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Paris: Durch Besetzungen auf Wohnungsnot aufmerksam machen

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Alexandre Archenoult, Foto: Kamil Majchrzak

Kulturinitiativen und Mietergruppen machen mit Besetzungen auf Wohnungsnot aufmerksam. Ein Gespräch mit Alexandre Archenoult

Das Gespräch führten in Paris: Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak vom JournalistInnen-Kollektiv Krise und Kritik

Alexandre Archenoult ist Aktivist der französischen Initiative Macaq (Bewegung für die kulturelle und künstlerische Belebung der Bezirke, www.macaq.org), die leerstehende Häuser besetzt, um alternativen Wohnraum zu schaffen. Das JournalistInnenkollektiv »Krise und Kritik« organisiert voraussichtlich im Mai eine BRD-Rundreise mit AktivistInnen von Macaq und »Jeudi Noir«.

Die Initiative Macaq besetzt derzeit mehrere Häuser in Paris. Welche Ziele verfolgen Sie damit?

Wir schaffen Zentren für soziale und kulturelle Aktivitäten. Die Bewohner, zum Beispiel Künstler, Theaterleute und Zeichner, brauchen Platz für ihre Projekte. In Paris ist es nicht einfach, Räume zu mieten. Sie kosten mindestens 35 Euro die Stunde. Wir bieten die Räume unentgeltlich an, erwarten dafür aber Unterstützung bei der Verwaltung des Gebäudes und der Organisation von Veranstaltungen. Dadurch können wir die Zentren mit sehr wenig Geld gemeinsam verwalten.

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"Ministerium zur Lösung der Wohnungskrise" (Ex Credit Lyonaise), Foto: Kamil Majchrzak

Hätten Sie nicht auch die Stadtverwaltung um Gebäude bitten können. Warum besetzt Macaq die Häuser?

Kultur wird in Frankreich sehr administrativ und bürokratisch gehandhabt. Die Behörden wählen zu fördernde Projekte lediglich anhand von eingereichten Unterlagen aus. Das läuft zumeist nur über gute Beziehungen. Oft nimmt das ganze Verfahren auch sehr viel Zeit in Anspruch. Es fehlt an Spontaneität. Wenn wir uns die Räume nicht genommen hätten, wäre vermutlich nie etwas passiert.

Dann fehlt es in Paris an soziokultureller Infrastruktur?

Absolut. Neben den Kneipen gibt es kaum Begegnungsstätten für unterschiedliche Menschen. Wir versuchen, Orte zu schaffen, an denen die sozialen Beziehungen wieder im Vordergrund stehen und sich entwickeln können. Unsere Zentren sollen durch die Leute aus dem Kiez verwaltet werden, von Menschen, die ihre eigenen Projekte entfalten möchten oder einfach nicht zu Hause bleiben wollen.

Macaq hat gemeinsam mit der Initiative »Jeudi Noir« das »Ministerium zur Lösung der Wohnungskrise« gegründet und dafür ein Haus besetzt. Dabei geht es weniger um kulturelle Freiräume als um die Anprangerung der Wohnungsnot in Paris. Warum nehmen Sie an der Besetzung teil?

Wir haben »Jeudi Noir« während einer unangemeldeten Wohnungsbesichtigung kennengelernt. Mit solchen Partys macht die Initiative auf überhöhte Mieten und Immobilienspekulation in Paris aufmerksam. Gemeinsam besetzten wir dann ein Gebäude im Pariser Bankenviertel, um das »Ministerium zur Lösung der Wohnungskrise« zu gründen. Wir wollen noch vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich eine Diskussion über die Problematik entfachen.

Wir ergänzen uns gut, denn Macaq hat langjährige Erfahrung bei dem Aufbrechen leerstehender Häuser, bei der Logistik der Besetzungen und den damit verbundenen juristischen Fragen. Auf das Gebäude im Bankenviertel, das seit drei Jahren leer steht, hatten uns Freunde aufmerksam gemacht. Das Gebäude gehört der Bankengruppe CIC. Es befindet sich mitten in Paris, direkt neben der alten Börse. Ein guter Ort, um auf den Zusammenhang zwischen den Spekulationen und dem Börsencrash von 1929 hinzuweisen, worauf der Name »Jeudi Noir« (Schwarzer Donnerstag) anspielt.

Rechnen Sie mit einem juristisches Nachspiel?

Natürlich, wie bei jedem Gebäude. Teilweise richten sich die Verfahren gegen den Verein Macaq selbst. Dann besteht das Risiko, daß sehr schnell geräumt wird. Wenn sich die Klage aber gegen die neuen Bewohner richtet, ist es nicht so einfach, sie wieder vor die Tür zu setzen. Wir beschädigen ja nichts. Im Gegenteil, oft sanieren wir sogar. Die Klagen laufen deshalb meistens wegen Hausfriedensbruchs.

Am 10. April soll das Haus geräumt werden. Was werden Sie danach machen?

Wir rechnen im Wahlkampf nicht mit der Räumung. Das käme in den Medien nicht gut an. Deshalb gehen wir davon aus, daß wir mindestens bis Mai im Haus bleiben können. Die Stadtverwaltung hat die Absicht, das Gebäude zu kaufen. Dadurch hoffen wir, noch länger bleiben zu können. Wir werden alles uns Mögliche unternehmen, damit die jetzigen Bewohner – vor allem Migranten, Studierende, prekär Beschäftigte und Erwerbslose – langfristig in ordentliche Sozialwohnungen umziehen können.

Gleichzeitig erschienen in Junge Welt vom 28.03.2007, S. 8

Info:
Eine Langfassung des Gesprächs ist abrufbar auf der Site des JournalistInenn-Kollektivs "Krise und Kritik", das im Mai AktivistInnen von "Jeudi Noir" und "Macaq" zu einer Diskussion nach Berlin einladen wird. Der genaue Termin wird auf der Homepage des Kollektivs bekanntgegeben.

Michal Stachura | 28.03.07 00:37 | Permalink