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Mit dem Pinsel Herzblut verspritzt

Punk zu sein ja das fetzt ein
Denn heutzutage kann es jeder sein
`ne Lederjacke mit Nieten dran
Stickers und du bist der Mann
Schau wie sie glotzen, die Spießerfotzen
Schau wie sie glotzen, denn du bist
Echt zum Kotzen
Ein geiler Iro macht was her
Mit `nem geilen Iro bist du wer
Springerstiefel, Lederjacke sind die Norm
Spießer in ihrer Einheitsuniform.

(Paranoia, 1984)


Too Much Future – Ostpunk hieß die Ausstellung im Berliner „Salon Ost“, die im August 2005 über 6.000 Besucher in ein ehemaliges Fabrikgebäude in Berlin, Prenzlauer Berg, lockte. Vom Künstlerhaus Bethanien veranstaltet und von vier Kuratoren realisiert, wurde auf drei Etagen die erste umfassende Ausstellung über Punk in der DDR von 1979-89 präsentiert. Ein dicker Katalog, Veranstaltungen und Konzerte begleitenden diese Ausstellung.
Genau zwei Jahre später, am 18. August wird im Stadtmuseum Dresden die Ausstellung Punk in der DDR – too much future eröffnet. Zwei Kuratoren der 2005er Ausstellung, Michael Boehlke, Henryk Gericke und zwei Aktivisten der alten Dresdener Punkszene, Heike und Jörg Löffler, haben die Ausstellung überarbeitet mit dem Schwerpunkt - Punk in Dresden und Sachsen.
In dem Stadtmuseum, in einem Barockgebäude, in dem auch Ausstellungen zu Themen „Die Frauenkirche zu Dresden: Werden - Wirken – Wiederaufbau“ und zur 800-jährigen Geschichte Dresdens laufen, werden Fotos, Filme, Bilder und Dokumente aus 10 Jahren Punkbewegung in der DDR zu sehen sein. Konzerte und Podiumsdiskussionen begleiten die Ausstellung.

Punk in Dresden wird allgemein mit der Band „Paranoia“ gleichgesetzt, diese Band bestand von 1983-85. Danach gab man sich den Namen „Kaltfront“, besorgte sich eine „Einstufung“ (eine Spielerlaubnis) und mischte bei den sogenannten „anderen Bands“ mit. Ein hauseigenes Kassettenlabel mit dem Namen „Zieh – Dich –Warm – An – Tapes“ veröffentlichte neben Paranoia und Kaltfront die Dresdener Punkbands Suizid, Rotzjungen und Letzte Diagnose. In der Elbstadt musizierten daneben auch die Künstlerbands Zwitschermaschine, Fabrik und Freunde der italienischen Oper, deren Konzerte auch von Punks besucht wurden. Sowieso waren die Grenzen fließend. Künstlerbands wie Zwitschermaschine, Rosa Extra oder Ornament & Verbrechen spielten mit Punkbands zusammen und wurden geliebt oder gehasst. Hass und Liebe lag auch innerhalb der Punkszene dicht beieinander, ein ruppiger Umgangston gehörte dazu. Als Beispiel mag ein Bericht von Otze (Dieter Ehrlich) genügen. Er war der Superstar der DDR-Punkszene. Einen Namen machte er sich als Gründer, Sänger und Musiker der Band Schleim-Keim aus Erfurt-Stotternheim. Er verstarb vor zwei Jahren in einer forensischen Einrichtung, in die er nach dem Mord an seinem Vater eingeliefert wurde. Zu einem der frühen Konzerte seiner Band berichtete er: „Bei dem Konzert 1982 im Erfurter Lang-Haus mussten wir im kleinen Saal spielen, 1981 spielten wir im großen Saal, da waren ja fast nur Kunden da, die rasteten völlig aus und die Decke fing an zu schwingen. Wutanfall hat angefangen, Paranoia aus Dresden spielte nobel eingekleidet in Leder, die haben meinen Verstärker und Lautsprecherbox kaputt gemacht und wir konnten dann nicht mehr spielen, da hatte ich einen Zappen und habe sie niedergeschlagen.“

Otze fuhr mit seiner Band, diesmal unter dem Namen Saukerle im Juni 1985 nach Coswig. Dort trafen Vertreter des Künstler-„Undergrounds“ und Punks im Clubhaus aufeinander. Unweit Dresdens fand das zweitätige Intermedia-Festival statt, welches wohl als Höhepunkt des Zelebrierens von Subkultur in der DDR gelten kann. „Klangbild“ und „Farbklang“, so der Untertitel des Spektakels. Die Kunst der Straße traf auf die akademischen Wilden, neben Auftritten vieler Künstlerbands, wie Klick&Aus, Pfff…, Kartoffelschälmaschine, O.T.Z.E. wurden Super 8 Filme gezeigt, der Saal wurde mit bemalten Faltrollos behängt, die etwa 40 individuelle Sprachen jungwilder und heftiger Malerei der DDR vereinte. Das Publikum reagierte auf einige Auftritte bestürzt, war fassungslos ob der erdrückenden Kraft. Oder wie Christoph Tannert, einer der damaligen Organisatoren dramatischer formulierte: „In Coswig wurde noch mit dem Pinsel Herzblut verspritzt“.

Ein anderes wichtiges Ereignis dieser Zeit für Dresden war das Auftauchen von Punks auf Bildern während der X. DDR Kunstausstellung 1987. Maler wie Hans-Peter Szyszka, Norbert Wagenbrett und Fotografinnen und Fotografen wie Christiane Eisler und Sven Marquardt gaben den Punks ein Gesicht und machten sie für ca. eine Millionen Ausstellungsbesucher sichtbar. Vor allem das fotorealistische Bild „Spinne“ von Hans-Peter Szyszka sorgte für Furore. Es schaffte es sogar zu ganzseitigen Besprechungen in DDR-Tageszeitungen unter Titeln wie „Spinne und sein junger Maler“. CD Spinne war und ist Punk und Maler und lebt in Erfurt. Dort bewohnte er mit anderen „Punkkünstlern“ in der Erfurter Altstadt ein Haus in der Kürschnergasse 7. Sie organisierten im Mai 1984 eine Ausstellung von Künstlerinnen und Künstlern der Punk- und der „Undergroundkünstlerszene“ aus Erfurt und Berlin, die Fotos und Texte von Gabriele Stötzer, Monique Förster, Claudia Räther, Bilder von, auch in der aktuellen Dresdener Ausstellung vertretenen, Mita Schamal, Cornelia Schleime, CD Spinne, Matthias Schneider und Objekte von Jens Ernst Tukiendorf zeigte. In dieser Art zu DDR-Zeiten einzigartig. Die Ausstellung wurde von der Staatssicherheit nach einigen Tagen beendet und Ordnungsstrafverfahren gegen die Betreiber eingeleitet. Das Haus wurde geräumt, aber das ist eine andere Geschichte.

Weitere Informationen zur Ausstellung und zur überarbeiteten und veränderten Neuauflage des Kataloges gleichen Namens unter www.toomuchfuture.de
Punk in der DDR – too much future
Stadtmuseum Dresden, Wilsdruffer Straße 2,
18.08. – 14.10. 2007

natter | 24.08.07 13:59 | Permalink