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Vive la Commune! - 136. Jahrestag des Ausbruchs der Pariser Kommune

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"L'espoir assassiné"

Heute vor 136. Jahren kam es in Paris zum ersten ArbeiterInnenaufstand: „Das interessante an der Pariser Kommune ist der Entwurf einer Demokratie von Menschen für Menschen“

Jacques Tardi, geboren 1946, gehört zu den meist geschätzten Comic-Autoren Frankreichs. Bekannt wurde er als Zeichner zahlreicher Krimi-Geschichten wie „Adeles ungewöhnliche Abenteuer“ und Geschichten aus dem Ersten Weltkrieg. Im vergangenen Jahr erhielt -im Rahmen des 12. Internationalen Comic-Salons Erlangen, dem wichtigsten Comic-Preis in Deutschland- einen Sonderpreis für sein herausragendes Lebenswerk. In den letzten Jahren wandte er sich intensiv der Pariser Kommune zu. Zum 136. Jahrestag des Ausbruchs der Kommune wurde in Paris eine Ausstellung zu seinem Vierbändiges Werk „Die Macht des Volkes“ nach einem Roman von Jean Vautrin eröffnet.

Das Gespräch führten in Paris für den telegraph/ost:blog Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak vom JournalistInnen-Kollektiv „Krise und Kritik“

Sie haben mehrere Jahre einer Serie über die Pariser Kommune „Die Macht des Volkes“ gewidmet. Woher kommt das Interesse an diesem Thema?

Diese vier Jahre meiner Arbeit reihen sich ein in eine rückblickende Auseinadersetzung mit der Geschichte. Mein Interesse galt zunächst dem Zweiten Weltkrieg, da mein Vater damals in Kriegsgefangenschaft geraten ist. Dann ging ich weiter zurück und setzte mich mit dem Ersten Weltkrieg auseinander, an dem auch mein Großvater teilnahm. Letzteres habe ich bereits zeichnerisch umgesetzt. Wie sie wissen hatten 1914 französische Soldaten den Auftrag Elsass und Lothringen von den Deutschen zu befreien. Wenn man die Gründe dafür untersucht und weiter rückblickt, stößt man unweigerlich auf die Niederlage von 1870 und das Ende des Imperiums Napoleons III. Das wichtigste Ereignis direkt danach ist meiner Meinung nach die Pariser Kommune. In einer Stadt die während des Preußisch-Französischen Krieges nicht besetzt war, kam es zu einer Erhebung. Es ist schon bemerkenswert, dass die Pariser Wehrmauern von Louis Adolphe Thiers, dem Chef der Exekutivgewalt in Auftrag gegeben wurden. Später hat eben dieser die Pariser Kommune mit Versailler Truppen und der Unterstützung des preußischen Kanzlers Otto von Bismarck niedergeschlagen. Mich interessierte also was während dieser zweieinhalb Monate der Kommune in der Stadt passiert ist.

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Jacques Tardi, Foto: Kamil Majchrzak


Die Kommune ist ein Begriff aus dem Mittelalter, der besagt, dass eine Stadt unabhängig von der Zentralmacht geworden ist. Diese Stadt war also völlig befreit und keiner Außen-Macht mehr untergeordnet. Napoleon der III ging ins Exil. Thiers fand es aber inakzeptabel, dass die Hauptstadt sich emanzipiert. Um Abhilfe zu schaffen stellte er gegen sie Truppen auf.

Aber während dieser kurzen zwei Monate wurden in der Stadt außergewöhnliche Beschlüsse gefasst. Diese hätten nie unter den bisherigen Regierungen angenommen werden können. So wurde z.B. die Todesstrafe abgeschafft, wobei sie nach der Niederschlagung der Kommune sofort wieder eingeführt wurde. Es folgten fortschrittliche Maßnahmen im Bereich der Bildung, die Begrenzung der Kinderarbeit und zahlreiche weitere soziale Maßnahmen. Diese Zeit zeichnet sich daneben auch durch einen starken Antiklerikalismus aus, da die Menschen lange unter der Herrschaft der Kirche gelitten hatten. Die Kommunarden sind aber schließlich zu weit gegangen. Als Thiers in Versailles seine Gefangenen erschoss, hat das die Menschen in Paris in Wut gebracht. Als Vergeltung fingen auch sie an ihre Geiseln, unter ihnen den Pariser Bischof Darbois hinzurichten. Darbois versuchte zuvor Verhandlungen zwischen der Kommune und Versailles herzustellen. Darauf ist Thiers jedoch nicht eingegangen. Dieser wollte vielmehr, dass die Kommunarden Darbois erledigen. In diese Falle sind sie dann auch getappt. Anschließend rechtfertigte man damit die zahlreichen Repressionen gegen die Kommunarden. Die große Hoffnung kam so an ihr Ende, sie blieb stehen an einem Moment als die Kommunarden eine glorreiche Haltung einnahmen. Wie sehe die Welt aus, wenn dieser Zustand fortdauern würde? Keiner kann das heute sagen. Wir wissen heute nur, dass die Niederschlagung der Kommune zwanzig bis dreißig Tausend Tote Kommunarden gefordert hat, weitere Tausende wurden nach Neu Kaledonien deportiert, und erst neun Jahre später amnestiert. Nach der Niederlage wurde Thiers zum neuen Präsident der Republik. Menschen wie Jules Ferry, ein Verfechter der laizistischen Schule griffen aber viele Errungenschaften der Kommune auf und nutzten sie für sich.

