« Brasiliens Lula:Wer als Älterer noch links steht, ist nicht ganz bei Troste | Hauptseite | Das deutschstämmige Sao Josè do Hortencio in Südbrasilien - bestverwaltete Gemeinde des Riesenlandes »

Brasiliens Sekte "Deus è Amor" und ihr Megatempel in Sao Paulo

"Ihr elenden, irregeleiteten Ehebrecher, Masturbierer, auf Sex Versessenen, Raucher, Trinker, TV-Glotzer!"
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Papst Benedikt XVI besucht im Mai 2007 für mehrere Tage Brasiliens Sektenmetropole Sao Paulo. Sogar vor der dem Kölner Dom nachempfundenen Kathedrale agieren tagtäglich Sektenprediger - einige nur laut, andere ekstatisch, schreiend, wie wild herumhüpfend. Brasilien ist zwar nach wie vor das größte katholische Land, doch die Sekten sind dort weiter auf dem Vormarsch, sogar in der Regierung, im Parlament vertreten. Die auch im multikulturellen Deutschland agierende brasilianische Sekte "Deus è Amor", Gott ist Liebe, unterhält mitten in der drittgrößten Stadt der Erde, in der über tausend deutsche Firmen vertreten sind, den nach eigenen Angaben gewaltigsten Tempel der Welt, der über zweihunderttausend Menschen fassen könne. Im Megatempel werden täglich Wunderheilungen und Exorzismus praktiziert, treibt man von den Anhängern auf dubiose Weise Geld ein.

Alles wird meist live im Radio übertragen, sogar auf mehrere Kontinente. Die zahlreichen anderen Sekten Brasiliens verfahren sehr ähnlich.
„Große Wunder ereignen sich hier im Namen von Jesus Christus“, ruft Missionar David Miranda, Gründer und Chef von „Deus è Amor“ in seiner kugelsicheren Glaskabine ins Mikro - mitten in einer Wunderheilung, einer Cura milagrosa, vor zehntausenden Anhängern. Er wirkt wie ein gutmütiger, weißhaariger alter Onkel, ist dick, trägt einen langen weißen Kittel. Der Schauplatz – Mirandas neuer Tempel, ein gewaltiges kastenförmiges Bauwerk mit bunten, hohen Fenstern, mitten in der modernen City von Sao Paulo, nahe der lateinamerikanischen Leitbörse und der Kathedrale. Am Tempel flattert auch die deutsche, britische, amerikanische, italienische Fahne - unüberhörbar euphorische, frenetische Stimmung. „Die Gelähmten können wieder gehen, die Blinden sehen, die Tauben hören - in diesem neuen Tempel wurden in nur zehn Tagen über 1500 von tödlichem Krebs geheilt – und über zweihundert von Leistenbruch. Hier operiert Gott jeden Nachmittag!“
Immer wieder stehen Frauen, Männer aus Rollstühlen auf, die man sofort auf die Altarbühne hebt, wie Trophäen herumschwenkt – schaut her, sie brauchen diese Rollstühle nicht mehr! Alles schreit, klatscht begeistert – es klappt also mit den Wundern, es gibt sie tatsächlich! Andere werfen ihre Krücken weg – bedanken sich enthusiastisch beim Heiligen Geist. Auch die Krücken kommen vor Mirandas Glaskasten. „Es ist vollbracht“, ruft er am Schluß der Wunderheilung aus, „alle sind geheilt, Probleme sind gelöst, alle sind froh und glücklich, dank Gott, dem Herrn!“
Missionario Miranda zelebriert seine sechs-bis siebenstündigen Messen beinahe in Hardrocklautstärke, überall riesige Lautsprechertürme, wie bei Popkonzerten. Miranda predigt, schreit, singt wirklich ununterbrochen, hat unglaubliche Ausdauer und Kondition, wirft sich in seiner Glaskabine schluchzend vor den Altar, immer das Mikrophon umgeschnallt, denn alles wird live bis in den letzten Winkel des Riesenlandes übertragen, dazu auf mehrere Kontinente, mehrfach wiederholt. Und jede Wunderheilung dauert über eine Stunde! Curas milagrosas auch in den zigtausend Tempeln landesweit und in 120 Ländern der Erde, darunter Deutschland. Miranda bildet zügig Wunderheiler-Nachwuchs heran – vor seinem Auftritt läßt er häufig vielversprechende Talente vor die Massen.
