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Zwei, die bleiben wollten

von Uwe Rada

Warum wurde Andrej H. festgenommen? Warum werden er sowie sein Freund und Kollege Matthias B. verdächtigt, Stichwortgeber für die "militante gruppe" zu sein? Warum ist es plötzlich ein Indiz für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, wenn man "Zugang zu einer Bibliothek" hat? Anna Vandenhertz hat keine Antworten auf diese Fragen. Sie weiß nur, dass sie die Anschuldigungen "abstrus" findet.

Die "militante gruppe" (mg) wird für zahlreiche politisch motivierte Brandanschläge vor allem auf Fahrzeuge von Polizei und Ordnungsämtern verantwortlich gemacht. 2001 verschickte die Gruppe erstmals eines ihrer zahlreichen Bekennerschreiben. Anna Vandenhertz ist Autorin. Lange Zeit saß sie für die PDS in der Bezirksverordneten- versammlung in Pankow. H. und B. kennt sie seit Anfang der 90er-Jahre. Damals engagierte sich Vandenhertz bei der Betroffenenvertretung im Sanierungsgebiet Kollwitzplatz. "Die beiden waren in der anderen Betroffenen- vertretung aktiv, am Helmholtzplatz.

Da waren eher die Jüngeren, die Unangepassten." Heute sind die beiden Kieze in Prenzlauer Berg kaum zu unterscheiden. Aber vor der großen Sanierungswelle standen die Quartiere für unterschiedliche Konzepte. Südlich der Danziger Straße - rund um den Kollwitzplatz - fand sich eher ein Künstlerviertel. Nördlich dieser Querachse - rund um den Helmholtzplatz - regierte der Punk. Vandenhertz erinnert sich noch gut, wie die Helmholtzplätzler die Kollwitzplätzler Mitte der 90er-Jahre aufforderten, über einen Mietboykott nachzudenken. "Wir fanden das unrealistisch", erzählt Vandenhertz. "Aber wir haben uns auch gefreut, dass es solche Initiativen gab. Das war ein nötiges Gegengewicht zur Betroffenenvertretung am Kollwitzplatz." Aber was, fragt sich Vandenhertz, hat das mit Terrorismus zu tun? "Wir vom Kollwitzplatz", sagt sie, "wollten die Gentrification und die Verdrängung verlangsamen. Die vom Helmholtzplatz wollten sie verhindern."

"Gentrification", das war damals ein Begriff, den viele im Mund hatten. In Prenzlauer Berg lebten Professoren und Punks, Arbeitslose und Noch-nicht-Arbeitslose, Künstler und Blockflöten. Eine wilde Mischung, ganz nach dem Geschmack von Stadtsoziologen und -planern. Doch die Befürchtung, dass mit dem sozialen Nebeneinander bald Schluss sein würde, war groß.

Nicht nur Andrej H. und Matthias B. schauten damals auf das Beispiel New York. Auch zahlreiche Stadtforscher aus Westberlin reisten in die USA und berichteten von tief greifenden Veränderungen. In manchen Quartieren dort hatte die Gentrification - zu Deutsch "Veredelung" - billige Wohnquartiere zu begehrten Adressen der Schönen und Reichen gemacht.

Eine Entwicklung, die sich in Prenzlauer Berg längst wiederholt hat. Soziologen wie Andrej H. haben das genauso beschrieben wie etwa der Regisseur Andreas Dresen in seinem Film "Sommer vorm Balkon". Andrej H. sitzt unter Terrorismusverdacht in einer Moabiter Einzelzelle: Dresen arbeitet am nächsten Film.

Mit künstlerischen Statements gegen Mieterhöhungen, Aufwertung und Verdrängung wollten sich H. und B. nie zufrieden geben. Sie suchten die politische Auseinandersetzung. Einen ersten Anlass gab es 1992, als in der Kollwitzstraße 89 ein Wohnhaus zum Hotel umgewidmet werden sollte. Aus Protest wurde das Gebäude besetzt. Mit dabei war der damalige Baustadtrat Matthias Klipp, der später für eine Immobiliengesellschaft der Landesbank arbeitete. Mit dabei waren auch H. und B.

1992 protestieren Zehntausende gegen die von der Bundesregierung festgelegten Mieterhöhungen im damals noch kommunalen Wohnraum Ostberlins. Aufgerufen hatte die Initiative "Wir bleiben alle" (WBA), die der 2003 verstorbene Kiezaktivist Bernd Holtfreter gegründet hatte. Auch H. und B. waren dabei.