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"Les canons du 18 mars"


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"Les heures sanglantes"


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"Le testament des ruines"


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"Intégrale Le cri du peuple"

Ist die Pariser Kommune heute noch aktuell?

Davon bin ich überzeugt. Wenn man die gegenwärtigen sozialen Probleme betrachtet wünscht man sich, dass die Menschen mehr Interesse zeigen und die Sachen in ihre eigenen Hände nehmen. Das interessante an der Pariser Kommune ist der Entwurf einer Demokratie von Menschen für Menschen. Das war ein echter Arbeiteraufstand. Das bedeutet, dass nicht mehr irgendwelche Berufs-Politiker den Lauf der Geschichte bestimmen, sondern die betroffenen Menschen selbst. Die Prioritäten der Pariser Kommune gaben Antworten auf das Leid und die sozialen Missstände denen damals die Menschen ausgeliefert waren.

Für Karl Marx war das auch die erste Arbeiterrevolution überhaupt…

Das ist richtig. Die Oktoberrevolution in Russland wurde durch die Kommune inspiriert. Dies wird deutlich wenn Lenin schreibt: „Wir haben es eine Woche, zwei Wochen länger geschafft…“ Wir wissen was nach der Oktoberrevolution geschehen ist. Nichtsdestotrotz war es die Kommune die diese Revolution inspiriert hatte.

Die Mehrheit der FranzösInnen weiß gar nichts über die Pariser Kommune…

Selbstverständlich, und das ist auch kein Wunder. Man erfährt darüber ja auch nichts von den Lehrern. Auch in den Schulbüchern kommt die Kommune nicht vor. Es wird wohl befürchtet, dass die SchülerInnen ihre Schulen in Brand stecken würden. Dies wäre einfach logisch.

Auf welche Materialien haben Sie sich bei Ihren Zeichnungen gestützt?

Ich ließ mich von den verschiedenen überlieferten Dokumenten inspirieren. Damals kam die Fotographie in Mode, es gab aber keine Reportagen. Die meisten Fotos sind gestellt bzw. posierend. Ich habe hauptsächlich auf Grundalge von Zeichnungen gearbeitet und versucht vieles zu rekonstruieren. Aber es ist niemals möglich die Wahrheit wirklich abzubilden.

In der Serie «Die Macht des Volkes» werden trotzige Pariser Charaktere dargestellt…

Nein, das ist ein cliché. Ich habe einfach viel über den damaligen Alttag gelesen. Ein Problem, dass beim Zeichnen immer wieder auftaucht ist, dass überlieferte Dokumente nur sehr wenig über die einfachen, kleinen Leute, z.B. ihre Kleidung zu berichten wissen. Das heißt, dass man gezwungen ist weiter nachzuforschen, und dann bestimmte Kleinigkeiten und Elemente z.B. auf Gemälden entdeckt. Was die Dialoge angeht habe ich mich an die Buch-Vorlage von Jean Vautrin gehalten. Oft musste ich diese jedoch kürzen, weil ein Comic nicht die gleichen Rahmenbedingungen hat wie ein Roman. Und dann gibt es da noch die Umgangssprache, die höchst interessant und amüsant ist. Ich liebe diese Sprache. Und ich muss sagen ich habe dabei ein bisschen übertrieben. Dies aus einfachen Grund: diese Sprache enthält sehr viele Bilder.

Sind die Alterglobalisierungs-Bewegung oder die Proteste gegen G8 in der Lage die Perspektive einer neuen Kommune zu entfalten?

Hier kommen wir in den Bereich der political-fiction. Darauf kann ich keine Antwort geben. Eins ist jedoch sicher. Die Menschen sind sehr unzufrieden. Unter solchen Bedingungen ist deshalb alles möglich.

Gäbe es die Aussicht auf eine neue Kommune, würden sie sich an dieser beteiligen?

Das wird sich noch herausstellen. Wir treffen uns dann auf der Barrikade wieder.

Also bis hoffentlich bald! Danke für das interview.

Info:
Le Cri du peuple, nach dem Roman von Jean Vautrin (Casterman, 2001-04); dt. Die Macht des Volkes
1. Les Canons du 18 mars (2001); dt. „Die Kanonen des 18. März“ (Ed. Moderne, 2002)
2. L'Espoir assassiné (2002); dt. „Die zerstörte Hoffnung“ (Ed. Moderne, 2003)
3. Les Heures sanglantes (2003); dt. „Zeit des Schreckens“ (Ed. Moderne, 2004)
4. Le Testament des ruines (2004); dt. „Das Vermächtnis der Ruinen“ (Ed. Moderne, 2005)

Michal Stachura | 18.03.07 12:06 | Permalink