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Brasilien im Alkohol- und Biodieselrausch

--von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro--
November 2005 verbrannte sich der 65-jährige brasilianische Umweltschützer Francisco Anselmo Gomes de Barros, um zu verhindern, daß neue Ethanolfabriken in der ökologisch sensiblen Region des Pantanals entstehen. 1982 hatten er und seine Mitstreiter ein Gesetz zum Verbot weiterer Alkoholfabriken durchgesetzt, weil vor allem die Abwässer der Destillerien das größte Feuchtgebiet der Welt bedrohen. Der Verbrennungstod des Umweltschützers brachte dem Pantanal allerdings nur 12 Monate Aufschub.

Mitte Dezember 2006 nun entschieden die Abgeordneten von Mato Grosso do Sul, das Gesetz zugunsten der Ethanolproduzenten zu ändern, sprich zu entsorgen. Diese Entscheidung der Parlamentarier des brasilianischen Bundesstaates Moto Grosso do Sul zeigt exemplarisch, wohin Lateinamerikas größtes Land unter der Regierung der Partei Lula da Silva steuert. Anbau von Nachwachsenden Rohstoffen und "Biotreibstoffexport" auf Teufel komm raus.
Alkohol als Treibstoff für täglich immer mehr werdende Autos war bereits ein Programm der brasilianischen Militärregierung. Ihr rücksichtslos gegen Kleinbauern, traditionelle Bevölkerungsgruppen und auf Kosten der Ökosysteme wie Mata Atlantica (Küstenregenwald) und Cerrado (Savanne) durchgesetztes PROÁLCOOL-Programm, das der alternative Nobelpreisträger José Lutzenberger einst als betrügerisch, unmoralisch und verbrecherisch kritisierte, sorgte zur Ausweitung des großflächigen Zuckerrohranbaus vor allem im Südosten, Nordosten und Südwesten Brasiliens. Heute wächst Zuckerrohr in Brasilien auf einer Fläche von fast sieben Millionen Hektar (6.988.990 Hektar - Prognóstico da produção agrícola nacional, Outubro de 2006), die in erster Linie in der Hand von Großgrundbesitzern sind. Aber weil heutzutage Ethanol auch den Namen Bioalkohol trägt und als angeblich umweltfreundlicher Treibstoffersatz für Benzin gilt, will Brasilien seine "Bioalkoholproduktion" noch ausweiten für den Export nach Europa, Japan, Südasien und in die USA. Bereits 2003 warf der Amazonasstaat rund 1,7 Milliarden Liter Ethanol auf den Weltmarkt. Nach Meinung des Ex-Landwirtschaftsminister Roberto Rodrigues könne Brasilien die Zuckerrohranbaufläche „problemlos“ um weitere 20 Millionen Hektar erhöhen, was allerdings bei Menschenrechtlern und Umweltschützern die Warnlampen aufblinken lässt. "Die Expansion des Zuckerrohrs bedroht dabei vor allem Kleinbauern und Kleinpächter, die keine Investitionsmöglichkeiten haben und die mit ihrem Kleinbesitz nicht in den Zuckerrohranbau einsteigen können - ihre Flächen werden in die agroindustriellen Komplexe einbezogen und wer nicht freiwillig weicht, wird brutal vertrieben", so das Protokoll der Arbeitsgruppe Außenhandelspolitik am Beispiel Zucker der Brasilientagung 02.12.- 04.12.2005 in Gelnhausen.
Biodiesel aus Palmöl
20 bis 25 Prozent Alkohol im Benzintank ist schon lange Alltag in Brasilien. Neu ist Biodiesel an der Tankstelle. Tagtäglich flimmern Werbespots von der Regierung oder vom brasilianischen Erdölkonzern Petrobras über den Bildschirm, in denen für Biodiesel geworben wird. Naturlandschaften werden in den Spots gezeigt, die sich in Windeseile in Soja- oder Sonnenblumenplantagen bis zum Horizont wandeln, was ausnahmsweise tatsächlich der Realität entspricht. Die Ausweitung der Monokulturen von Tausenden von Hektaren für die Pflanzenölproduktion als Basis von Biodiesel ist spätestens seit 2004 erklärtes Ziel der Regierung Lula da Silva, die nach eigenen Worten, die Welt mit Biodiesel versorgen will.
