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Das deutschstämmige Sao Josè do Hortencio in Südbrasilien - bestverwaltete Gemeinde des Riesenlandes

--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Rio de Janeiro, Sao Paulo, der Norden und Nordosten Brasiliens machen täglich in der Presse des Tropenlandes Negativschlagzeilen - Skandale und Katastrophen jeder Art, Gewaltkriminalität, Blutbäder in den riesigen Slums. Der deutschstämmig geprägte Süden ist davon ausgenommen, gilt als die am humansten entwickelte Region, mit dem höchsten Zivilisationsgrad, der niedrigsten Arbeitslosigkeit. Werden alljährlich die am vorbildlichsten und sozialsten verwalteten Städte und Gemeinden ganz Brasiliens gekürt, liegen die Bestplazierten gewöhnlích tief im Süden.

Dieses Jahr ist es Sao Jose do Hortencio im Teilstaate Rio Grande do Sul, nur sechzig Kilometer von Porto Alegre, der Stadt des Weltsozialforums, entfernt.
Es ist ein ruhiger, gepflegter Ort mit rund viertausend Einwohnern, schönen Einfamilienhäusern und Gärten, vielen Bäumen in leicht hügeliger Landschaft. Anibaldo Petry, 67, haben die Leute nun schon zum dritten Mal zu ihrem Bürgermeister gewählt, weil er seine Sache offenbar gut macht.
“Wir haben hier keine Reichen, aber wir haben auch keine Armen, keinen Slum, keine Elendsperipherie – sowas gibts hier nicht. Arbeitslosigkeit fehlt auch, jeder hat seinen Beruf – das ist uns ganz wichtig. Deshalb sieht man tagsüber auch kaum Leute auf der Straße, hängt keiner herum. Denn wir haben eine Leder-und eine Schuhfabrik, eine kleine Möbelfabrik und ein Unternehmen für Betonteile. Der Rest arbeitet in der Landwirtschaft oder im Handel. So gut wie alle Kinder sind in der Schule, die wir ordentlich ausgestattet haben. Ein Minihospital mit Ärzten gibts auch. Kriminalität? Ich glaube, vor vier, fünf Jahren ist mal eine kleinere Sache passiert, für die Polizei gibts hier nichts zu tun.“
Natürlich ist Bürgermeister Petry stolz auf die Auszeichnung – das kleine, unbekannte Sao Josè do Hortencio auf einmal in den großen Zeitungen, im Fernsehen. Stolz überhaupt auf den „Sul maravilhoso“, den wunderbaren Süden, wie man in Brasilien sagt. Das hochverschuldete Tropenland hat rund 185 Millionen Einwohner und 26 Teilstaaten. Doch der südlichste, Rio Grande do Sul, mit rund zehn Millionen Einwohnern, ist auch dieses Jahr wieder einsame Spitze. Unter den zehn bestadministrierten Städten und Gemeinden sind gleich drei aus Rio Grande do Sul, unter den einhundert besten sogar 39. Bürgermeister Petry:
“Was hat uns geholfen, auf diesen ersten Platz zu kommen? Ich meine, das liegt vor allem daran, wie wir planen und wie wir uns mit den Einwohnern abstimmen. Es wird nicht mehr ausgegeben, als in der Gemeindekasse ist. Die Leute wollen, daß wir sparsam wirtschaften. Anderswo sind die Präfekturen aufgebläht, voller Leute – bei uns nicht. Nur 29 Prozent der Haushaltsmittel geben wir für Löhne und Gehälter aus. Jedes Jahr fragen wir auf Gemeindeversammlungen, was verbessert werden soll. Würde es zu teuer, sage ich nein. Wir haben eine Sporthalle gebaut, aber alle Straßen zu asphaltieren, wie viele wollen, das geht noch nicht.“
Daß die Gemeinde so gut da steht, so betonen die Landesmedien, habe damit zu tun, daß 95 Prozent der Einwohner Deutschstämmige seien, mit traditionell hohem Gemeinschaftssinn, Modernisierungsmentalität, diszipliniert, verläßlich, fleißig. Bürgermeister Petry zögert ein bißchen, das zu bestätigen, will wohl nichts politisch Unkorrektes sagen. “1828 kamen die ersten Deutschen hierher – und seitdem wird eben hier anders gearbeitet, ist es ein anderes System als anderswo, das hilft uns eben mächtig. Aber oft machen wir auch Fehler, wer macht die nicht!“ Die sogenannten deutschen Tugenden, zuhause von Deppen gewöhnlich lächerlich gemacht – im soziokulturell und wirtschaftlich weithin chaotischen Lateinamerika mit seinen zahlreichen hausgemachten Problemen, werden sie einem permanent positiv angekreidet. Bei Deutschen, in deutschen Betrieben habe man erst richtig arbeiten gelernt, kommentieren Einheimische ungefragt immer wieder.
Wie infantil und ineffizient nicht wenige brasilianische Betriebe strukturiert sind, kann sich in Deutschland gewöhnlich kaum jemand vorstellen. In staatlichen Unternehmen werden nicht selten viele extrem unqualifizierte, dazu unkollegiale und frauenfeindliche, das Arbeitsklima vergiftende, die Produktivität senkende Leute geduldet, so daß qualifizierte Mitarbeiter die von ihnen im Grunde überhaupt nicht gewollte Privatisierung letztlich regelrecht herbeiwünschen.
„Man liebt uns nicht gerade, aber respektiert uns“, bekennt ein deutscher Konsul. Das Oktoberfest nach Münchner Vorbild, zuerst im südbrasilianischen Blumenau veranstaltet, fand ungezählte Nachahmer, ist heute gleich nach dem Karneval das landesweit beliebteste, größte Volksvergnügen – selbst Indianer mögen es, tragen Blumenau-Oktoberfest-T-Shirts dann in Amazonien. Die Wertschätzung für große deutsche Persönlichkeiten geht soweit, daß nicht-deutschstämmige Brasilianer, Argentinier, Chilenen ihren Kindern bis heute amtlich registrierte Vornamen wie Goethe, Schiller, Mozart, Beethoven und sogar Beckenbauer und Rummenigge geben. Indessen – manche Schwarze und Weiße heißen Hitler, Himmler oder Rommel. In Brasilien leben gemäß Schätzungen rund sechs Millionen Deutschstämmige und Deutsche(etwa die Hälfte davon in Rio Grande do Sul), in Argentinien etwa 1,2 Millionen, in Mexiko weniger als dreißigtausend.
Und dann erinnert sich Bürgermeister Petry aus Sao Josè do Hortencio an seine deutschen Vorfahren, schwärmt von den Gemeindefesten mit deutschen Tänzen, deutschen Liedern, spricht auf einmal Hunsrücker Dialekt, wie man ihn häufig in Südbrasilien antrifft. “Mir spreche, wie ich jetzt spreche, ne, so tun mir spreche. Und so sind viele ältre Leut hier, wo nicht portugiesisch könnt spreche...“


Klaus | 15.12.06 18:28 | Permalink