Man hätte Miranda, oder wenigstens seine Pastoren, Assistenten, gar die Gläubigen selber gerne gefragt, wie man denn diese Heilungen feststellt, nachweist, ob da Mediziner oder andere Experten hinzugezogen werden. Denn im Sektenradio werden den ganzen Tag über solche Geheilten präsentiert. Haben die Leute wirklich keinen Krebs mehr, können Gelähmte wirklich wieder gehen? Doch merkwürdig, alle hier scheinen extrem medienscheu. Und draußen auf der großen Freiterrasse am Tempel will sich niemand, auch keiner von Mirandas Helfern, dazu äußern. Wochenlange Versuche, tägliche Anrufe, um einen Interviewtermin mit Miranda oder irgendeinem seiner Mitarbeiter zu bekommen, schlagen fehl. In dem mehrstöckigen Sektensitz mit dem Hubschrauberlandeplatz obendrauf räumt eine Anwältin Mirandas nach langem Bohren am Telefon schließlich ein, daß man wohl tatsächlich keine Interviews geben wolle. Brasilianische Journalisten hatten ebenfalls noch nie Glück.
Doch Wunderheilungen sind keineswegs die einzige Spezialität Mirandas. Immer wieder Tumulte in der dicht vor seinem Glaskasten stehenden Menge, wenn Anhänger plötzlich steif wie ein Brett auf den Boden fallen, stöhnen und wie irre zucken, die Augen verdrehen. Laut Miranda sind alle vom Satan besessen, das gebe es viel heutzutage. Deshalb folgt sofort die Teufelsaustreibung, herzueilende Pastoren drücken die Hand auf Stirn und Haar.
„Teufel, laß ab von dieser Frau, verschwinde“, schreit er – bekommt von der Frau zur Antwort: „Er ist weg, der Satan.“
Und schon fällt die nächste Frau um. Irgendwann werden diese Besessenen dann wieder normal, stehen auf, lächeln glücklich. Und Sektenchef Miranda stimmt für die Massen ein fröhliches Liedchen an.
Miranda liebt Campanhas, Kampagnen, startet eine nach der anderen - diese richtet sich wider die Sünde just unter seinen Anhängern, zig Millionen sollen es angeblich sein. Miranda macht ihnen schwere Vorhaltungen: „Hier unter uns sind viele Ehebrecher und Ehebrecherinnen, Masturbierer, auf Geschlechtsverkehr Versessene, dazu Diebe, Vagabunden. Wer von euch Fernsehen mag und weltliche Musik, ist irregeleitet. Wer die heutigen Moden mitmacht, gar im Minirock, den Bauch frei, herumläuft, versündigt sich schwer gegen Gott. Und auch wer raucht, trinkt, kommt nicht in den Himmel, wird in der Hölle schmoren. Her mit den Zigaretten, und mit den anderen Drogen – wir werden alles hier vorne am Altar vernichten. Ihr Frauen, macht die Taschen auf – her mit dem ganzen Schminkzeug! Oh ihr Scheinheiligen, die ihr euch nicht zu euren Sünden bekennt, euch einfach nicht bessern wollt! Euer Missionar ist mit euch böse! Ja, schämt ihr euch nicht? Doch Gott wird gegen all jene handeln, die nicht von ihren Sünden lassen, merkt es Euch! Deshalb Schluß jetzt mit Fernsehen, Schminken, all den weltlichen Kleidermoden! Oh, ihr Ehebrecher, Ehebrecherinnen! Und jetzt – schämt euch, wehklagt und jammert nur, ihr elenden, miserablen Sünder!
Miranda fällt hinterm Altar auf die Knie, ist nicht mehr zu sehen, schluchzt, heult, stöhnt, wimmert ins Mikrophon – und die riesige Menge schluchzt, heult, stöhnt, wimmert mit. „Oh, ich miserabler Sünder, schlimme Kreatur – Gott hilf mir! Ich werde nie mehr fernsehen, nie mehr rauchen, trinken, werde von all den Moden lassen, Herr, errette mich!“ Viele werfen sich auf den Betonboden der schlichten Tempelhalle – eine dramatische, eigentlich unbeschreibliche Situation.