Angefangen hat der Biodieselrausch mit der Einweihung der ersten Biodiesel-Fabrik im Amazonas-Bundesstaat Para 2004. Denn an vorderster Biodiesel-Front steht die 1982 unter der Militärdiktatur gegründete Konzerngruppe Agropalma (CRAI, Agropalma, AGROPAR, Amapalma und Palmares), die im Amazonasgebiet die aus Westafrika stammende Ölpalme anbaut. . Nach eigenen Angaben besitzt dieser Konzern derzeit 105.000 Hektar Land im Amazonasgebiet des brasilianischen Bundesstaates Para und baut Ölpalmen auf 34.000 Hektar an sowie laesst Ölpalmen auch auf weiteren 5000 Hektaren von "Kleinbauern" anbauen.
Zusammen mit den Unternehmen Ecomat, Dedini und der brasilianischen Bundesregierung startete Agropalma 2004 das Nationale Biodieselprogramm - Programa Nacional de Biodiesel. Agropalma ist Lateinamerikas größter Palmölproduzent und will im nächsten Jahr seine Produktion von Biodiesel, auch Palmdiesel genannt, auf 185.000 Tonnen steigern. Gleichzeitig wirbt Agropalma mit einem vom Instituto Biodinamico, dem brasilianischen Demetervertreter, ausgestellten Biosiegel, weil es einen kleinen Teil seiner Plantagen biologisch bewirtschaftet. Peinlich: Das „Öko-Waschmittel-Unternehmen“ Sodasan in Deutschland, das Palmöl von Agropalma bezieht, bezeichnet den Konzern, der für 80 Prozent der brasilianischen Palmölproduktion verantwortlich ist, verniedlichend als „Projekt“. Sodasan: „Bereits seit 1982 arbeitet im Nordosten Brasiliens das Projekt Agropalma, das u.a. Ölpalmen in Demeter-Qualität anbaut. Die Ernten sind überdurchschnittlich gut, da die klimatischen Bedingungen sehr günstig sind..“
Sojadiesel ist billiger
Der Biodieselboom betrifft ebenso die von wenigen Unternehmen dominierte Sojabohnenbranche des Landes. Hauptakteur im Soja-Business ist das gleichfalls noch unter der brasilianischen Militärdiktatur 1977 gegründete Soja-Unternehmen, Grupo André Maggi mit besten Kontakten zu internationalen Banken und angeblichen Umweltschutzorganisationen wie dem World Wide Fund for Nature. Nach eigenen Angaben kontrolliert die Grupo Amaggi eine Anbaufläche von über 60.000 Hektar, arbeitet im Soja-Transportgeschäft und ist mitverantwortlich für den Straßenbau bis ins Herz Amazoniens für die Soja-Transport. Die weiteren Hauptakteure im brasilianischen Soja-Business heißen BUNGE und CARGILL.
2006 wuchsen insgesamt 55 Millionen Tonnen Sojabohnen auf einer Anbaufläche von über 22 Millionen Hektar in Brasilien. 25 Millionen Tonnen wurden exportiert. Für 2007 wird geschätzt, dass 1,2 Millionen Tonnen der Soja-Ernte zu Biodiesel verarbeitete wird. Berechnungen der Landwirtschaftsschule “Escola Superior de Agricultura Luiz de Queiroz (Esalq)” zufolge sei die Herstellung von Biodiesel aus Soja am billigsten.
