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Französische No-Go-Areas mit staatlicher Unterstützung

- von Emmanuelle Piriot aus Paris -

Seit Mitte Januar steht Innenminister Nicolas Sarkozy als Kandidat der neogaulistsiechen UMP für die im Frühjahr anberaumte Präsidentschaftswahl in Frankreich fest. Überraschenderweise hat der „Saubermann“, der während der Unruhen in den Pariser Vorstädten, dessen BewohnerInnen „Kärchern“ wollte, seinen Stamm-Wahlbezirk nicht etwa im XVI. Arrondissement, einem gut betuchten Bezirk von Paris, sondern in der Rue d’Enghein.

Diese Strasse liegt im X. Bezirk, einem sehr populären, multikulturellen Teil der französischen Hauptstadt, die etwa mit Kreuzberg vergleichbar ist. Sie liegt am nördlichen Ende der Rue Saint-Denis, die vielen auch wegen der Prostitution bekannt sein wird. Der Kiez rund um die Rue d’Enghein wird auch die „petite Turquie“ genannt, da viele seiner BewohnerInnen ursprünglich aus der Türkei stammen und das Leben auf den Strassen kennzeichnen.

Über diese Nachbarschaft waren die Mitarbeiter des ausländerfeindlichen Innenministers, der selbst ein „Secundo“ ist, da dessen Eltern ungarische Einwanderer waren, gar nicht erfreut. Was für ein Malheur’chen für das Wahlkampfbüro, dachten zunächst ironisch KritikerInnen der konservativen Politik des Innenministers.

Es verwundert wohl kaum, dass durch das hyper-hygienische Auftreten des ungebetenen Nachbarn, die dortigen Autochthonen über den Neuankömmling nicht begeistert sind.

Seit Anfang Januar herrscht im gesamten Kiez auch aus anderen Gründen eine betrübte Stimmung: es ist die verstärkte Präsenz der Polizei im Kiez.

Am 15. Januar bekamen alle Einwohner in die Briefkästen einen Brief von der Polizei zugeschickt, in welchem sie dazu aufgefordert wurden sich schnellstmöglich -in Zusammenhang mit einer Erhebung zur Sicherheit in dem Bezirk- telefonisch zu melden. Diese teilten zur großen Überraschung jener Personen, die der Aufforderung nachkamen mit, dass Paparazzis nicht geduldet werden und man diese auf keinen Fall bei sich im Kiez empfangen dürfe. Die Polizei drohte weiter, wegen einer angeblichen Terroristengefahr mit dem Einsatz von Scharfschützen auf den Dächern. Wie sich kurz danach herausstellte, waren die Absender der ominösen Briefe in Wirklichkeit Beamte des Renseignements Généraux, des französischen Verfassungsschutzes. Die Aktion diente lediglich dazu potentiell in Frage kommende Nachbarn und unangemeldete BewohnerInnen zu registrieren. Mit der Briefaktion sollten sie sich selbst outen.

Seitdem berichten die verärgerten und unter Generalverdacht gestellten Nachbarn auf einem eigens dazu gegründeten Blog: http://rentrecheztoi.blogspirit.com/ täglich über ihre Erfahrungen mit dem „wachsamen Nachbar“ im Kiez. Darin beschreiben sie den Verlust der Wohn- und Lebensqualität in einem zum Hochsicherheits-Viertel umfunktionierten Stadtteil.

„In einem zivilisierten Viertel, indem wir wohnen brauchen wir keine Bullen“, meint einer der Autoren des Blogs. Die Niederlassung eines Politikers in einem multikulturellen Viertel inmitten Paris könnte als Symbol der wieder entdeckten Menschlichkeit eines Präsidentschafts-Kandidaten gewertet werden, der die Franzosen versöhnen möchte und dies zu seinem Wahlmotto machen will, schreibt ein anderer.

Die Mehrheit der KiezbewohnerInnen will sich aber nicht der denunziatorischen Logik von Sarkozy unterwerfen lassen. Auf ihrem Blog rufen sie zum Widerstand auf: wenn unser Kiez ein Model ist, dann wird nach einem evtl. Wahlsieg von Sarkozy bei den Präsidentschaftswahlen ganz Frankreich, wie unser Kiez aussehen, er wird von Hunderten von Polizisten umzingelt werden, schreiben sie. Deshalb rufen sie alle auf, dies zu verhindern und auf gar keinen Fall Sarkozy bei der Präsidentschaftswahl eine Stimme geben.

An Sarkozy’s Eingangstür hängt ein Zettel, auf dem zu lesen ist: „Sehr geehrte Damen und Herren, wir bitten Sie keinen Müll vor dem Gebäude stehen zu lassen. Es ist schon schlimm genug, dass die Umgebung so düster ist. Geben wir uns Mühe, dass es wenigstens sauber bleibt. Danke!“

Die Strategie des konservativen Innenministers ist zynisch und bedrohlich zugleich. Nach dem er eine beispiellose Verschärfung des Ausländerrechts durchgesetzt hat, zahlreiche Abschiebungen und die Ausgrenzung von MigrantInnen zu verantworten hat, kann seine Niederlassung im X. Bezirk nur als Drohung gegenüber seinen BewohnerInnen verstanden werden. Es ist eine Warnung an alle, die sich den Homogenisierungstendenzen der jakobinischen Republik und ihrer nationalen Einheitskultur nicht ergeben wollen.

Die „nationale Befreiung“ des X. Bezirks ist dabei gedanklich lediglich ein Spiegelbild des in Deutschland praktizierten rassistischen No-Go-Area-Konzeptes der extremen Rechten. Damit betreibt Sarkozy als bekennender Gegner eines EU-Beitritts der Türkei in der sogenannten „petite Turquie“ einen Kulturkampf der Symbolcharakter hat für das das gesamte Frankreich.

Die Einwohner machen sich bereits jetzt Sorgen um die zahlreichen Nachbarn ohne Papiere, die Sans-Papiers. So wurde am 7. Februar um 6 Uhr Morgens ohne Vorankündigung das kurdische Zentrum in einem Gebäude direkt neben Sarkozy’s Haus „wild“ durchsucht. 17 Personen wurden dabei festgenommen. In den bürgerlichen Medien hieß es, „Terroristen“ von der PKK seien in einem Überraschungsschlag festgenommen worden.

Die Autorin ist Mitarbeiterin des JournalistInnen-Kollektivs "Krise und Kritik".

Info:

Blog "Rentre chez toi" (zu sich nach Hause kehren) http://rentrecheztoi.blogspirit.com/

Michal Stachura | 13.02.07 11:27 | Permalink