Das Wehklagen, Jammern dauert allen Ernstes über eine Stunde, wird immer intensiver – bis Miranda endlich wieder aufsteht, Gott dankt.
“Rettung ist möglich – beginnt euer Leben von vorne, aber jetzt mit Gott!“
Auf Europäer mag dies alles irrsinnig, unwirklich und auch sehr anstrengend, stressig wirken - wie absurdes Theater, Zirkus, Scharlatanerie pur, zynisch und teils auch unfreiwillig komisch, sehr komisch sogar. Auch wenn Miranda Geld eintreibt.
Die meist dunkelhäutigen Frauen, Männer stehen und sitzen im Tempel getrennt, halten immer wieder ihre Bibeln hoch, müssen alle paar Minuten lauthals den Suggestivfragen Mirandas antworten. “Noch sind viele Rechnungen für den Tempel zu begleichen“, ruft er aus, „wenn ihr nicht spendet, bin ich geliefert, muß ich ins Gefängnis, muß ich dann in der Zelle ins Handy hineinbeten, damit ihr mich noch im Radio hören könnt. Wollt Ihr das?“ Die Menge empört: Nein, natürlich nicht. Viele Hunderte reichen den ständig herumeilenden Kollektensammlern Geldkuverts und Schecks, worauf Miranda trommelt: Wer jetzt nichts gibt, will also, daß ich ins Gefängnis muß, hehehe! Den Tip, jenen Megatempel zu bauen, habe er direkt vom Herrgott, vom Senhor, bekommen.
Dann fordert Miranda sogleich Spenden für das weltweite Sektenradio „Stimme der Befreiung“ - für die Wunderheilungen sowieso. Denn jedem wurde eingeschärft: Je mehr man gibt, umso höher die Heilungschancen.
Besonders fragwürdig und grotesk, weil es sich ja bei den Anhängern dieser rasch wachsenden Sekte gemäß Studien meist um die Ärmsten der Armen, um Menschen mit geringster oder gar keiner Schulbildung, niedrigstem oder gar keinem Einkommen handelt. Am meisten von Rekordarbeitslosigkeit, Verarmung und Verelendung betroffen – und deshalb auch am meisten für Heilsversprechen solcher Sekten anfällig. Mirandas Publikum fährt kaum Auto, hat nur zu oft nicht mal Geld für Bus oder Metro, läuft dann eben vom Slum zum Tempel. Die Slumperipherie Sao Paulos wächst jährlich um über zehn Prozent.
Ein Blick vom Megatempel Mirandas auf die andere Straßenseite - dort steht die schlichte katholische Kirche Nossa Senhora da Paz – für Pfarrer Guiseppe Bortolato aus Italien ist die neue Nachbarschaft eine schwere Belastung – aber natürlich beobachtet, analysiert er sehr genau, was dort geschieht:
“Den Krach hören wir Tag und Nacht – aus allen Städten Brasiliens, aus Uruguay und Paraguay kommen Buskarawanen. Aber uns läßt man in Ruhe, grüßt uns nicht, sieht uns nicht, hält deutlich Distanz. Doch aus meiner Gemeinde geht niemand dorthin, die Sekte ist für uns keine Konkurrenz. In den Tempel gehen ganz einfache Menschen, die nur sehr simpel denken. Dort werden sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Was Miranda befiehlt, ist ihnen heilig, sie hinterfragen nichts, zweifeln nichts an, halten sich an die Regeln der Sekte. Die Anhänger werden gewarnt, nie in katholische Kirchen zu gehen, denn dort hause der Teufel.“
Aber warum betreibt Miranda das Ganze überhaupt, legt sich so ins Zeug - was sind seine Motive? “Damit verdient er sich schlichtweg den Lebensunterhalt, verwirklicht seinen Lebenstraum von Grandiosität. Miranda investiert viel Geld in solche Bauten, um der Welt zu zeigen, wie großartig er ist. Miranda benutzt die übelsten Methoden, damit die Leute an ihn zahlen – er zieht ihnen noch den letzten Centavo aus der Tasche. Und die Leute geben tatsächlich alles, was sie haben, sogar die, die eigentlich überhaupt nichts besitzen. Aber Miranda und seine Sekte haben keinerlei theologisches Fundament, keinerlei Moral, keinerlei Respekt vor den Wertvorstellungen der Menschen. Bei den Wunderheilungen wird getrickst, das sind alles pure Inszenierungen – er weckt ja verrückterweise sogar Tote wieder auf. Er stellt einen Sarg hin, legt eine angeblich tote Braut hinein, veranstaltet eine Totenwache – und holt die Braut dann wieder ins Leben zurück. Jemand von meiner Gemeinde hat sich das mal angeschaut – Miranda hat wirklich keine Skrupel.“
Aber eigentlich gibt es doch in Brasilien einen Scharlatanerieparagraphen, der all das verbietet? Selbst als Südamerikas reichste, modernste Metropole von Bürgermeisterin Marta Suplicy, Vizechefin von Staatschef Lulas Arbeiterpartei regiert wurde, hatte den Sekten freie Bahn.
