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"Impotencia total" - totale Impotenz

Viagra weiter meistverkauftes Medikament in Brasilien
Macho-Elixier verändert Sexualkultur negativ
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Das erektionsfördernde Viagra ist das sechste Jahr hintereinander im Entwicklungsland Brasilien das meistverkaufte Medikament - gefolgt vom Konkurrenzpräparat Cialis. Unter der Überschrift "Impotencia total" beschreiben brasilianische Zeitungen dieses Absurdum, welches auf sehr charakteristische soziokulturelle Eigenheiten der immerhin zehntgrößten Wirtschaftsnation weist. Viagra ist ein regelrechter Renner indessen nicht bei der eigentlichen Zielgruppe, sondern laut Umfragen bei jungen, meist besserverdienenden Männern zwischen zwanzig und dreißig, sogar vielen Minderjährigen.

Viagra verändert gemäß Berichten von Qualitätsmedien, aber auch Stellungnahmen renommierter Experten(Urologen, Sexualwissenschaftler, Psychologen) die Sexualkultur des Tropenlandes, gilt als Macho-Elixir, mildert den Leistungsdruck im Bett, dient dazu, die Partnerinnen zu beeindrucken. Monatlich gehen mehr als eine Million Pillen über die Ladentische.
Ein großer Absatzmarkt ist naturgemäß Brasiliens Wirtschaftsmetropole Sao Paulo - drittgrößte Stadt der Welt, mit über tausend deutschen Unternehmen. Jungdynamische Manager bevölkern besonders Lateinamerikas Wallstreet, die Avenida Paulista mit Bankenpalästen, Geschäftshäusern, Firmensitzen der Avenida – oder nach Dienstschluß die vielen nahen Fitnesscenter. Verkäufer der Avenida-Apotheken bestätigen, daß diese jungen Männer – und nicht etwa ältere Semester – die typischen Viagra-Konsumenten sind - „überraschend viele aus aus den Fitnessclubs“. Viele Apotheken haben Viagra, aber auch Konkurrenzprodukte zu Minipreisen sogar im Sonderangebot, groß angekündigt – verkaufen es selbst pillenweise – ein Rezept vom Arzt braucht niemand vorzuzeigen - laut Gesetz eigentlich vorgeschrieben.
Unweit der Avenida Paulista hat der Urologe Sidney Glina seine Praxis, ist Brasiliens führender Experte für erektionsfördernde Medikamente. Im Interview sagte er:
“Inzwischen kaufen Brasiliens Männer eine Packung Viagra so problemlos wie Kondome in der nächsten Apotheke oder Drogerie, sehen Viagra nicht als Medikament, sondern als Mittel zur Luststeigerung, um im Bett besser zu sein. Viele getrieben von typisch männlicher Versagensangst, dazu furchtbarer Angst davor, daß die Partnerin weitererzählt, wie schlecht man war. Und für diese Art von Männern ist Viagra eben eine großartige Waffe. Hinzu kommt, daß etwa die Hälfte der brasilianischen Männer schwächere, stärkere Erektionsschwierigkeiten hat – doch nur etwa zehn Prozent von ihnen sucht ärztliche Hilfe“
Brasilien gilt als sehr sinnenfrohes Land, dort würde man solche massiven Versagensängste gar nicht vermuten – und gemäß einer repräsentativen Weltumfrage ist brasilianischen Frauen und Männern Sex weit, weit wichtiger als Bewohnern der Industriestaaten. Genau da, so Sidney Glina, liege das Problem:
„Die brasilianische Gesellschaft ist wirklich viel sexualisierter, sinnlicher – Sexualität ist im Alltags-und Beziehungsleben der Brasilianer viel präsenter. Trotzdem fehlt den Brasilianern Sexualaufklärung – und das ist das Schlimme: Denn das heißt, der Druck ist viel größer, im Bett immer alles richtig machen zu müssen. Ohne genau zu wissen, was normal und natürlich ist. Jugendliche, aber auch Männer, sind deshalb vorm ersten Mal mit einer neuen Partnerin direkt gestreßt – und bei Streß produziert der Körper viel mehr Adrenalin – schlecht für die Erektion. Da kommt Viagra wie gerufen, gibt Sicherheit – all dies zählt zu den Gründen für den Erfolg von Viagra.“
