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AktivistIn zu sein heißt Entscheidungen zu treffen

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Lola Lafon und die Band Leva

Ein Gespräch mit der Aktivistin und Sängerin Lola Lafon. Das Gespräch führten Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak

Es gibt viele Sängerinnen in Frankreich, doch nur wenige, die dabei etwas zu sagen haben. Lola Lafon gehört zu letzteren. Bekannt wurde sie zunächst nicht durch ihre Band Leva, sondern ihr Buch „Une fièvre impossible à négocier“ (Ein Fieber das nicht verhandelbar ist). Die Veröffentlichung bei Flammarion wurde vor drei Jahren in Frankreich als „Generationen Manifest“ bezeichnet. Ein anarchistisches A auf der Titelseite, war dabei kein kommerzielles Argument. Der Roman greift zurück auf zahlreiche Lebenserfahrungen der Autorin.

Wie die junge Protagonistin im Buch wurde auch Lola im wahren Leben von einem Musikproduzenten vergewaltigt. Damit war der Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaft besiegelt. Sie tauschte eine gemütliche Wohnung gegen einen Squat und wurde in einer autonomen Gruppe aktiv. Sie nahm an Aktionen der feministischen und antirassistischen Bewegungen teil, sowie an Demos gegen den G8-Gipfel.

Lola lafon und Loic Lantoine: Completement à ' ouest - ein Lied gegen Abschiebungen

Das „balkanische Elektro-Folk“, wie Leva selbst ihre Musik beschreibt, ist eine sehr persönliche Zusammenfassung zahlreicher musikalischer Einflüsse. Durch ihre Kindheit in Rumänien und Bulgarien besitzt sie eine Leidenschaft für slawischen Gesang. Deshalb hört man auf Konzerten nicht nur Französisch, sondern Rumänisch und Bulgarisch. Slawische Melodien mischen sich dabei mit politisch engagierten Texten.

Lola Lafon und Leva haben einen erfolgreichen Start mit der ersten CD in Frankreich gehabt. Die Sängerin wünscht sich auch in Berlin öfters spielen zu können. Im Rahmen des Popkommfestivals war sie im September zum ersten Mal in der Hauptstadt zu hören.

Du singst, schreibst Bücher und bist gleichzeitig politisch aktiv. Wie definierst Du Dich?

Lola Lafon: Ich mag den Begriff „politische Aktivistin“ überhaupt nicht. Das würde bedeuten, dass es auf der einen Seite Menschen gibt, die nachdenken, und auf der anderen Menschen, die handeln. Es ist möglich durch ganz unterschiedliche Sachen Aktivist zu sein. Aktivist zu sein heißt Entscheidungen zu treffen. Meine Art Musik zu machen, ist politisch; meine Art zu schreiben ist politisch... Alles ist politisch. Persönlich, denke ich nicht, Aktivistin durch Teilnahme an einer Demonstration zu werden. Ich schreibe. Manchmal sind es Chansons, manchmal längere Texte. In dieser Form verarbeite ich vielmehr die Ideen. Ich spreche aber nie auf politischen Versammlungen.

Aber Du hast auch Erfahrungen mit dem Black Bloc und anarchistischen Gruppen gemacht?

Der Black Bloc kommt in meinen Romanen vor. Anfangs wollte ich überhaupt nicht einer Bewegung oder einer politischen Partei beitreten. Das hat mich niemals angezogen. Ich kam aus Rumänien. Meine Eltern sind sehr politisiert, sehr kommunistisch. Und ich war sehr parteifeindlich. Aufgrund verschiedener Ereignisse, die in meinem Leben passiert sind, wusste ich, dass ich keinen Platz in der Gesellschaft hatte. Mehr noch, ich wollte auch gar keinen. Dann waren es verschiedene Begegnungen, die bewirkten, dass ich mich anarchistischen Aktivisten näherte. Ein bisschen zufällig, anfangs durch Konzerte, mit Mädchen und Jungs. Was mich interessierte, war vor allem die Antifa, die feministischen und die antisexistischen Bewegungen. Später wuchs mein Interesse auch für andere Bewegungen: wie die der Sans-Papier, die Antiknastbewegung…

Was hat Dich denn dazu bewegt, diese Gruppen zu kontaktieren?