“Miranda kann beruhigt so weitermachen, niemand wird ihm etwas anhaben wollen. Und er beraubt seine Anhänger ja in einer sehr gerissenen Form. Der Tempel hat übrigens bereits einen Spitznamen – Geldfabrik, Gelddruckerei.“
Schwer zu übersehen, daß gerade die Sekten auch in Sao Paulo von den Politikern und besonders in Wahlkämpfen umworben werden. Kein Geheimnis – von den über 180 Millionen Brasilianern können nur 26 Prozent richtig lesen, den Inhalt einer Zeitungsseite, eines Buches auch tatsächlich verstehen. Der große Rest, also die Halb-und Vollanalphabeten, ist auch für politische Rattenfänger das gefundene Fressen, läßt sich besonders leicht manipulieren.
Sandra Stalinski aus Süddeutschland betreute in Sao Paulo als „Missionarin auf Zeit“ in Sao Paulo Obdachlose: “Ich empfinde es auch als schockierend, sehe das ab und zu, wenn ich durch die Straßen laufe, wo eben ein Prediger gerade schreit, über Satan spricht... Es gibt auch einige Obdachlose, die davon erzählen, die einen umheimlich fundamentalistischen Glauben haben, die die Bibel wortwörtlich nehmen – wo jedes zweite Wort, das sie sagen, irgendwas mit Gott zu tun hat...Es ist Fatalismus. Daß sie sich mit ihrem Schicksal abfinden – und es liegt alles in Gottes Hand – und ich werd nix dran ändern können. Und das kritisier ich natürlich.“
Brasiliens Sekten haben Zulauf, eröffnen jeden zweiten Tag einen neuen Tempel, oft ehemalige Kinos, Supermärkte, Fabrikhallen. Und auch eine Frau macht Furore als Wunderheilerin, Exorzistin, versetzt Menschenmassen in Hysterie und Ekstase – Lanna Holder aus dem reichen, so modern und weltoffen scheinenden Sao Paulo: “Jetzt wird die Hölle in ihren Fundamenten erschüttert, jetzt droht sie einzustürzen“, schreit sie los, „und der Teufel zittert vor Angst. Denn ich treibe jetzt den Teufel aus euren Leibern – Krebskranke werden geheilt, Querschnittsgelähmte können wieder gehen!“
Lanna Holder zählt zur großen Sektenkirche „Assembleia de Deus“, Gottesversammlung, die sogar Regierungsposten besetzt. Staatschef Lulas Umweltministerin Marina Silva beispielsweise gehört zur Assembleia de Deus - sollte es auch damit zusammenhängen, daß Brasiliens Umweltpolitik weiterhin eine Katastrophe ist, ein Umweltschutz, der diesen Namen verdient, eigentlich gar nicht existiert?
Und die sogenannte Universalkirche vom Reich Gottes gründete sogar Brasiliens Republikanische Partei, aus der Staatschef Lulas Vize stammt – der Milliardär und Großunternehmer Josè Alencar. Der Sektengründer und selbsternannte Bischof Edir Macedo mietet für seine spektakulären Wunderheilungen sogar das größte Fußballstadion der Welt in Rio de Janeiro an.