"Der WBA war so etwas wie das letzte Aufbäumen", erinnert sich Wolfram Kempe. Nach der Wende war Kempe Sprecher der Hausbesetzer am runden Tisch. Heute schreibt er Drehbücher. "Es gab in Prenzlauer Berg eine Tradition, dass sich Leute um ihre eigenen Sachen selbst kümmerten. Zu DDR-Zeiten schon. Ein widerständischer Charakter, gerade wenn es um das Wohnumfeld geht, hatte hier eine ganz eigene Geschichte." Auch Kempe fragt sich, warum aus dem Widerstand gegen Schickimicki-Sanierungen heute ein Terrorismusverdacht hergeleitet wird. Seine einzige Erklärung: "Es scheint für manche nicht erträglich, wenn Leute, die schon zu DDR-Zeiten in der Opposition waren, auch nach der Wende Oppositionelle blieben."

Gleichwohl gab es Mitte der 90er-Jahre eine Zäsur im Protest gegen die Sanierungspolitik in Prenzlauer Berg. Für viele überraschend zog Bernd Holtfreter 1995 ins Abgeordnetenhaus. Der charismatische Oppositionelle hatte schon zu DDR-Zeiten den ebenfalls mit "WBA" abgekürzten, aber normalerweise von Parteikadern gesteuerten "Wohnbezirksausschuss der Nationalen Front" unterlaufen. Er hatte den Abrissplänen der SED die Stirn geboten. Nun war er Berufspolitiker. Für manch einen gleich ein doppelter Verrat. Einmal, weil Holtfreter den politischen Schauplatz Prenzlauer Berg gegen das Rednerpult im Parlament tauschte. Zum andern, weil er sich ausgerechnet für die PDS entschied - für viele immer noch die Nachfolgepartei der SED.

Andere, unter ihnen auch H. und B., radikalisierten ihre Forderungen und gründeten einige Zeit später die Bürgerbewegungszeitschrift Telegraph neu - als eine ostdeutsche linke und linksradikale Szenezeitung. Dennoch, und darin unterschied sich der Prenzlauer Berg deutlich von Kreuzberg, riss der Gesprächsfaden zwischen den "Reformern" und den "Sozialrevolutionären" nie ab. Es war Bernd Holtfreter, der Matthias B. 1997 beauftragte, in einer Studie die behutsame Stadterneuerung in Prenzlauer Berg zu bilanzieren. Deren Ergebnis: Über die Hälfte der 140.000 Bewohner hatte den Prenzlauer Berg verlassen. B.s Fazit: "Die ablaufenden Veränderungen scheinen sich fast völlig der Beeinflussung durch die Politik der behutsamen Stadterneuerung zu entziehen. Sie widersprechen diametral den von Senat und Bezirk gesetzten Sanierungszielen eines Erhalts der bestehenden Sozialstrukturen."
Die von Kreuzberg nach Prenzlauer Berg emigrierte Szene etablierter Mieterberater und Sanierungsträger reagierte wütend, allen voran Theo Winters, der Geschäftsführer des Sanierungsträgers S.T.E.R.N..

"Einer muss die Altbausanierung bezahlen", giftete Winters in Richtung Matthias B. Eine Alternative gebe es nicht. Heute weiß man: Auch ohne Alternative war es nicht gelungen, die Bewohner im Bezirk zu halten. Der Prenzlauer Berg von heute ist ein komplett anderer als zu Wendezeiten. Es gibt nicht viele Stadtquartiere in Deutschland, die das von sich behaupten können.

Andreas Otto gehörte zu denen, die der Studie von Matthias B. kritisch gegenüberstanden. Noch heute ist der Grünen-Politiker davon überzeugt, dass H. und B. - die "Linksradikalen vom Helmholtzplatz", wie er scherzhaft sagt - auf dem falschen Dampfer gewesen seien. "Wenn es nach der Betroffenenvertretung dort gegangen wäre, hätte es gar keine Sanierung geben dürfen", sagt Otto. Dass H. und B. aber nicht nur zu Worten, sondern zu Brandsätzen gegriffen hätten, kann sich Otto beim besten Willen nicht vorstellen.