Besonders den jungen, guttrainierten, muskulösen Macho-Männern der Fitneßcenter und Sportclubs gebe Viagra Sicherheit - denn eine Blamage im Bett wäre für deren Selbstwertgefühl besonders verheerend, entsprechend ängstlicher, unsicherer seien diese, produzierten noch mehr Adrenalin – schließlich erwarteten die Frauen von ihnen auch Besonderes. Glina betont wie viele seiner Kollegen die psychische Abhängigkeit von Viagra:“Viele jüngere Patienten sagen, ich will Geschlechtsverkehr endlich auch ohne Viagra hinkriegen. Die brauchen dann eine Therapie.“ Auch andere Experten sprechen von einer signifikanten Zahl junger Männer, die solche Therapien suchen. „Viele Frauen finden Viagra einfach furchtbar – denken, mein Partner hat eine Erektion nicht mehr wegen mir, sondern wegen diesem Medikament. Ich kenne Männer, die nehmen Viagra wegen der Seitensprünge in der Mittagspause.“ Gemäß Meinungsumfragen beklagen Frauen, daß wegen Viagra die erotische Verführung, die Eroberung seinen Sinn verliere. „Man hat den Eindruck – ob ich es bin oder eine beliebige andere Frau – für den Mann, der Viagra nahm, völlig egal“, so eine Sexualexpertin aus Sao Paulo.
Urologe Gina spricht in Bezug auf Viagra von einer „Sexualisierung der Selbstbehandlung“ – ohne ärztliche Konsultation Medikamente einzunehmen, ist angesichts der für den Durchschnittsbürger horrenden Arztkosten in Brasilien landestypisch, schließlich bekommt man auch stärkste Herzmittel ohne Rezept.
Stellungnahmen etwa des Gesundheitsministeriums gibt es nicht. Drogenexperten nennen bedenklich, daß Viagra auch zu gängigen Szene-Cocktails aus Alkohol und Kokain bzw. Ecstasy gehört, welche tödlich wirken könnten. Neuerdings verkaufen zahllose Apotheken, Drogerien des Landes unterm Ladentisch billiges gefälschtes Viagra aus Paraguay, genannt Pramil – auch in Sao Paulo.
Auffällig zudem, wie aggressiv, massiv gerade für Viagra geworben wird – doppelseitige Farbanzeigen in Nachrichtenmagazinen, selbst große Werbeflächen auf Straßen.
Maria Bernardes aus Sao Paulo, eine Bankangestellte um die dreißig:“Mein Freund war im Bett so merkwürdig euphorisch, so unheimlich aufgekratzt, mochte überhaupt nicht aufhören, obwohl ich schon längst müde war – ich sollte ihn als tollen Macho bewundern, der die ganze Nacht durch kann. Erst Monate nach unserer Trennung hat er mir gestanden, daß die Dauer-Erektion nur von der Pille kam. Machismus pur. Denn für mich wäre kein Problem gewesen, wenn er mal nicht so wie üblich funktioniert hätte. Doch er, als Macho, hätte das nicht verwunden. Schrecklich, daß jetzt sogar Jugendliche schon Viagra nehmen, weil die auch schon in diese Macho-Kultur reingerutscht sind, genauso ticken wie die erwachsenen Männer.“
Laut Weltumfragen benutzen brasilianische Männer am häufigsten Prostituierte – doch auch diese ärgert Viagra: „Wer das Zeug genommen hat, geht furchtbar auf die Nerven, ist unersättlich, weil sein Schwanz auch nach der Ejakulation steif bleibt, er immer wieder will“, sagt eine „Puta“ Sao Paulos. „Heute gibts viele Jüngelchen um die zwanzig, die Viagra nehmen, und dann in Gruppen bei uns auftauchen, uns beeindrucken wollen – aber wir durchschauen das natürlich. Nach einer Stunde maximal ist bei mir Schluß – ich schnappe mir das Geld und haue ab – auch wenn er bei ihm noch steht.“

http://www.ostblog.de/2004/12/brasiliens_erotischer_sex.php

Klaus | 02.02.07 18:40 | Permalink

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