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Lula und die Kinderprostitution

Mädchen bieten sich für achtzig Cents an
Brasilien bei Internet-Kinderpornographie Nummer eins

--von Klaus Hart, Sao Paulo--

Gleich in der ersten Kabinettssitzung nach dem Amtsantritt im Januar 2003 erklärte Staatschef Luis Inacio Lula da Silva politisch korrekt den Kampf gegen die Kinderprostitution zur Priorität. Das kam, wie beabsichtigt, auch in Europa gut an. Mit diesem Übel so rasch wie möglich Schluß zu machen, sei für die neue Regierung eine Frage der Ehre. Kinderprostitution geschehe ständig vor aller Augen, so Lula, und Justizminister Marcio Thomaz Bastos werde daher Sofortmaßnahmen ergreifen. Der Staatschef unterzeichnete zudem internationale Abkommen, mit denen sich Brasilien auch zur Eindämmung der Kinderpornographie verpflichtete. Justizminister Bastos sagte sogar zu, die Kinderprostitution bis 2005 auszutilgen. Doch jetzt, ein Jahr später, zeigen neue Studien und zahlreiche Presseberichte, daß vielerorts im Lande schon zehn-und elfjährige Mädchen ihren Körper für umgerechnet achtzig Cents feilbieten, und daß siebzehn berüchtigte und bestens bekannte Zuhälterringe weiterhin straflos landesweit Minderjährige sexuell ausbeuten. Und bei der Kinderpornographie im Internet, die die Pädophilie fördert, liegt Brasilien gemäß einer neuen Untersuchung inzwischen weltweit auf Platz eins.

Auch nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF ist die Lage im reichsten, wirtschaftlich hochentwickeltsten Teilstaat Sao Paulo besonders akut – und nicht etwa in den Miseregebieten des Nordostens oder in den Touristenzentren. In der Erzdiözese von Sao Paulo koordiniert Maria do Rosario die Kinderpastoral. “Am Start der Lula-Regierung haben wir an einigen Konferenzen über Kinderprostitution teilgenommen. Die Regierung versprach dort, die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen völlig zu stoppen. Und das war alles – den Worten folgten keine Taten. Und so ist das Problem der Kinderprostitution weiter angewachsen. Wir sehen nur Rückschritte und hoffen eigentlich nicht mehr auf Verbesserungen. Die Zahl der Mädchen, die sich feilbieten, ist enorm. Wir von der Kirche meinen, alles hat letztlich mit fehlender Bildung zu tun – ohne bessere Ausbildung, ohne bessere Schulen gibt es keine Lösung.“