Soja und Regenwaldzerstörung
Die meisten Soja-Plantagen liegen im Süden, Südwesten und in Zentralbrasilien. Hauptopfer der Sojaexpansion sind deshalb die extrem artenreichen Cerrado-Trockenwaldökosysteme. Inzwischen dringt die Sojafront aber auch schon in die Region des Amazonasregenwaldes vor. Das heißt aber nicht, dass „direkt“ Regenwald in Sojaplantage umgewandelt wird. Das System ist etwas komplizierter. Man spricht hier vom „Vorantreiben der Rinderzüchterfront“. Zuerst wird der Wald abgeholzt, um Platz für eine Rinderweide zu machen. Nach einiger Zeit dann übernimmt ein Soja-Agrounternehmen das Land und pflanzt Soja, der Rinderzüchter wiederum lässt ein weiteres Stück Regenwald abholzen, und so weiter und so fort. Die Gruppe Amaggi und die Vereinigung der Pflanzenölproduzenten (ABIOVE) sowie die Vereinigung der Getreidexporteure (ANEC) können deshalb bequem behaupten, dass sie für ihre Anbauflächen keinen Regenwald abholzen – das machen die Rinderzüchter für sie – und nur bereits abgeholzte „degradierte“ Flächen nützen.
Bitteres Rizinusöl
Brasiliens derzeit größter Biodieselproduzent ist das 2003 gegründete Aktienunternehmen Brasil Ecodiesel, so die Daten der Agência Nacional do Petróleo, Gás Natural e Biocombustíveis (ANP). Hauptaktionär ist die Firma Eco Green Solutions, die wiederum dem BT Global Investment Fund gehört, der wiederum von einem weiteren Unternehmen mit Sitz auf den Cayman-Inseln kontrolliert wird. Ecodiesel hat keine eigenen Plantagen. Das Unternehmen lässt anbauen und zwar Soja und Rizinus von industriellen Agrarbetrieben und von Kleinbauern vor allem im Nordosten Brasiliens. Die Gesamtanbaufläche von Rizinus betrug in diesem Jahr 142.899 Hektar.
Weil Ecodiesel sein Rizinusöl von familiären Betrieben anbauen lässt, trägt das Unternehmen zwar das staatliche Siegel (Selo Combustível Social) für sozial verantwortliches Biodiesel und genießt deshalb deutliche staatliche Vergünstigungen. Doch so sozial ist weder Ecodiesel noch Agropalma, das gleichfalls das selbe Siegel bekommen hat. Das System sei nichts als eine moderne Form der Sklaverei, sagt die Brasilianische Soziologin Marcia Gomes de Oliveira aus Rio de Janeiro. Denn die vorher selbständig produzierenden familiären Betriebe begeben sich mit der Umstellung auf Rizinus oder andere Ölpflanzen in eine gefährliche Abhängigkeit von einem einzigen Abnehmer, dessen Produkt wiederum langfristig gesehen vom Weltmarktpreis abhängig ist. Faktisch treibt dies nicht nur die normalerweise Nahrungsmittel für die lokalen Märkte anbauenden Kleinbauern in eine gefährliche Abhängigkeit vom Weltmarkt. Auch die von den familiären, bäuerlichen Betrieben ursprünglich versorgte Bevölkerung gerät damit in die Abhängigkeit vom Weltmarkt oder besser gesagt in die Abhängigkeit von den Nahrungsmittelkonzernen, weil sie nun nicht mehr ihre Bohnen, Mais, Kartoffeln, Chilli, ihr Gemüse auf dem Markt oder beim Bauern um die Ecke kaufen können, sondern nur noch in den Supermarktketten, Mundial, Pão de Açcucar, Lidl, Carrefour oder Wal Mart.

Brasilien im Alkohol- und Biodieselrausch: Das Land wird einen anständigen Kater haben, wenn es eines Morgens aus dem Rausch erwacht.

Klaus | 09.01.07 16:09 | Permalink