Neuester Hit der Sekten – die Theologie der Prosperität – Reichwerden durch Gott. Das Motto: An allem persönlichen Mißerfolg, an deiner Misere ist nur der Teufel schuld. Wir treiben ihn aus, helfen dir, wenn du nur willst, intensiv genug glaubst. Und das zündet selbst bei kleinen Händlern, hochverschuldeten Unternehmern, die bei den Gottesdiensten der Prosperität reichlich spenden. Täglich Werbung in den Sektenradios. Auch hier Religion als Spektakel, als Show: Volle Tempel - Tausende strecken Schuldscheine, Arbeitsbücher, Entlasssungspapiere, Kreditkarten, Zettel mit geschäftlichen Projekten gen Himmel – euphorische Stimmung. Jener Bischof Edir Macedo der Universalkirche vom Reich Gottes setzt in Brasilien am erfolgreichsten auf die Teologia da Prosperidade.
Selbst auf seiner Website verkündet er: Wer ein üppig-reiches Leben führt, genießt die Segnungen des Herrn. Gott ist doch kein Sadist, will nicht, daß wir Armut leiden. Wohlstand ist eine Gabe Gottes – und durch die Macht des Glaubens erreicht man ihn auch.“
Daß Sektenpastoren im Luxus leben, der politisch einflußreiche Bischof Edir Macedo das teuerste Privatflugzeug Brasiliens besitzt – und nicht etwa irgendein Banker oder Industrieller - ist da nur folgerichtig, wird akzeptiert, bewundert. Die katholische Kirche fühlt sich von diesem Evangelium des Reichwerdens zunehmend provoziert. “Diese Theologie der Prosperität ist keineswegs eine neue Richtung, wird aber von religiösen Gruppen derzeit viel genutzt“, sagt der deutschstämmige Bischof Odilo Scherer, Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz in Brasilia. „Sie instrumentalisieren den Glauben, die Religiosität auf der Hatz nach materiellen Gütern. Das funktioniert bei vielen Menschen. Denn wer will schon nicht der Misere entfliehen, auf möglichst einfache Weise Geld verdienen? Das sind doch alles betrügerische Versprechen. Du mußt nur an Gott glauben, dann wirst du auch reich! Wem Gott Gutes tun will, dem schenkt er materielle Güter schon auf Erden, ein Leben ohne Probleme! Das ist natürlich eine arglistige Täuschung!“
Doch was sagen die Sekten jenen Anhängern, die weiterhin bitterarm und arbeitslos sind, immer noch nicht in eine Villa umzogen, keinen neuen Wagen fahren? Dein Glaube ist eben nicht tief, nicht intensiv genug – deshalb steckt der Teufel noch in dir, läßt dich nicht weiterkommen. Und gerade von den am wenigsten Gebildeten, also der Bevölkerungsmehrheit, wird das so hingenommen, akzeptiert.
Doch immer wieder kehren Menschen solchen Sekten den Rücken - wie die 35-jährige Rosa de Freitas aus Nordostbrasilien.
“Ich war ein sehr aktives Mitglied, habe die Kinder-und Jugendarbeit der Gemeinde geleitet. Doch dann habe ich auf einmal gemerkt, daß es den Pastoren nur ums Geldeintreiben ging – selbst die ganz, ganz Armen aus dem Slum sollten zehn Prozent ihres Geldes abliefern. Und das fand ich ungerecht. Ich kannte Pastoren, die anfangs sehr, sehr einfach lebten – und nachdem sie eine Kirche verwalteten, wurden die richtig reich, hatten auf einmal sogar einen Fahrer und solche Sachen. Auf Kosten so vieler armer, einfacher Leute, die man schamlos ausbeutete. Das hat mich empört, da bin ich ausgetreten.“
Aber ihre Eltern, beide über siebzig, sind noch dabei, geben brav jeden Monat zehn Prozent ihrer Minirente von umgerechnet 75 Euro dem Sektenpastor. Tochter Rosa de Freitas kann sie einfach nicht davon abbringen.