Ähnlich wie Theo Winters fragt sich Otto auch, ob jeder, der aus dem Prenzlauer Berg wegzog, tatsächlich verdrängt wurde. "Es sind eben nicht alle im Obdachlosenheim gelandet, viele haben sich auch im Grünen ein Häuschen gebaut." Vielleicht muss Andreas Otto aber auch so sprechen. Bei der letzten Wahl zog der langjährige Vorsitzende der grünen Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung ins Abgeordnetenhaus. Er gewann den Wahlkreis Helmholtzplatz. Er wurde gewählt von denen, gegen deren Zuzug sich die Betroffenenvertretung einst gewehrt hatte.

In der Rykestraße, eine jener Straßen, gegen deren Abriss sich Bernd Holtfreter schon mit seinem Vorwende-"WBA" gewehrt hatte, hat heute die Wohnungsgenossenschaft Selbstbau ihren Sitz. Auch deren Geschäftsführer Pit Weber hatte einst mit den WBA-Leuten gegen die Umstrukturierung demonstriert. Dann aber hat er beschlossen, die Sache in die eigene Hand zu nehmen. Inzwischen hat Selbstbau 16 Häuser. Dort gibt es keine Verdrängung, sondern die viel gerühmte Berliner Mischung. "Andrej und Matthias", sagt Weber etwas sarkastisch, "haben nach dem Staat gerufen. Nun haben sie die Antwort bekommen." Dann ergänzt er lachend: "Schreib das nicht. Das verstehen die sonst falsch."

Weder zu "Wir bleiben alle" noch zum Umfeld des Telegraph gehört Simone Hain. Doch die Bauhistorikerin, die lange an der Humboldt-Uni forschte und heute Professorin für Stadt- und Baugeschichte der TU Graz ist, kennt die wissenschaftliche Arbeit von H. und B. Und sie hat eine eigene Antwort auf das Warum. "Mit ihren politischen Aktivitäten haben sie nicht so viel Erfolg gehabt", sagt sie über H. und B., "als Wissenschaftler dagegen schon. Beide sind vernetzt, auch international, ihre Texte werden gelesen."

Tatsächlich haben sich sowohl Andrej. H. als auch Matthias B. von der praktischen Stadtteilpolitik in Prenzlauer Berg entfernt - und sich der Wissenschaft verschrieben. B. promovierte zum Thema "Von Kreuzberg nach Prenzlauer Berg. Politik und Macht in der 'Behutsamen Stadterneuerung' ". H. schrieb seine Doktorarbeit über "Die Restrukturierung des Raums. Machtverhältnisse in der Stadterneuerung der 90er-Jahre in Ostberlin". Hain leitet daraus ab, dass sich die Kriminalisierung durch die Bundesanwaltschaft auch gegen kritische Wissenschaftler richtet. Diese Befürchtung teilen zahlreiche Mitarbeiter und Studenten der Humboldt-Universität, die am Dienstagabend über eine entsprechende Resolution beraten hatten. Wenn die Vorgehensweise der Bundesanwaltschaft Schule mache, so sagte der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann der taz, "muss sich jeder Wissenschaftler bedroht fühlen".

Auch der Soziologe Wolfgang Engler glaubt, dass es den Bundesanwälten um Einschüchterung oppositioneller Intellektueller geht. "Ich will mir nicht wieder überlegen müssen, was ich schreibe, was ich sage und wem ich etwas sage", sagt der heutige Rektor der Schauspielhochschule Ernst Busch und ergänzt: "Ich dachte, diese Zeiten hätten wir hinter uns."

Auch wenn die Fragen, die die Festnahme von Andrej H. und die Durchsuchung bei Matthias B. und zwei weiteren Bewohnern in Prenzlauer Berg auslösten, nicht beantwortet sind - eines hat die Kriminalisierung schon bewirkt: In Prenzlauer Berg und in Berlin redet man wieder über Wohnungspolitik.

Taz, 11.8. 2007

natter | 11.08.07 21:17 | Permalink

Kommentare

Überraschend guter Text in einer Zeitung die ansonsten längst zum Sprachrohr all jener Archlöcher geworden ist, die kritisch denkende Menschen längst als Altpapier behandeln.

Hoffentlich kommt die Message auch bei all den BoBos von der taz und neurechen Futzies in Prenzelberg an.

Verfasst von: Leser | 12.08.07 01:21

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