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Brasilianische Zuckerrohrschnapsfirma Ypioca contra Umweltjournalist Norbert Suchanek

Einziger weiblicher Häuptling des Tropenlandes bestätigt Suchaneks Kritik an dem Exportunternehmen
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Brasiliens berühmter Nationalcocktail Caipirinha wird mit Zuckerrohrschnaps gemixt, der inzwischen direkt massenhaft auch nach Deutschland exportiert wird. Die bevorzugte Qualitätsmarke heißt überall in der Ersten Welt Ypioca - das Familienunternehmen im Nordost-Teilstaate Cearà besaß bis vor kurzem sogar das begehrte Öko-Siegel des führenden lateinamerikanischen Zertifizierungsinstituts "Instituto Biodinamico". Nachdem der deutsche Umweltjournalist Norbert Suchanek einen kritischen Beitrag über Ypioca veröffentlichte, wurde der Firma indessen kurz darauf das Öko-Siegel aberkannt, ging Ypioca juristisch gegen Suchanek vor.

In Cearà, über dreitausend Kilometer von Sao Paulo entfernt, produziert Ypioca und leitet Wasser eines Sees, an dem Indianer des Stammes der Jenipapo-Kanindè leben, auf Zuckerrohr-Monokulturen. Die Indios, aber auch Wissenschaftler der Bundesuniversität des Teilstaates werfen Ypioca selbst auf Expertenseminaren seit Jahren vor, die Lebensgrundlagen der Indianer zu gefährden. Derartige Kritik drang indessen nie über den Teilstaat hinaus. Erst durch den Bericht von Norbert Suchanek mit dem Titel „Heuchelei in Bio-Qualität“ wurde diese Kritik nicht nur in ganz Brasilien, sondern auch in Deutschland bekannt. Die Firma Ypioca untersagte daraufhin die Weiterveröffentlichung des Berichts auf der deutschen Website http://www.bio100.de und erzwang eine Gegendarstellung. Darin heißt es, Suchanek habe falsche Anschuldigungen und Verleumdungen verbreitet, welche in erheblichem Maße dem Ansehen des Unternehmens schadeten. Suchanek, der in Rio de Janeiro lebt, bleibt indessen bei seiner Darstellung.
„Meine Hauptkritik bezieht sich nicht nur auf Ypioca, sondern auch auf das Instituto Biodinamico. Im Fall von Ypioca ist es so, daß Ypioca die Wasserressourcen des Indianerreservats übernutzt und gleichzeitig die Wasserressourcen verschmutzt. Wenn ich Produktionsabfälle, die biologisches Leben töten, ins Wasser kippe, ist es Verschmutzung und Vergiftung. Die Reste von Pestiziden kommen über den Regen hinein. Und zweitens kritisiere ich, daß ein solches Unternehmen, das die Lebensgrundlagen eines Indianervolkes bedroht, auch noch ein Biosiegel bekommen darf. Es wurde jedoch kurz nach Veröffentlichung meines Beitrags im Dezember 2006 entzogen.“
Die Firma Ypioca erwähnt in ihrer Gegendarstellung nicht die Quellen, die Suchanek zitiert:“Die Vorwürfe von Ypioca sind unberechtigt, denn ich beziehe mich in meinem Bericht vor allem auf Aussagen und Studien der Universität von Cearà, die in dem Gebiet seit vier Jahren forscht und bereits eine Klage gegen Ypioca eingereicht hat. Seit Jahren wird gegen Ypioca in Cearà prozessiert, doch diese Information erreicht nicht einmal Rio de Janeiro. Ich denke mir, daß Ypioca nicht gewohnt ist, aus der internationalen Presse Kritik zu hören. Wenn man sich diese Presse anschaut, wird Ypioca ja nur gelobt. In der Ersten Welt sind Deutschland und die USA die Hauptexportländer von Ypioca – es gibt keine Bar in Deutschland, die nicht eine Ypioca-Flasche im Regal hat.“
Mit juristischen Problemen rechnet Suchanek nicht mehr: “Meine Freunde hier in Brasilien haben mich aber gewarnt - ich sollte mich etwas vorsichtiger bewegen, da mit einer Firma wie Ypioca in Brasilien nicht zu spaßen sei. Meine Bekannten hielten durchaus für möglich, daß ich Probleme mit meiner persönlichen Sicherheit haben könnte.“
In der Gegendarstellung von Ypioca heißt es, man werfe der Firma vor, den See Lagoa da Encantada der Indios zerstört zu haben: „Die Lagoa ist immer noch da, wunderschön, mit dem gleichen Wasservolumen, unentbehrlich für die benachbarten Anrainer“, betont Ypioca wörtlich.
--Kazikin Pequena contra Ypioca—
Wie sieht das die Stammesführerin Pequena, einziger weiblicher Häuptling ganz Brasiliens? “Sie verschmutzen den See mit Produktionsabfällen, wodurch Fische und Krabben verenden, die doch unsere Nahrung sind. Kürzlich gab es ein Fischsterben, da lagen die Fische tot am Seeufer. Seit 1986 kämpfen wir um den See, sind 75 Familien. Wir wollen keine Feinde von Ypioca sein – aber wir möchten, daß sie verstehen, daß wir hier weiter leben wollen, den Fisch als Nahrung brauchen. Wir wollen, daß sie weder uns noch die Natur attackieren. Heute kann man nicht mal mehr in dem See baden. Die Kinder holten sich dort Hautkrankheiten. Derzeit gibts nur wenig Fische in dem See.“
--Indio-Familienstrukturen—
Einziger weiblicher Häuptling in der machistischen Indio-Gesellschaft – wie funktioniert das? „Ich hatte eben die Energie und das Talent, den Kaziken-Männern entgegenzutreten. Es ist nicht leicht, ein Indioführer zu sein. Denn als Kazike muß man sein Volk, sein Land, die Natur verteidigen. Anfangs war es für die Männer schwierig, mich als Kazikin zu ertragen. Sie wollten mich nicht akzeptieren, da alle Vorgänger ja Männer waren. Jetzt bin ich schon elf Jahre Häuptling, sie haben es nicht geschafft, mich auszubooten, auszustoßen. Ich war mal bei einem nationalen Treffen von 39 Kaziken – da wollten sie mich erst auch nicht zulassen. Wir sind nicht mehr diese wilden Indios wie früher, die man am besten in Ruhe läßt. Wir leben heute mitten in der brasilianischen Gesellschaft. Ich bin verheiratet und habe 16 Kinder, 40 Enkel, bin auch Präsidentin der Indianerinnen-Assoziation. Wir sprechen alle Portugiesisch, haben nicht mehr unsere Stammessprache, schade drum. Wir leben heute in Backsteinhäusern, nicht mehr in Palmstrohhütten, haben Kühlschränke, Fernseher, Radios, kleiden uns wie die Weißen. Ich schlafe bis heute in der Hängematte, ich kann einfach nicht in einem Bett schlafen! Ein festes Heiratsalter gibts bei uns nicht – es geht ab 10, 11 los, aber gewöhnlich doch erst ab 14,15. Unsere Familien haben viele Kinder. Manche Frauen brachten bis zu 16 Kinder zur Welt – eine, die heute 105 Jahre alt ist , hatte sogar 25 Kinder, von denen aber rund die Hälfte gestorben ist. Meine 16 leben noch alle! Wer uns bei Fortaleza besuchen will – gerne!“

Klaus | 25.02.07 23:16 | Permalink