--Ex-Banditen, Ex-Berufskiller als spektakuläre Prediger—
Wo Pastor Salles auftritt, sind die Kirchen rappelvoll, können es Tausende kaum erwarten, daß er in seiner unnachahmlichen Weise schreit, stöhnt, schluchzt, heult wie ein Schloßhund. Wer als Mitteleuropäer da hineingerät, Brasiliens religiöse Szenerie noch nicht kennt, versteht womöglich die Welt nicht mehr. Darf das denn wahr sein, bin ich wirklich in einer Kirche und nicht im grotesken Spektakel eines gerissenen Scharlatans – und wieso protestiert denn keiner? Doch je stärker der Tobak von Pastor Salles, je lauter die zustimmenden Halleluja-Rufe der Gläubigen. „Ich war reich, hatte Villen und tausende Frauen – in Rio de Janeiro hörten tausende schwerbewaffnete Banditen auf mein Kommando“, beeindruckt der Prediger. „Ich war ein Bankräuber und Berufskiller – so viele Opfer flehten vergeblich um Barmherzigkeit!“ Pastor Salles wild gestikulierend vorm Altar, tadellos gekleidet in feinstem Tuch, mit weißem Hemd und Krawatte – noch unlängst ein Bandenchef, der gnadenlos mit der Mpi um sich schoß, Rivalen und Polizisten ins Jenseits beförderte; das läßt die Leute mehr und mehr erschauern. „Ich war besessen vom Teufel, ich war ein Monster, ein Psychopath“, ruft er aus und kommt zu weiteren gräßlichen Details:“Jawohl - wie von den Dämonen gefordert, habe ich mit meiner Frau unseren sechs Monate alten Sohn getötet, in der Pfanne gebraten, sein Fleisch gegessen – so viele barbarische Verbrechen habe ich begangen, ich war schon in der Hölle!“ Sechzehn Kugeln bekam er in den Leib, überlebte die Folter im Knast, machte Russisch Roulette. Doch dann, oh Wunder, wurde er bekehrt, ließen die Teufel von ihm ab, holte er, „von Gott auserwählt“, die eigene, tot im Sarg liegende Mutter zum Leben zurück. „Die Umstehenden lachten, als ich sagte, Mama, erhebe dich – und sie stand wirklich auf!“ Wo Pastor Salles predigt, lacht auch an dieser Stelle niemand schallend oder fordert gar Beweise – mit aufgerissenen Augen und Mündern glaubt man ihm aufs Wort. Um die Gottesdienste spektakulär „aufzupeppen“, noch mehr gebefreudige Anhänger zu gewinnen, kamen diese „Kirchen“ bereits in den achtziger und neunziger Jahren auf die Idee, unter Ex-Gefangenen und selbst in den Haftanstalten nach geeigneten Predigern zu suchen. Im fortgeschrittenen Alter, oft mit schweren Behinderungen nach vielen Einschüssen, haben Männer aus der Welt des Verbrechens gewöhnlich auf dem Arbeitsmarkt keinerlei Chancen. Soziologin Mariana Cortes von der Bundesuniversität Ueberlandia stellte bei mehrjährigen Untersuchungen fest, daß allein in Brasiliens Kultur-und Wirtschaftsmetropole Sao Paulo tausende Banditen daher zu Priestern mutierten, eine regelrechte religiöse Szene bilden. „Die dunkelsten Punkte ihrer Biographie machen sie zum Trumpf, zu einem Spektakel – wollen auf diese Weise nicht nur Geld verdienen, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung, Sozialprestige gewinnen.“ Denn das hatten sie bereits als Banditenchefs im Parallelstaat der Slums, der von Verbrechersyndikaten dominiert, terrorisiert wird. Ein tolles Gefühl, mit der umgehängten Mpi durchs Gassengewirr der Elendsviertel zu schlendern und als Herr über Leben und Tod von den Bewohnern mit tiefster Unterwürfigkeit respektiert zu werden. Heute gehen sie teilweise durch die selben Viertel, ernten wiederum tiefen Respekt, werden oft als Wundertäter, Wunderheiler verehrt, die man alle paar Schritte um Rat und Hilfe bittet. Probleme mit den einstigen Kumpanen vom organisierten Verbrechen gibt es nicht – die in den Slums agierenden Sekten kommen mit den Banditenmilizen gewöhnlich bestens zurecht.
