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Brasilianischer Befreiungstheologe Frei Betto kritisierte Lulas Haltung zu Linken und Rechten

Enge Kooperation mit Ex-Minister der Folterdiktatur verurteilt
Waldemar Rossi von der Arbeiterseelsorge: "Lula war stets ein Konservativer, für das kapitalistische System"

von Klaus Hart, Sao Paulo

Der brasilianische Befreiungstheologe und Bestsellerautor Frei Betto hat Staatschef Lulas Äußerung scharf kritisiert, wonach jene, die sich als Ältere noch zur Linken zählten, nicht ganz bei Troste seien. Der Dominikaner-Ordensbruder verurteilte zugleich Lulas enge Zusammenarbeit mit dem rechtskonservativen Ex-Minister der 21-jährigen Militärdiktatur, Delfim Netto. Wie Frei Betto in Sao Paulo betonte, habe sich die sozialdemokratische Option des Staatschefs in dessen erster vierjähriger Amtsperiode bereits in einer neoliberalen Wirtschaftspolitik gezeigt.

Nur zehn Milliarden der Landeswährung Real seien in das Anti-Hunger-Programm "Bolsa Familia" geflossen, jedoch hundert Milliarden Real an die Gläubiger der öffentlichen Schulden. Dies habe die versprochene und erträumte selbsttragende Entwicklung des Landes verhindert. Lulas respektlose Bemerkung über die Linke beziehe sich auch auf anerkannte Persönlichkeiten wie Fidel Castro, Ho Chi Minh, den brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer sowie auf die beiden Bischöfe Pedro Casaldaliga und Tomas Balduino. Lulas Argumentation entspreche der von US-Präsident Bush und vielen Rechten:"Wer noch vom Ende der sozialen Ungleichheit oder von der Möglichkeit einer anderen Welt träumt, muß verrückt sein."

Frei Betto wandte sich scharf gegen Lulas Freundschaft mit dem Ex-Diktaturminister Delfim Netto. "Delfim übte niemals Selbstkritik wegen seiner Mitschuld am Diktaturregime, das verhaftete, folterte, mordete, verbannte und hunderte von Menschen verschwinden ließ." Vielmehr habe Netto sein Verhalten sogar gerechtfertigt. Der Befreiungstheologe nannte es besorgniserregend, wenn Lula die Freundschaft mit Netto als "Signal menschlicher Evolution" betrachte.

Zuvor hatte Waldemar Rossi, der zu den Führern der katholischen Arbeiterseelsorge zählt, in Sao Paulo betont, daß Lula nie der Linken angehörte. "Mit seiner Äußerung, wonach jemand, der als Älterer immer noch links stehe, nicht ganz bei Troste sei, wollte sich Lula schlichtweg den Unternehmern anbiedern. Und zeigte wieder einmal, wer er wirklich ist. Lula gleicht einem Chamäleon - paßt sich an - entsprechend seinen persönlichen Interessen. Lula gehörte nie zur Linken, war stets ein Konservativer, wollte einfach persönlich Karriere machen. Man schaue sich nur an, welche Privilegien er jetzt sich und den Seinen verschafft hat - einfach absurd. Nur ein Idiot sieht und begreift dies alles nicht. Lula wußte geschickt die Naivität der Linken auszunutzen, die ihn zu einem revolutionären Führer machen wollten. Er ergriff die Chance, stieg auf - und verpaßte danach sowohl der brasilianischen Linken als auch den brasilianischen Sozialbewegungen, ob Landlose oder Studenten, einen Tritt in den Hintern. Von denen will er nur Wahlstimmen - aber sie sollen ihm keine Problem machen. Die Welt, die er für sich erträumt, ist die eines Reichen, eines Privilegierten. Seine Vision ist die des Kapitals. Lula war stets für das kapitalistische System, von Anfang an. Er hat eine strikt kapitalistische Sicht der Dinge, biederte sich stets jenen an, die die wirtschaftliche Macht haben."

Aber in Europa haben viele doch Lula zum neuen Star der Linken hochgejubelt, definieren ihn als Linken? "Die haben einfach nichts begriffen, sind realitätsfremd. Nie hat das Kapital in Brasilien solche Gewinne gemacht wie unter Lula. Realitätsfremde Universitätslinke, jene, die nur von der Theorie her kommen, hielten in Brasilien Lula für einen Linken - nicht aber die Arbeiter an der Basis, die machten sich keine Illusionen." Rossi hatte beim Papstbesuch von 1980, zur Diktaturzeit, in einem Fußballstadion Sao Paulos als Vertreter der Arbeiter zu Johannes Paul dem Zweiten gesprochen, sich mit ihm getroffen.

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Waldemar Rossi

Ex-Metallarbeiter Rossi äußerte sich auch zu Darstellungen, wonach der Ex-Gewerkschaftsführer Lula zur Diktaturzeit geradezu legendäre Streiks geleitet und damit die Foltergeneräle herausgefordert habe. "Lula war nie für Streiks - diese wurden nur deshalb organisiert, weil die Basis sie verlangte. Und nur, weil die Arbeiter es verlangten, vertrat Lula bestimmte politische Positionen. Nach der Diktaturzeit hat Lula große, historisch wichtige Streiks, darunter der Ölarbeiter und Lehrer, öffentlich verurteilt."

Rossi nannte einen Ausspruch Lulas aus der Regimeepoche sehr aussagekräftig, in dem der heutige Staatspräsident bestimmte Sympathien für Adolf Hitler geäußert hatte. "Er irrte zwar", so Lula in einem Interview, "hatte aber etwas, das ich an einem Manne bewundere - dieses Feuer, sich einzubringen, um etwas zu erreichen. Was ich bewundere, ist die Veranlagung, Hingabe."

Laut Rossi zeigt das Zitat ein ganz bestimmtes Werteverständnis, auch über das Anstreben der Macht. "Hitler kam an die Macht, hatte es geschafft."

Der katholische Arbeiterseelsorger erinnerte zudem an die sehr guten Kontakte Lulas sowie von dessen Flügel der Arbeiterpartei, zudem vom Gewerkschaftsdachverband CUT, zur SPD. "Schon vor dem Fall der Mauer absolvierten viele von PT und CUT bei der SPD in Deutschland Schulungen, Ausbildungen."
Die Analysen Frei Bettos und Rossis machen verständlich, weshalb Lula in Deutschland häufig der Linken zugeordnet wird.
Gemäß dem neuen Jahresbericht von "Human Rights Watch" ist unter Lula in Brasilien die Folter weiterhin ein ersnstes Problem.

Claudio Abramo von "Transparency International" zu Linken in Brasilien
Die renommierte Universitätsprofessorin Anita Prestes aus Rio, Tochter der von den Nazis in Bernburg vergasten Jüdin Olga Benario, betont, in Brasilien gebe es weder linke Parteien noch linke Organisationen, lediglich linke Einzelpersönlichkeiten. So sieht es auch der Sozialwissenschaftler Claudio Abramo, Exekutivdirektor von "Transparencia Brasil", Teil des weltweiten Anti-Korruptions-Netzwerkes "Transparency International". Im Exklusivinterview sagte Abramo:"Hier gibt es keine linke Organisation - soetwas ist hier nicht verwurzelt. Und ein gesellschaftliches Segment, das eine linke Partei tragen könnte, existiert auch nicht. Wir sind ein deutlich unterentwickeltes Land."

Klaus | 09.01.07 13:21 | Permalink