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Produkt-und Markenpiraterie in Brasilien – Milliardenverluste für deutsche Unternehmen

"Land im Rückwärtsgang"
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Chinabesuch vom Mai 2006 die Regierung in Peking aufgefordert, endlich mit dem Kampf gegen die Produkt- und Markenpiraterie, gegen den Raub geistigen Eigentums Ernst zu machen. China steht indessen ebenso am Pranger wie die zehntgrößte Wirtschaftsnation Brasilien, in der Piraterie jeder Art ebenfalls ein Massenphänomen ist und deutsche Unternehmen deshalb Milliardenverluste erleiden.

Unternehmen, die viele Jahre in die Forschung und Entwicklung, die Qualität von Produkten sowie die Markteinführung investiert haben – und dann Opfer von Betrug und Raub werden. Auf dem nächsten G-8-Gipfel soll mit Schwellenländern wie Brasilien daher erstmals Tacheles geredet werden. Brasilien müsse gegenüber der Welthandelsorganisation eingegangene Verpflichtungen auch einhalten – was bisher nicht der Fall sei, meint auch die EU. Stark betroffene Unternehmen wie der Pharmakonzern Boehringer aus Ingelheim halten die fehlende Rechtsstaatlichkeit in Brasilien für ein starkes Investitionshemmnis und sehen das Land derzeit im Rückwärtsgang.
Selbst vor Lateinamerikas Leitbörse in der brasilianischen Megacity Sao Paulo bieten Straßenhändler ganz offen und massiv Piraterieprodukte jeder Art an – ob Computersoftware, CD-und DVD-Raubpressungen, Medikamente oder Modeartikel. Die dort reichlich patrouillierenden Polizisten müßten laut Gesetz diese Straßenhändler eigentlich festnehmen – sind indessen ebenso wie andere Staatsbeamte und auch brasilianische Manager deren gute Kunden, decken sich ein, greifen zu – ein Problem-oder Unrechtsbewußtsein scheint nicht zu existieren. Gelegentliche Razzien ändern nichts an der Situation. In Geschäften, Kaufhäusern, selbst Apotheken werden indessen ebenfalls Pirateriewaren verhökert, werden die Originalhersteller, deren Originalprodukte perfide benachteiligt, zahlt man dem Vernehmen nach deshalb sogar an die Verkäufer, „Balconistas“. Volker Bargon, Generaldirektor der Brasilien-Niederlassung des deutschen Chemie- und Pharmamultis Boehringer, nennt die Lage alarmierend.
--Schwarzmarkt-Strukturen—
“Es ist Schwarzmarkt – es wird dort nicht nach den Regeln, die gesetzlich vorgesehen sind, gearbeitet. Dinge, die sich für uns als seriösen Pharmahersteller in jeder Weise verbieten, aber von anderen Industrien eben genutzt werden. Es gibt unerlaubte Verkaufsförderung. Das ist ne Realität, mit der wir leben müssen und die uns auch mächtig an die Wand spielt. Der eine Teil ist das Kopieren und illegal Vermarkten – zum Teil ist gar kein Wirkstoff in dem Medikament drin. Und da gilt auch generell Lateinamerika als eine der Herstellküchen für Arzneimittelplagiate, das, was in der Elektronikindustrie ganz im anderen Teil der Welt stattfindet, findet hier bei Arzneimitteln statt.“
Laut Bargon haben von den etwa 185 Millionen Brasilianern nur rund 50 Millionen Zugang zu normalen Medikamenten. „Indessen ist Brasilien das Land mit der höchsten Apothekendichte der Welt – es gibt rund 55000. Wie kann das funktionieren? Wir haben eine Gewinn-und Verlustrechnung mit einer Unternehmensberatung erstellt und konstatiert, daß dreißig Prozent dieser Apotheken im Grunde finanziell gar nicht überleben könnten. Die Erklärung dafür ist just die Schwarzmarkt-Struktur.“
