem 129a Verfahren einen der Angeklagten.

Herr Kaleck, wie ist der aktuelle Ermittlungsstand?

Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfes nach $129a Strafgesetzbuch dauern alleine aufgrund ihres immensen Umfanges ihre Zeit. Wegen der Inhaftierungen von vier Beschuldigten gilt allerdings das sogenannte Beschleunigungsgebot, es sollte also alles schneller gehen, sonst riskieren die Strafverfolger, dass eine Gericht die Beschuldigten freilässt, weil sich die Ermittlungen unangemessen verzögern. Wir hoffen natürlich, dass alle vier Beschuldigten alsbald entlassen werden und dann in aller Ruhe das Ende der Ermittlungen, eine mögliche Anklageerhebung und eine mögliche Hauptverhandlung abwarten und sich darauf vorbereiten können.

Ist es in 129a Ermittlungen üblich, dass publizierte Texte der Beschuldigten für eine Haftbegründung ausreichen? Zeitschriften sind doch frei erhältlich, und veröffentlichte Texte, oder Auszüge können von jedermann für eigene Statements herangezogen werden.

Eine der Hauptkritikpunkte linker und liberaler JuristInnen am § 129 a StGB war immer, dass der Organisationszusammenhang nicht entlang objektiver Kategorien, sondern mittels subjektiver Kriterien hergestellt wird. Also nicht so sehr die Tat und der daraus gegen einen Beschuldigten zu erhebende Vorwurf zählt, sondern der Täter und seine Gesinnung. Also wurden immer auch öffentliche und nichtöffentliche Meinungsäußerungen der Beschuldigten herangezogen, um einen Verdacht oder gar eine Verurteilung zu begründen. Dies war Grundlage vieler Verfahren gegen Unterstützer der RAF/Hungerstreiks in den 80er –Jahren und auch der Radikal-Verfahren

Warum wird die Untersuchungshaft in Moabit gegen Andrej H. weiter aufrechterhalten?

Aus den von der Verteidigung bereits hart kritisierten Gründen des Haftbefehls, also ein dringender Tatverdacht sowie Fluchtgefahr. Die Verteidigerin hat sofort nach Erlass der Haftbefehls letzte Woche Haftprüfung beantragt und wird in diesen Tagen - hoffentlich umfassende – Akteneinsicht erhalten. Dann wird ein mündlicher Haftprüfungstermin beim Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof stattfinden. Wir hoffen, dass dann die rechtlich unhaltbare Untersuchungshaft gegen Andrej H. beendet wird.

Was kann die Verteidigung tun um eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen?

Die VerteidigerInnen der Inhaftierten werden die Akten durcharbeiten und sich dann zunächst mit der Haftfrage beschäftigen. Denn die Inhaftierung ist in allen vier Fällen zu kritisieren. Danach wird man in aller Ruhe die Vorwürfe untersuchen und entsprechende Anträge stellen, wobei vor allem der Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu entkräften sein wird. Es gibt keine Organisation und erst recht keine terroristische. Aber das wird seine Zeit dauern.

natter | 10.08.07 21:39 | Permalink