Jene Kinder, die sich prostituieren, entstammen zumeist dem Heer der funktionellen Analphabeten, dem Heer völlig zerrütteter, verwahrloster Familien der Unterschicht. Ob auf dem Lande selbst in kleinen Dörfern, oder in den Slums der großen Städte. Die Familie, die Schule und die Kirche, so betont Maria do Rosario, hätten früher gemeinsam für die Bildung, die Erziehung dieser Kinder gesorgt. Doch dies sei leider nicht mehr möglich, zumal sich die öffentlichen Schulen sehr verschlechtert hätten. “Heute ist die Lage gravierend. Denn wer kommandiert, wer steuert denn heute dieses Land? Das organisierte Verbrechen – und wir sind dessen Willkür ausgeliefert. Ich weiß, daß das eine schwerwiegende Feststellung ist. Destrukturierte Familien sind unfähig, den Mädchen eine Orientierung zu geben – schlimmer noch, stimulieren sie nur zu oft zur Prostitution, um daraus Gewinn zu ziehen, schicken sie gar an die Verkehrsampeln. Wollen diese Mädchen aus der Prostitution aussteigen, gibt es niemanden, der ihnen hilft, gibt es keine Struktur, die sie auffängt. Wir als Kirche können nur einer beschränkten Zahl von Familien – und solchen betroffenen Mädchen helfen. Wir leisten ohnehin Sozialarbeit, die eigentlich Sache des Staates ist. Auf welche Familien treffen wir denn häufig? Die Mutter mit niedrigstem Selbstwertgefühl, der Vater Alkoholiker, die Großeltern von allen aufgegeben, verlassen, die Kinder ohne Halt. Wir restrukturieren, begleiten in Sao Paulo rund 14000 solcher Familien, sorgen dafür, daß dort kein Kind in die Prostitution abrutscht. Aber es gibt natürlich weit mehr bedürftige Familien in der Stadt.“
Sueli Camargo, Leiterin der Jugendlichen-Pastoral von Sao Paulo, hat diese Angaben bestätigt und ebenfalls die Untätigkeit der Lula-Regierung und aller anderen Autoritäten angeprangert.
Auch in der nordöstlichen Küstenstadt Fortaleza, einem beliebten Ferienziel, floriert die Kinderprostitution, stellen ausländische Touristen indessen nur einen Bruchteil der Freier, bieten sich am Industrieviertel indessen sogar neunjährige Mädchen an. Auch in Fortaleza zeigt sich, aus welchem Holz nicht wenige der Kader aus Präsident Lulas Arbeiterpartei PT geschnitzt sind. Präfektin der Millionenstadt ist die sich sehr progressiv gebende Ex-Studentenführerin Luizianne Lins. 2002 leitete sie eine parlamentarische Untersuchungskommission zur Kinderprostitution, die seitdem in Fortaleza stark zugenommen hat.
Patricia Saboya, Kongreßsenatorin der Sozialistischen Partei, führte 2004 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß in Brasilia zu diesem Thema und kritisiert die Lula-Regierung heute außerordentlich scharf. Entgegen Lulas Versprechungen sei der Kampf gegen die Kinderprostitution nie eine Priorität der Regierung gewesen. Lula sei sich jedoch der Problematik bewußt, kenne die Details genau. Senatorin Saboya hatte Lulas Kabinettschef Gilberto Carvalho, aber auch Justizminister Marcio Bastos Fotos aus dem brasilianischen Internet gezeigt, auf denen u.a. Pädophilie mit Babies zu sehen ist. "Die Minister waren schockiert, so daß ich dachte, jetzt würde eine permanente Operation gegen sexuelle Ausbeutung beginnen. Doch es geschah nichts, es wurde schlichtweg nichts unternommen von diesen Leuten. Das Problem, das mich so aufbringt, ist denen, und nicht nur denen, schlichtweg egal. Das ist die Wahrheit." Daß Mädchen ihren Körper für 1.99 Real anbieten, liegt nach Ansicht der Senatorin daran, daß viele Kinder keinerlei Unterscheidungsvermögen haben und solchen Billig-Sex als eine gängige Praxis empfinden. "Alles beginnt zuhause, vergleichbar der Tatsache, daß Slumkinder davon träumen, einmal Bandit zu werden - dies scheint ihnen die natürliche Ordnung der Dinge." Die Senatorin nannte ein Beispiel für die in Brasilien anzutreffenden Zustände: Im Teilstaate Mato Grosso hatte eine Frau eine Tochter von zehn Jahren und einen Lokalpolitiker als Geliebten. "Er bat sie, als Liebesbeweis, ihm die Tochter für Sex zu überlassen. Der Lokalpolitiker nahm die Tochter dafür stets in ein Stundenhotel mit, schlief in einem Falle mit ihr in Anwesenheit der Mutter. Drei Jahre lang hielt er sich die Tochter als Geliebte, danach wollte er - als weitere Liebesbeweise - auch deren jüngere Geschwister. Wir haben die Mutter angezeigt. Das größte Problem ist, daß man in Brasilien nur in geringem Maße fähig ist, auf solche Dinge zu reagieren. Die Menschen sind indigniert, wenn sie entsprechende Medienbeiträge lesen, solche Fotos sehen - doch diese Wirkung dauert eben nur wenige Minuten. Danach ist alles vergessen. Sollte es für unsere Gesellschaft denn wirklich so schwierig zu verhindern sein, daß Mädchen sich für einen so lächerlichen Preis von 1.99 Real feilbieten?"
Angesichts infantilen Fußball-Kommerz-WM-Nationalismus - immer mehr Brasilianer tragen täglich das gelb-grüne WM-Trikot, an vielen Supermärkten steht ohnehin drinnen und draußen ganz groß "Stolz, ein Brasilianer zu sein" - legt auch der PT-Abgeordnete Carlos Minc aus Rio de Janeiro den Finger auf die Wunde, kritisiert in einer Kolumne die "Indifferenz der Gesellschaft" gegenüber der Kinderprostitution. Mädchen zwischen neun und zwölf Jahren alterten als Huren frühzeitig, würden auf den Straßen für 1.99 Real konsumiert, abgenutzt - alles mit Zustimmung, Duldung ihrer Familien, der Autoritäten, in einem Klima sozialer Scheinheiligkeit, "Hier zeigt sich auf groteske Weise der krankhafte Machismus", so Carlos Minc. Anders als in Ländern wie Frankreich sei der Übergang zu einem System freier Arbeit nicht mit einer kulturellen Revolution verbunden gewesen, Laster und Fehler, Regeln der Sklavenhalter seien mit neuen ökonomisch-sozialen Werten verschmolzen, hätten sich so im brasilianischen Kapitalismus assimiliert. Was ist das für ein Land, fragt der PT-Politiker, das zwar einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat wolle, einen Astronauten ins All schicke, aber nicht in der Lage sei, den Aderlaß der Jugend Brasiliens zu stoppen.

siehe auch ostblog: Brasiliens Prostituiertenheere - nur ein Bruchteil der Freier sind ausländische Touristen, 2.10.2005

Klaus | 24.03.06 14:24 | Permalink