Jeder und jede hat einmal einen bestimmten Moment, wo er/sie eine Wahl treffen muss. Es sei denn, du bist ausreichend betäubt um all die Dinge, die du siehst, einfach ertragen zu können. Oder du wachst irgendwann auf und es ist unaushaltbar. Und in diesem Augenblick fängst du entweder an zu trinken, nimmst Beruhigungsmittel ...oder du entscheidest Dich für den Kampf. Für mich hing letzteres auch mit den Folgen einer Vergewaltigung zusammen. Plötzlich erschien mir die sexuelle Gewalt der ich ausgesetzt wurde, wie eine große Parallele zu all dem, was ich wahrnahm. Die Gewalt, die ich erfahren habe, erschien mir überall. Eine sehr politische Gewalt. Aber dazu bin ich nicht einfach so gekommen. Ich habe 10 Jahre gebraucht, um das zu verstehen.

Einige anarchistische Gruppen wenden doch auch Gewalt an?

Für mich ist nicht das die Gewalt. Der Black Bloc ist eine Technik zu demonstrieren. Jeder kann Schwarzer Block sein, wenn er dazu Lust hast. Es geht mir nicht um die Art von Gewalt, wie z.B. ein Schaufenster einzuschlagen oder ein Symbol anzugreifen. Das sind lediglich symbolische Aktionen. Die Gewalt, das sind die Bullen, die Waffen. Es ist die Polizei, die die Waffen hat. Der Black Bloc ist eher symbolische Gewalt.

Was denkst Du über den Aufstand in den banlieues, und der Gewalt auf den zahlreichen Demos gegen das Ersteinstellungsgesetz CPE?

Ich frage mich, wieso so etwas noch nicht früher ausgebrochen ist. Man kann die Menschen nicht in Silos verrecken lassen und sich dann darüber wundern. Einige versuchen, eine Verbindung zwischen den Ereignissen in den banlieues und den anarchistischen Kämpfen herzustellen. Das ist nicht sehr selbstverständlich. Wir müssen uns keine Geschichten erzählen. Wir haben nicht das gleiche Leben. Ich habe nicht das Leben eines Mädchens aus einem banlieue. Ich werde nicht zehn Mal am Tag von der Polizei kontrolliert. Ich bin blond, ich bin weiß. Intellektuell begreife ich diese Unterdrückung, aber ich bin ihr nicht in dieser Form ausgesetzt. Die Gewalt auf den Demos gegen den CPE war was vollkommen Neues und das führte zu einem unglaublichen Durcheinander. Aber auch bei dieser Gewalt steckt ein Teil Manipulation. Hier geht es um eine Bewegung, die nicht so politisiert ist, wie wir es kennen mögen. Seit 10 Jahren bin ich in feministischen und antifaschistischen Zusammenhängen aktiv und ich habe dort niemals einen Araber oder einen Schwarzen gesehen. Das sind völlig weiße Milieus. Das ist ein Problem! Es gibt auch vielmehr Typen, aber das ist weniger schlimm, da mehr und mehr Frauen hinzukommen.

Auf dem AntiG8-Gipfel sind wir wirklich weiß. Das gleiche war noch bis vor einigen Jahren in der Sans-Papier-Bewegung. Das ändert sich gerade.

In Deinen Liedern erzählst Du u.a. über Abschiebung, Repressionen, politischen Widerstand. Dabei singst Du in Rumänisch, Makedonisch…Woher kommt Dein Interesse für diese Sprachen?

Meine Mutter ist Weißrussin. Bis zum Alter von 14 Jahren habe ich in Rumänien und Bulgarien gelebt. Rumänisch ist meine erste Sprache. Rumänisch zu sprechen ist für mich natürlich. Die erste Musik, die ich hörte, war von dort, und nicht französische Musik. Anfangs wollte ich dem keine Beachtung schenken. Ich fing an Pop Rock zu machen. Und dann kamen mir die rumänischen Worte und Gesänge immer wieder in den Kopf. Ich habe eine Leidenschaft für diese Musik. Und es ärgert mich sehr, dass Englisch das Privileg des Rock innehat. Das ist absurd!

In Deutschland beschwören seit einiger Zeit einige AutorInnen, Liedermacher und Bands wie Sönke Wortmann, Mia, Heppner und Co. die deutsche Identität und versuchen mit deutschsprachigen Texten Deutschland zu rehabilitieren.

Aber ich bin keine rumänische Nationalistin. Ich bin nicht für das große Rumänien, wovon einige Faschos sprechen.