--„Der Teufel wars, nicht ich!“--
Was Mariana Cortes am Fragwürdigsten, Absurdesten findet: „Morde und andere grauenhafte Verbrechen werden stets dem Teufel in die Schuhe geschoben, er wird zum Sündenbock. Damit stellen sich diese Priester als Opfer dar, leugnen die eigene Schuld und Verantwortung für ihre Taten, gebärden sich gar als Sieger und Hoffnungsträger.“
Sogar die Wissenschaftlerin kann es bis heute kaum fassen, daß das funktioniert, selbst beim Massenpublikum solcher als „gemäßigt“ geltenden Pfingstkirchen wie der „Assembleia de Deus“(Gottesversammlung), großartig ankommt. Sie hat über zehn Millionen Anhänger und ist politisch einflußreich. Durch solche Pastoren wie Pastor Salles an Glaubwürdigkeit zu verlieren, scheinen diese Kirchen nicht zu befürchten.
Doch auch Pastor „Paulinho Bang-Bang“, Renato Cesar oder Francys Lins ziehen ähnlich melodramatisch-wild vom Leder, ihre Geschichten, schärfer als die schrillsten Krimis, gibt es auf CD und DVD. In Sao Paulo hat sich eine Plattenfirma nur auf diese Klientel spezialisiert, veröffentlichte bereits Tonträger von fünfzig solcher Priester, hat rund dreihundert weitere Kandidaten auf der Warteliste. Aber stimmen denn deren bombastische Aussagen - oder ist alles erstunken und erlogen? Laut Soziologin Mariana Cortes läßt sich nur schwer sagen, was davon Dichtung und Wahrheit ist. In den brasilianischen Slums ereignen sich unter der Banditendiktatur täglich barbarische Dinge, die das Vorstellungsvermögen eines Mitteleuropäers gewöhnlich weit übertreffen. „Solche Priester montieren nicht selten reale Slumereignisse zu einer Story und stellen sich als Täter, Urheber dar, basteln sich manchmal eine Biographie zusammen.“ Viele sind damit höchst erfolgreich, ziehen im ganzen Land herum, können von jedermann gegen entsprechende Gage engagiert werden. Oder gründen sogar eine eigene Kirche. Absolute Religionsfreiheit ist in der brasilianischen Verfassung garantiert. Jedermann kann eine neue Glaubensrichtung ausrufen, sich von heute auf morgen zum Priester erklären – denn eine theologische Ausbildung wird nicht verlangt. „Eine neue Kirche zu eröffnen, ist einfacher als eine Kneipe aufzumachen“, sagt der Soziologe Ricardo Mariano. „Nie zuvor wurden so viele Tempel gegründet, um Geld zu machen“, sagt Theologe Fernando Altemeyer von der Katholischen Universität der Megacity. Mancher Neupriester hat rasch Erfolg, wird reich – doch andere gehen mit ihren Kirchen pleite. Religionsexpertin Mariana Cortes weiß, was die in etwa 17000 verschiedene Richtungen geteilten Pfingstkirchen Brasiliens natürlich verschweigen:“Gar nicht so wenige dieser ehemaligen Gangster packen es nicht, verkaufen nicht genug CDs und DVD, geben schließlich auf – und entsinnen sich ihres früheren Gewerbes, kehren zum Verbrechen zurück.“ Auf den Tonträgern sind stets die Kontakt-Telefonnummern. Ruft man dort an, will den Pastor für eine Show-Predigt ordern, hört man nicht selten von den Angehörigen: „Der ist doch schon wieder im Knast.“



Klaus | 15.12.06 16:34 | Permalink

Kommentare

dieser text ist vollkommen übertrieben geschrieben....âuch egal.

Was ich sagen will, ich kenne die Gemeindschaft Gott ist liebe und ich kenne auch alle Wunder die Gott täglich vollbringt und wenn ihr auch wirklich die Bibel lesen würdet, würdet ihr sehen das darin steht: der der an mich glaubt wird in meinem Namen noch grössere Wunder machen

Verfasst von: susana | 02.05.07 20:37

Kommentar schreiben

-->

(Wenn Du auf dieser Site noch nie kommentiert hast, wird Dein Kommentar eventuell erst zeitverzögert freigeschaltet werden. Danke für Deine Geduld.)



Please enter the security code you see here