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Katharsis im Dachstuhl

Von Claus Löser

-anlässlich der bevorstehenden Oscar-Verleihungen veröffentlichen wir noch mal eine Filmkritik von 2006 zu dem nominierten Film "Das Leben der Anderen"-

In Florian Henckel von Donnersmarcks Spielfilmdebüt „Das Leben der Anderen“ wandelt sich ein Stasi-Offizier vom Saulus zum Paulus.
Der Start von „Das Leben der Anderen“ passt punktgenau ins aktuelle Geschehen. In der vergangenen Woche polterten in Anwesenheit des Berliner Kultursenators ehemalige MfS-Mitarbeiter gegen ihre vermeintliche Stigmatisierung als Täter. Ihre einstigen Opfer hingegen stellten sie im Umkehrschluss als rechtmäßig überführte Verbrecher dar. Senator Thomas Flierl (PDS) sah sich nicht veranlasst, diesen Behauptungen angemessen entgegenzutreten. Ort des Geschehens war ausgerechnet das zur Gedenkstätte umgewidmete Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen, das auch als einer der Schauplätze des morgen anlaufenden Spielfilms diente. Dem obskuren Auftreten der unbelehrbaren Ex-Offiziere war ein Streit um Gedenktafeln im Umfeld der Gedenkstätte vorangegangen, auf denen der Begriff „kommunistische Diktatur“ auftauchen sollte – ein Reizwort unter Weichzeichnern der DDR-Vergangenheit. Folgerichtig intervenierte die PDS-Mehrheit im Bezirk Lichtenberg gegen diese Formulierung. „Das Leben der Anderen“ reiht sich nicht in diesen Kanon der Verharmlosung. Durch seine differenzierte Perspektive stellt er potentiell einen wichtigen Beitrag zur Analyse der „zweiten deutschen Diktatur“ dar. Dennoch scheitert er an seinem Gegenstand.

Hauptmann Wiesler (Ulrich Mühe) ist ein besonders eifriger Kämpfer an der unsichtbaren Front, knietief steigt er in seinen jüngsten Fall. Als ihm aufgetragen wird, den bislang unbescholtenen Dramatiker Georg Dreyman (Sebastian Koch) zu überprüfen, scheint ihm zunächst die ganze Bandbreite an Überwachungs- und Zersetzungsmaßnahmen legitim. Er nistet sich im Dachboden des Poeten ein, protokolliert das Geschehen in der vollständig verwanzten Wohnung höchstpersönlich. Und genau hier widerfährt ihm auch das Ungeheuerliche: Mit dem Eindringen in den Alltag seines Feindes nähert er sich diesem an, entdeckt in sich verwandte Facetten. Das skrupellos-karrieristische Verhalten seines Vorgesetzten Grubitz (Ulrich Tukur) und die moralische Verdorbenheit keines Geringeren als des DDR-Kulturministers (Thomas Thieme) führen endgültig zum Umdenken, schließlich zum Bruch. Aus dem Oppositionellen-Jäger wird eine Art Schutzengel, der das Ärgste von Dreyman abzuhalten vermag.
Die MfS-Veteranen von Hohenschönhausen werden ihren fiktiven Genossen Wiesler wegen seiner unerhörten Fraternisierung mit dem Gegner nicht mögen. Allein schon dieser Umstand verhilft „Das Leben der Anderen“ zur Legitimierung. Der genrebedingten Fiktionalisierung ist insgesamt kein Vorwurf zu machen. Unerheblich auch, dass ein solcher Fall des offensiven Seitenwechsels nicht verbürgt ist. Woran es dem Film gebricht, sind jedoch eine Reihe von Ungenauigkeiten, die sich aus dem dramaturgischen Korsett ergeben. So wird als Handlungszeit das Jahr 1984 angegeben – ganze acht Jahre nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns und nur wenige Monate vor der Berufung Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU. Die innenpolitische Situation Ostdeutschlands in Florian Henckel von Donnersmarcks filmischer Anordnung ähnelt aber eher der des Hochstalinismus, in dem der Repressionsapparat tagtäglich über Leichen ging. In den mittachtziger Jahren hätte ein Autor vom Status Dreymans wegen eines Artikels im „Spiegel“ ganz sicher nicht um Leib und Leben fürchten müssen. Seine publizistische Präsenz im Westen hätte, im Gegenteil, einen wichtigen Schutzfaktor bedeutet. Geradezu absurd fällt die Wacht Wieslers im Dachgeschoss des Dichters aus. Davon abgesehen, dass das simultane Abtippen von Gesprächen in abgehörten Wohnungen Praxis und Logik widerspricht, dürfte das unablässig-nächtliche Hämmern der Schreibmaschine auch wenig konspirativ gewirkt haben. Dreymans schöne Freundin Sieland (Martina Gedeck) wird als überaus begabte, doch labile, weil tablettenabhängige Schauspielerin eingeführt. Indem ihre Affäre mit dem Kulturminister der DDR (!) zum treibenden Moment avanciert, rutscht das gesamte Stasi-Thema auf das Niveau einer schmierigen Hintertreppen-Intrige. (Wenn die DDR-Nomenklatura derart hedonistisch gewesen wäre, hätte ihr immerhin ein menschlicher Zug angehaftet.) Und wenn sich Hauptmann Wiesler zum Feierabend eine volkseigene Nutte in den Neubaublock bestellt, verkommt das Ganze endgültig zum politisch verbrämten Herrenwitz.

Es sind diese Vermischungen von behaupteter Geschichtsschreibung und ungehemmter Kolportage, die „Das Leben der Anderen“ letztlich scheitern lassen. Öfter scheint es, als hätte den Filmemachern die Geduld mit dem Thema zyklisch verlassen und zu sehr einfachen Lösungen verleitet. Neben sensiblen Passagen stehen plötzlich billigste Klischees. Und auch Ulrich Mühes sympathischster Hundeblick vermag auf Dauer nicht, die Untiefen des Films zu kompensieren. Wenn Stasi-Spitzel in Mänteln aufmarschieren, wie sie von der Gestapo getragen wurden, bedeuten jahrelange, im voluminösen Presseheft aufgeführte Recherchen gar nichts mehr. Immerhin bleiben Momente, in denen die Perfidie des DDR-Systems ansatzweise aufblitzt. Vielleicht sollte „Das Leben der Anderen“ den MfS-Rentnern zwangsweise vorgesetzt werden, so wie Alex in „Clockwork Orange“ die Bilder aus Frau Riefenstahls „Triumph des Willens“.

Erschienen unter der Überschrift - Wenn Spitzel zu sehr lieben - »Das Leben der Anderen« - von Florian Henckel von Donnersmarck (in: »die tageszeitung« Berlin 22.03.2006)

natter | 22.02.07 20:34 | Permalink

Kommentare

da diese stasi-schmonzette ja nun heute nacht, mehr oder weniger erwartungsgemäß den oscar bekommen hat und man jetzt wohl überhaupt nichts kritisches mehr über diesen film zu lesen bekommen wird, hier nocheinmal zwei weitere links zum thema:

http://www.mfs-insider.de/Presse/Zum%20Film1.htm
http://www.ostblog.de/2006/03/das_leben_der_anderen.php

Verfasst von: a.s.h. | 26.02.07 20:51

Und jetzt auch das noch:
"DAS LEBEN DER ANDEREN" - Hollywood plant Remake
http://tinyurl.com/2rysvf

Verfasst von: a.s.h. | 01.03.07 14:03

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