Versuchst Du, über Deine rumänischen Lieder Stereotype aufzubrechen?

Das ist wahr, in Frankreich haben die Leute sehr viele Vorurteile gegenüber RumänInnen. In Frankreich werden die Rumänen als Diebe und Bettler angesehen. Ich habe nichts gegen Bettler.

Die Leute wissen sehr wenig über Rumänien. Aber ich sehe mich nicht als Botschafterin Rumäniens.

Wird Dein Buch «Une fièvre impossible à négocier» [Ein Fieber das nicht verhandelt werden kann] (Flammarion, Mai 2003) ins Deutsche übersetzt werden?

Der französische Verleger kümmert sich darum. Das Buch wurde schon ins Italienische und Spanische übersetzt. Es gab schon Kontakte zu Deutschland. Aber es sind sehr verwirrende Dinge geschehen. Im Endeffekt, hatte der deutsche Verleger Angst vor der in dem Buch beschriebenen Vergewaltigung. Er fand das zu düster, bizarr. Letztendlich wurde es noch nicht übersetzt, dafür hat aber der Verlag Klaus Wagenbach meine Erzählungen genommen.

Sie meinten, dass Deutschland noch nicht bereit dafür wäre. Ich würde mich jedoch sehr freuen ins Deutsche übersetzt zu werden, Konzerte hier zu veranstalten. Es gibt in Deutschland eine ausgeprägte alternative Kultur. Und für Balkan-Musik interessiert man sich dort auch.

In Osteuropa gelebt zu haben, hat das Deine Sicht über die kapitalistische Gesellschaft beeinflusst? Oder ist es dort nicht besonders anders?

Rumänien ist schon etwas Besonderes. Es war selbst unter den osteuropäischen Ländern etwas Besonderes. Aber was ich dort damals sah, schien mir vollkommen normal. Weil ich den Westen noch nicht gesehen hatte. Dass es nur eine einzige Zeitung gab, dass man keine Stimme hatte … oder dass es wenig in den Geschäften gab, das war nichts Außergewöhnliches. Ich hatte ja auch keinen Vergleich. Es ist jedoch nicht die Tatsache, in osteuropäischen Ländern gelebt zu haben, die mir ein politisches Bewusstsein vermittelt hat. Es war vielmehr meine Familie und anderer sehr politisierter Menschen. Mein Vater war Kommunist. Doch sobald er im Osten mit meiner Mutter lebte, ist er aus der Partei ausgetreten. Er hat sich selbst aus der französischen kommunistischen Partei rauswerfen lassen. Weil er sehr kritisch war und das war in den 80ger Jahren nicht gern gesehen. Trotz alledem ist er links geblieben- ohne Sozialist zu werden.


Toni Negri regte mit seinen letzten Veröffentlichungen etwas gefährliche Debatten an, in dessen Folge viele Linke sich mit dem Kapitalismus zu arrangieren versuchen. Inwiefern ist eine andere Welt für Dich nur Illusion, ist es besser Kompromisse zu schließen?

Das glaube ich nicht. In Argentinien kann man gut die Privatisierung der Fabriken, der Krankenhäuser, der Schulen beobachten. Dort gibt es zahlreiche Initiativen der Selbstverwaltung. Ich glaube, dass ein anderes System möglich ist. Der Zapatismus in Chiapas, das ist auch ein anderes System, selbst wenn es klein ist. Ich bin keine Negristin. Es ist wahr, dass die Idee, über den Horizont einer bürgerlichen Demokratie hinauszuwachsen, nicht gerade in Mode ist. Ich meine, das sieht man doch in Frankreich sehr gut, dass die Leute die Nase voll haben von einem System der Prekarität. Mit dem Ersteinstellungsgesetz CPE und dem Referendum über die europäische Verfassung wurden enorm viele Diskussionen in der Bevölkerung angeregt. Während des Referendum über die europäische Verfassung, herrschte eine schreckliche Verachtung einiger linksgerichteter Zeitungen, die schrieben: „Die Leute haben es nicht verstanden, und wenn doch, dann müssen es ausländerfeindliche Faschos sein.

Info:

"Aktivist zu sein heißt Entscheidungen zu treffen" ist gleichzeitig erschienen in GraswurzelRevolution # 313 vom November 2006. Das Gespräch führten Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak

Übersetzung ins Deutsche: Sabine Grabow

Michal Stachura | 15.11.06 00:52 | Permalink