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Brasiliens Theaterszene heute - scharfe Kritik an Frank Castorf von der Volksbühne

"Castorf - viel Lärm um Nichts"
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Das Tropenland erlebt derzeit einen Theaterboom, eine Hochphase des Theaters, wie es sie zuletzt vor der Militärdiktatur gegeben hat. Am besten läßt sich dieses Phänomen in Sao Paulo, Lateinamerikas Kulturhauptstadt, beobachten. Stücke von erstaunlicher Qualität, volle Häuser, ein außerordentlich interessiertes, wohlinformiertes Publikum, deshalb auch Kulturtouristen aus aller Welt.

Sao Paulo ist in Sachen Theater landesweit so gut wie konkurrenzlos, Rio de Janeiro, Belo Horizonte oder Porto Alegre können bei weitem nicht mithalten. Regisseur Frank Castorf von der Berliner Volksbühne inszenierte unlängst in Sao Paulo zwei Stücke, die indessen weder vor dem Publikum noch vor der Kritik bestehen konnten. Die Verrisse fielen teils sehr drastisch aus.
Deutschland hat laut Statistik über vierhundert Theater, Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt, immerhin an die einhundert, ein Teil davon im Netz gut administrierter öffentlicher Kulturhäuser. In der Megacity werden jährlich sage und schreibe rund eintausend Theaterstücke inszeniert, was vermutlich weltweit einmalig ist. Beth Nèspoli zählt zu den wichtigsten Theaterkritikern Brasiliens und beschreibt den Theaterboom geradezu überschwenglich:
“Unser brasilianisches Theater ist derzeit herrlich unruhig, in einer wunderbaren Phase, ganz besonders in Sao Paulo. Leider haben wir nicht wie in Deutschland Theater mit festem Ensemble, sondern Theatercompagnien, Theatergruppen, die indessen in Sao Paulo seit einigen Jahren durch ein Stadtgesetz speziell gefördert, subventioniert werden und verblüffend gute Arbeiten zeigen. Das Stadtgesetz wurde von der Bewegung „Kunst gegen die Barbarei“ vorgeschlagen. Just wegen dieser Qualität der Stücke ist das Publikum unglaublich gewachsen, wollen die Leute Theater wie nie zuvor, sind enorm neugierig, sehen Theater als hochinteressantes Kulturphänomen. In Sao Paulo ist es heute schwierig, Karten zu kriegen. Unser Theater will den internationalen Austausch, den Dialog – aber Lektionen von anderswo brauchen wir wirklich nicht.“
Die Kritikerin bezog sich damit auf Frank Castorf, der in Sao Paulo das Brechtstück „Im Dickicht der Städte“ sowie den „Schwarzen Engel“ des grandiosen brasilianischen Autors Nelson Rodrigues inszeniert hatte. Castorf, so hieß es in den Qualitätszeitungen, sei wie ein Genius empfangen worden, doch als Überheblicher, Anmaßender wieder gegangen. Mitten in seinem Brechtstück sei jeweils die Hälfte des Publikums aufgestanden und habe das Weite gesucht. Castorf mußte sich an hiesigen Brechtinszenierungen messen lassen – und „Im Dickicht der Städte“ vom brasilianischen Regisseur Zè Celso Martinez just in Sao Paulo gilt als historisch, erntete hervorragende Kritiken. Beth Nespoli:
“Castorfs Inszenierung war einfach schlecht, amateurhaft, kindisch, armselig, ohne Ideen und Sinn – mit dieser ganzen Herumschreierei, einer zersplitternden Melone, der explodierenden Bühne nur noch infantil. Hätte ein brasilianischer Regisseur das Stück exakt genauso inszeniert, wäre er in dieses Theater wegen der geltenden Qualitätskriterien nie hineingekommen. Die Frage war gar nicht, ob man Castorfs Philosophie, Castorfs Stil mochte oder nicht – denn hier war nur Leere, sah man nur Albernheiten, schlechten Geschmack, platte Aggression. Kein Vergleich mit dem Kaukasischen Kreidekreis Brechts, zeitgleich von einer brasilianischen Gruppe hervorragend inszeniert.“
Andere Kritiker urteilten fast genauso, ebenso Zuschauer in Leserbriefen. Der häufigste Vorwurf: Leerer Klamauk statt Theater - kein Spur von Avantgarde, von Innovation, wie stets lautstark vorgegeben. So als habe Castorf seinen Schauspielern gesagt: Los, alle auf die Bühne, spielt irgendwas, egal wie.
Beth Nespoli hat Castorf mehrfach interviewt und vermißt bei ihm Selbstkritik, gesunden Zweifel an der eigenen Arbeit: “Mitten im Stück Schwarzer Engel läßt er einen Schauspieler fragen, ob denn die Kritiker, die Intellektuellen, die Journalisten schon alle weg, rausgegangen seien. Da zeigt sich eben Arroganz. Da wird so getan, als seien jene, die rausgingen, alle Idioten. Castorf ging offenbar nicht in den Kopf, daß das Stück tatsächlich schlecht gemacht war, armselig und ohne Sinn. Motto: Was ich inszeniere, darf nicht infragegestellt werden. Ob Brecht oder Tenessee Williams – Castorf arbeitet stets mit den gleichen Banalitäten, Vulgaritäten, den gleichen Späßen; und da verliert alles natürlich seinen Sinn. Wenn man ein Resümee der jüngsten Castorf-Inszenierungen in Sao Paulo zieht, könnte man mit Shakespeare sagen: Da war viel Lärm um nichts.“
Der renommierte brasilianische Schriftsteller und Feuilletonkolumnist Marcelo Rubens Paiva warf Castorf in der Qualitätszeitung „O Estado de Sao Paulo“ nach:“ Hau ab, Mann, mach Theater für deine Deutschen!“

http://www.welt.de/print-welt/article707894/Frank_Castorf_Manchmal_muss_der_Samba_raus.html


Klaus | 26.02.07 00:08 | Permalink