Ist die Patentschutzfrist abgelaufen, dürfen ebenso wie in Europa auch in Brasilien andere Hersteller ganz legal Medikamente mit gleicher oder sehr ähnlicher Zusammensetzung anbieten, die sogenannten Generika oder Nachahmerpräparate. Der Staat läßt theoretisch zuvor nachprüfen, ob diese Medikamente tatsächlich genauso wirken. Nur zu oft überhaupt nicht, wie jedermann im Umgang mit solchen Produkten bemerkt, weil bei den gesetzlichen Vergleichsstudien frech und dreist betrogen wurde. Generaldirektor Bargon nennt den Fall eines Aids-Medikaments von Böhringer. Da hatte man allen Ernstes zwei Boehringer-Originalprodukte miteinander verglichen, das Nachahmerpräparat einfach unterschlagen und so die Zulassung für das nicht getestete Aids-Medikament erlangt.
“Diese Möglichkeit – für uns war die überraschend – daß man so weit geht. Das ist was, was uns nicht mal im Denken naheliegt. Dieser Betrug ist aufgeflogen, man hat dann wieder auf uns zurückgegriffen. Wir haben uns ganz klar festgelegt – daß wir keine neuen Technologien, neuartigen Herstellungsverfahren in ein solches Land verbringen wollen. Zu den Gründen zählt, daß wir unsere Technologie hier eben nicht schützen können. Da sagen wir, dieses Verfahren bleibt in Deutschland, oder in den USA und Japan, von wo aus wir dann liefern. Wir dringen darauf, daß Brasilien sich an die gegenüber der Welthandelsorganisation eingegangenen Verpflichtungen hält. Es gibt eigentlich kein einziges Arzneimittel, was jemals in Brasilien erfunden und zur Marktreife gebracht worden ist. Und jetzt steht Brasilien in einem Wettbewerb, vor allem mit den anderen aufstrebenden Nationen, wo sich ein Unternehmer sagt, wo investiere ich, mit Sicherheit nicht mehr in Brasilien. In der deutsch-brasilianischen Handelskammer sprechen wir diese Probleme immer wieder an, suche ich den Schutz des geistigen Eigentums auf der Tagesordnung zu halten.“
Neue Statistiken zeigen, daß viele Firmen wegen der zahlreichen Korruptionsskandale der Regierung, generell der fehlenden Rechtsstaatlichkeit ihre Investitionen in Brasilien gestoppt haben.
--„Ich sehe Brasilien ganz klar im Rückwärtsgang“—
Schneidet sich Brasilia mit einer solchen Politik nicht ins eigene Fleisch? „Ich würde das bestätigen. So kann es schlichtweg nicht weitergehen – es ist einfach kein berechenbares Ambiente, in das man weiterhin seine Finanzströme hinleitet. Das führt alles zu Mißtrauen. Es ist ein ungerechtes Land. Ich sehe Brasilien im Rückwärtsgang, ganz klar. Diese mangelnde Administration, diese schlechte Administration, die sich eigentlich an allen Ecken des Landes immer mehr manifestiert. Wirtschaftsminister Glos will sich stark machen für schützenswertes Eigentum von Deutschland in solchen Ländern.“
Bargon weist auf eine „Spezialität“ Brasiliens, die sogennannten „Similares“, die Ähnlichen. „Da wird der Nachweis nicht erbracht, daß sie die gleiche Wirkung haben, wie die Originale. Similares werden aber von den Gesundheitsbehörden zugelassen. All dies gibt es nur in Brasilien. Ich habe immer Schwierigkeiten, das am Stammsitz zu erläutern – daß es also eine immer noch sehr große Gruppe von Marktteilnehmern gibt, die in Märkten anderer Länder gar nicht vorkommen, gesetzlich ausgeschlossen sind, illegal wären.“
Im Dezember kam Keith Beeman, zuständiger Direktor von Microsoft für den weltweiten Schutz des geistigen Firmeneigentums, nach Sao Paulo, schaute sich im Piraterie-Viertel Santa Ifigenia der City um. Ein fliegender Händler namens „Mouse“ bot Beeman sogar die Software Windows Vista und Windows Office 2007 an, die von Microsoft erst zum Jahresbeginn 2007 auf den Markt gebracht werden soll. Beeman war platt. Auch über den „günstigen“ Preis – umgerechnet gerade einmal siebeneinhalb Euro pro Stück.

Klaus | 15.12.06 18:38 | Permalink