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Über Polizei darf nicht gelacht werden - Zensur in Frankreich

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"Eure Papiere - was man im Umgang mit Polizei wissen sollte"- Verbotene Karikatur zum rassistischem Alltag in Frankreich und den allen BürgerInnen zustehenden Rechten

Welch ein Geschrei erhoben „wahre Demokraten“ im Rahmen des sog. Karikaturen-Streits, der Ende September 2005 nach einer Publikation der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten ausgebrochen ist. Pseudo-Menschenrechtler nahmen dies als Rechtfertigung zu einem Kulturkampf gegen islamisch geprägte Gesellschaften. Europa wurde unverhofft zum Inbegriff der Toleranz und Meinungsfreiheit im Gegensatz zum von der Aufklärung verschonten „Orient“. Wie ambivalent das europäische Verständnis von Meinungsfreiheit ist und wem diese im Zweifel zusteht, belegen zum Alltag gewordene Repressionen gegen KritikerInnen der bürgerlichen Demokratie, deren Horizont in der Öffentlichkeit nicht überschritten werden darf.

In Frankreich traf die bürgerliche Gerechtigkeit jetzt den sozial-kritischen Graphiker Placid. Dieser wurde wegen einer Polizei-Karikatur zu einer Geldbusse von 500,- EUR verurteilt. 2001 brachte die Gewerkschaft der Magistratur die vorallem Rechtsanwälte versammelt, eine Broschüre über Bürger- und Menschenrechte heraus. Die Titelseite schmückte ein Polizei-Schweins-Kopp. Ein Anwalt, der die Einleitung des Buches geschrieben hatte muss wegen Beleidigung der Polizei sogar 1000,- EUR zahlen. Auch der blog "Alles Schweine" der die Karikatur weiterverbreitet hatte muss sich jetzt mit 800,- EUR an der Gerechtigkeit beteiligen.Weitere Personen die an der Veröffentlichung mitgewirkt haben, müssen mit ähnlichen Strafen rechnen.

Hintergrund der Veröffentlichung sind die – auch hierzulande wohlbekannten- ungerechtfertigten Polizei-Kontrollen von ausländisch aussehenden Mitbürgern (ost:blog berichtete), sog. "contrôle au faciès" (Kontrolle nach dem Aussehen). Allerdings muss angemerkt werden, dass in Frankreich anders als im hiesigen preußischen Reich die Pflicht zum Tragen eines Personalausweises oder gar Polizeilichen Meldung nicht besteht. Ein Nebeneffekt von 1789.

Auf dem genannten blog werden nun immer wieder neue Karikaturen von Schweins-Köppen veröffentlicht.

Interessant ist dabei, dass gerade letzte Woche die Zeitung "Charlie Hebdo" wegen der vor einem Jahr dort veröffentlichten dänischen Mohamed-Karikaturen freigesprochen. Dabei hatte die Zeitung in dem Rechtstreit Unterstützung von zahlreichen sog. Intellektuellen bekommen. Selbst Innenminister Nicolas Sarkozy hat einen eigens aus diesem Anlass verfassten Brief verlesen lassen. Darin setzte er sich -wie sollte es anders sein- für die Meinungsfreiheit ein. Einen Widerspruch zu der Haltung um die angeblich beleidigten und ihm als Innenminister unterstellten Köppe sah er nicht.

Ein berühmter polnischer Philosoph ließ sich einmal in einem ähnlich gelagerten Fall zu folgender Frage hinreisen: Freiheit – für wen?, Rechtsstaat – für wen? Gemäß dieser Devise ist Meinungsfreiheit nur dann gerechtfertigt, wenn sie völkerrechtswidrigen Angriffen auf andere Staaten legitimatorisch entgegenkommt oder einem Angriff auf MigrantInnen dienlich erscheint.

Info:

"Tous Cochons" - Alles Schweine Blog

Michal Stachura | 27.02.07 00:32 | Permalink