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Paris: Apologie der Gewalt – wer sind die "casseur" ?

- von Michal Stachura aus Paris -

Mehr als 50 Tausend Menschen protestierten auch am heutigen Nachmittag gegen das Berufsanfänger-Gesetz CPE in Paris. Die « Manif » wurde durch SchülerInnen der Gymnasien, Studierende und Lehrkräfte der Universitäten organisiert.

Die Demo selbst verlief friedlich. Jedoch griffen zum wiederholten Male sog. "casseurs" (von franz. brechen = zerstören) die CPE-DemonstratInnen an. Beim Filmen des Vorfalls hab auch ich etwas abbekommen und dabei leider auch die Kamera « unfreiwillig abgegeben » (aus diesem Grund muss ich bei zukünftigen Beiträgen auf Bilder/Filme verzichten).

Gruppen von ca. 20-30 jungen Männern bzw. Jugendlichen bewegten sich sehr schnell in verschiedenen Richtungen. Scheiben der Bushaltestellen gingen zu Bruch. Alles ging jedoch so schnell, dass Man/Frau (mit deutschem Demo-Hintergrund, wo Probleme erst beginnen wenn die Polizei oder Nazis auftauchen) nicht so richtig verstehen wollte was eigentlich los ist. Das bizarre dabei ist, dass hier nicht die Polizei die Demo angriff, sondern Jugendliche die sich innerhalb der Demo frei bewegen konnten und zunächst wie CPE-GegnerInnen aussahen. Die „kommunistische“ Gewerkschaft CGT versuchte einen Sicherheits-Kordon um die DemonstrantInnen zu bilden und die Angreifer daran zu hindern durch die Manif zu laufen. Das Bild erschreckte, da es nach gezieltem Rassismus gegen Gruppen von afrikanischen bzw. maghrebinischen Demo-TeilnehmerInnen aussah. Doch die Manif ist nicht eine Veranstaltung von « Weißen ». Im Gegenteil die Manif bilden gerade Organisationen von ausgegrenzten Gruppen mit Migrationshintergrund, wie den sans-papiers, prekarisierten MigrantInnen u. a. Eine ethnische Kategorie erklärt hier nicht den Kern des Problems.

Prompt flogen auf die Manif Steine, die durch Gruppen von 20-30 Personen geschleudert wurden. Ein Wunder das keiner von den SchülerInnen getroffen wurde. Ein gefundenes Fressen für die bürgerliche Presse, die mit Berichten über « exzessive Gewalt » gerne vom CPE-Thema ablenken würde. Interessanteweise griffen dann die CGT-Leute mit Schlagstöcken ein und vertrieben für einen kurzen Moment die Angreifer. Den ganzen Vorgang habe ich natürlich aus nächster Nähe im Kasten gehabt … Ich versuchte danach einen Gewerkschafter der CGT zu dem Vorfall zu befragen, doch diese störte meine Kamera. Anscheinend wollte man sich des Gewalt-Problems ohne viel aufsehen lösen und alles "unter sich ausmachen". Ich ging nach vorne um zu sehen, was mit den Angreiffern ist. Da war es aber auch zu spät um abzuhauen... So leicht kann Man /Frau zwischen die Fronten geraten. Vier Leute legten mich platt.

Die sog. "casseurs" haben zum ersten Mal letzten Frühling auf sich aufmerksam gemacht als SchülerInnen der Gymnasien gegen die Schul-Reform protestierten. Die "casseur" infiltrierten die Demo, schlugen die TeilnehmerInnen und klauten Handys. Eltern protestierten damals; dass die Polizei nichts gegen diese Brutalität unternommen hat. Interessanterweise griffen die "casseurs" nie Nazi-Demos oder Erwachsene an. Ein mögliches Indiz, dass es sich hier um eine Reaktion auf soziale Ausgrenzung handelt zwischen Jugendlichen, die „ungewollt“ zu Vorzeigebeispielen der Kluft zwischen wirklich arm und nahe zu privilegiert werden.

Lenin sagte ja bekanntlich, dass man keine Fahrkarten lösen kann, wenn man während der Revolution einen Bahnhof besetzt. Nur ging es hier nicht um die von Wladimir belächelten «Deutschen» und auch nicht um ihr Verhältnis zur sozialen Revolution, sondern um blanke Gewalt der Jugendlichen. Letztere beschwören Gewalt, verfolgen jedoch keine politischen Ziele. Sie wenden sich auch nicht primär gegen die Polizei oder den Staat oder dessen Symbolik. Es geht um einen sehr pragmatisch im unmittelbaren Lebenskontext geäußerten Protest, es geht um Handys, Schule oder Autos.

Die bürgerliche Presse benutzt den Begriff « casseur« um militante CPE-GegnerInnen zu beschreiben, welche z. B. die Sorbonne besetzen, Barrikaden errichten oder sich nächtliche Kämpfe mit der Polizei liefern. In Wirklichkeit findet man / Frau bei diesen « politischen Aktionen » keine "casseur".

Die "casseur" orientieren sich äußerlich lediglich an Allegorien des us-amerikanischen Gangsta-Rap. Goldketchen, Kapuzenpullis, fetten Autos, der « Die Gang » und Gewalt. Dies mag nicht verwundern sind sie doch aus der Mehrheitsgesellschaft komplett ausgeschlossen und verfügen über keine politische Repräsentanz oder Fürsprecher.

Auch mit einer gewissen Sozial-Romantik a la Kassovitz exzellenten Film "La Haine" kommt man hier nicht weiter. Die "casseur" sind eine ausgegrenzte Gruppe aber völlig apolitisiert und im Gegensatz zu der offiziellen Rhetorik DemonstrantInnen wohl an einem - ihnen vorenthaltenen - parallel Konsum der Mehrheitsgesellschaft orientiert.

Sie kommen auch nicht unbedingt aus den banlieues (den Pariser Vororten), wie es manche gerne haben wollen. Die "casseur"die die Manif angriffen wohnen eher im Stadtkern um den Place d’Italie oder in Evry und sind somit bereits privilegiert. Nichtsdestotrotz werden auch Leute aus den banlieus von den „Erfolgen“ der „casseur“ in die Stadt angezogen. Die Mehrheitsgesellschaft will solche MitbewohnerInnen – oft mit Migrationshintergrund – egal ob aus den banlieues oder der Innenstadt nicht akzeptieren.

Die "casseurs" kann man/ Frau auch nicht frei nach Alice Schwarzer als maskulin-patriarchale Gruppe abtun. Um die aktiven "casseur" bewegen sich nämlich kleine Cliquen von Tussis, die zwar nicht direkt an den Gewalt-Aktionen beteiligt sind. Es wird vermutet, dass sie insoweit mit den Männern kooperieren, dass sie die geklauten Handys u. a. Sachen verstecken.

Im Gegensatz dazu stellen – aus Sicht der casseur - selbst die CPE-DemonstrantInnen eine zum Erfolg verurteilte soziale Gruppe dar, die es schafft mehrere Millionen Personen auf die Strasse zu bekommen. Vielleicht erklärt dies ihren Hass auf die StudentInnen und SchuelerInnen. Immerhin befinden diese sich in der Ausbildung auf die Leute in den Banlieus überhaupt keine Chance haben.

Am Abend sprach ich in der Notaufnahme am Hôpital Dieu auf der Ile St. Louis mit einem jungen Studenten, der von einer Casseur-Bande beraubt worden ist. Als viele StudentInnen sich bereits auf dem Rückweg von der Manif befanden, stürmte eine Gruppe von ca. 40 casseur die Metro. Der Metro-Fahrer ließ jedoch die Türen offen und fuhr nicht los. Die casseur schlugen auf die Menschen in den Wagons der U-Bahn und sammelten die Handys der Passagiere ein. Bevor die Polizei kam war auch hier alles vorbei.

Die Situation in den Vorstädten ist so dramatisch, dass Man/Frau sich in seinem Selbst-Bild als „guter Linker“ nicht mehr wieder findet. Es ist eine neokolonialistische Anmaßung zu glauben die CPE-GegnerInnen und die Leute aus den „banlieues“ gehören gemeinsam zu den GegnerInnen des Systems und kämpfen für das gleiche. Eben nicht. Es ist eine Anmaßung als „Linker“ sich das Recht herauszunehmen für andere „zu Denken“ als, ob die MigrantInnen nicht selber in der Lage dazu wären. Die Linken haben im Unterschied zu den „banlieus“ eine mehr oder weniger ausgeprägte politische und intellektuelle Repräsentanz. Die Leute aus den „banlieues“ verfügen über nichts. Zusätzlich müssen sie für die verwöhnten alt-68 als Projektionsfläche dienen, weil sie diese bei ihrem germanischen Bio-Dinkel-Brötchen-Frühstückchen mit lauten Schreien gestört worden sind. Für bürgerliche Xenofoben wie Alice Schwarzer, die in der Kölner Südstadt lebt und Angst hat sich ihre Prada-Schuhe in Mühlheim auf der rechten Seiten des Rheins schmutzig zu machen, sind dann eben brennende Autos brennende Frauen. Hauptsache ihre bürgerliche Demokratie gerät nicht ins wanken. Die französischen Verhältnisse zwingen zum Umdenken.

Michal Stachura | 23.03.06 23:46 | Permalink

Kommentare

"es geht um Handys, Schule oder Autos" !! so einfach ist es nicht...Aber ich verstehe...Es macht das Schreiben (und das Denken)leichter !

"Die Leute aus den „banlieues“ verfügen über nichts". Waouh ! Kennst du überhaupt jemanden den aus "die banlieues" herauskommt ? Hast du irgendwelche Interview von einem gemacht ? Sicher nicht. Viel zu gefährlich... Und so, man spricht von etwas das man nicht richtig kennt, und damit ist es nicht nötig der anderer zu verstehen.

Verfasst von: ecototo | 18.04.06 13:14

@ecoto

Du hast völlig Recht wenn Du schreibst, dass sehr viele Spekulationen über die französischen Vorstädte, die banlieus verbreitet werden und sich da nur wenige JournalistInnen hineintrauen. Für viele "Linke" in Deutschland ist dieses Thema auch sehr schwer vermittelbar bzw. stossen viele mit Ihren one-size-fits-all-Analysen an ihre Grenzen, bei dem die Artikel von Andreas Fanizadeh aus der WOZ (siehe oben) immer wieder aufs neue Beweisen. Es sind Karrikaturen eines "linken" Denkens.

Trotzdem schliesse ich explizit auch mich selbst - bei der in dem Beitrag geäußerten Kritik ein - wenn ich schriebe "Die Situation in den Vorstädten ist so dramatisch, dass Man/Frau sich in seinem Selbst-Bild als „guter Linker“ nicht mehr wieder findet. Es ist eine neokolonialistische Anmaßung zu glauben die CPE-GegnerInnen und die Leute aus den „banlieus“ gehören gemeinsam zu den GegnerInnen des Systems und kämpfen für das gleiche. Eben nicht. Es ist eine Anmaßung als „Linker“ sich das Recht herauszunehmen für andere „zu Denken“ als, ob die MigrantInnen nicht selber in der Lage dazu wären. Die Linken haben im Unterschied zu den „banlieus“ eine mehr oder weniger ausgeprägte politische und intellektuelle Repräsentanz. Die Leute aus den „banlieus“ verfügen über nichts."

Allerdings habe ich - anders als Du vermutest - mich sehr wohl da "reingetraut". Ich habe u.a. einen jungen schwarzen Mann bezüglich der gegen die CPE (auf den CGT-Block) geworfenen Steine interviewed. Er sprach dabei insbesondere von Rassimus bei der CGT und anderen Linken, die sich gerne nach den "guten alten Feinden sehnen". Im gegenwärtigen Frankreich oder auch Deutschland (siehe Berichterstattung zu den Vorfällen an der Rütli-Schule) gibt es diese "guten alten Feinde" a la Helmut Kohl nicht mehr. Die so genannten Linken kommen bei der Deutung von gewalttätigen "Meinungsäußerungen" die sich nicht an den etablierten Parteien oder sich nicht an anerkannten politischen Repräsentationen orientieren, ja nicht ein Mal einen logischen Zusammenhang erkennen lassen zwischen Protest und System- bzw. Staatsebene, an ihre intelektuellen Grenzen.

Was die Pseudo-Linken dabei nicht verstehen ... versuchen sie - wie Fanizadeh - mit Islam zu erklären oder greifen zur Mottenkiste und reden von patriarchalen Strukturen.

Die Leute aus den banlieus - und damit meine ich nicht Personen, die sich im CPE-Zusammenhang durch "politische" Gewalt geäußert haben ... und Jacken von North Face tragen, wie auf dem Foto auf Deinem EcototoBlog zu sehen - direkt zu Wort kommen zu lassen ist äußerst schwierig aber nicht unmöglich.

Auf der Seite eines solchen investigativen Journalismus verorte ich den Ostblog und mich selbst.

Die Situation begann aber bereits während des Interviews zu eskalieren, weil andere Leute mich bereits während des Interviews bedrohten. Ich blieb trotzdem am Kopf der Demo am Boulevard Montparnasse ... bei den sog. "casseurs". Filmte was passierte ohne Schutzhelme und anderen schnick-schnack wie die bürgerlichen.

Ab dem Moment nahmen mich wohl auch einige andere Leute auf den Kicker, Sekunden später bekamm ich auf die Fresse und verlor die Kamera. Soviel zum Thema Risiko und Recherche. Jedenfalls kann ich die Meinung der "casseurs" aus den banlieus nicht durch Video-Material belegen, weil dieses in diesem konkreten Fall leider sinnnlos von denenen selbst zerstört wurde.

Zu dem Thema habe ich weiter recherchiert und mich nicht mit leichten Antworten der bürgerlichen Presse abspeisen lassen.

Unter anderem bin ich nach Clichy-sous-Bois gefahren - wo im November die Unruhen angefangenen haben nachdem zwei Jungs auf der Flucht vor der Polizei starben - und habe auch dort Leute Interviewed. In der kommenden Ausgabe der Wochenzeitschrift "Freitag" kann man dieses kritische Interview auch nachlesen. Es wird selbstverständlich auch auf den Ostblog gepostet.

Über dies hinaus habe ich mit jungen AktivistInnen der Commission Banlieus in Aulmay gesprochen, deren MitgliederInnen selbst aus den banlieus kommen und dort politisch aktiv sind. Sie versuchen die Leute in ihrem Vorort zu politisieren, damit ihr bisheriger Kampf in einen politischen Zusammenhang gebracht wird.

Weiter habe ich auch mit einem Soziologen gesprochen (Interview wird auch bald auf ostblog veröffentlicht) der die Berichterstattung und insbesondere die Linken Deutungsversuche der Gewalt als Pseudo-Intelektuell dechifriert.

Gruß Michal Stachura

Verfasst von: Michal Stachura | 19.04.06 15:13

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