« Kein "teurer Murks" von "Stararchitekt" Oscar Niemeyer in Potsdam | Hauptseite | Selbstmord vor den Augen des Gerichtsvollziehers »

Morddrohungen gegen befreiungstheologischen Amazonasbischof Erwin Kräutler

--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Amazonien, seine Regenwälder zählen zu den faszinierendsten Regionen dieser Erde. Doch leider handelt es sich nicht um ein buntes, exotisches Tropenparadies, wie manche meinen. Von nahem betrachtet, offenbart sich eine grausame Alltagsrealität, entdeckt man archaische, neofeudale Gesellschaftsstrukturen, sogar Reste von Sklaverei. Großgrundbesitzer, Holzfirmen und ihre Handlanger in der Politik kennen nur zu oft keine Skrupel, terrorisieren die einfache Bevölkerung, lassen Mißliebige durch Berufskiller ermorden. Umweltschützer, kirchliche Menschenrechtsaktivisten und Geistliche haben deshalb in Amazonien einen schweren Stand, arbeiten in ständiger Lebensgefahr.

Zu ihnen zählt der aus Österreich stammende befreiungstheologische Bischof Erwin Kräutler. Er wirkt seit 41 Jahren in der Amazonasregion, lebt in der Urwaldstadt Altamira, erhält derzeit kontinuierlich Morddrohungen.
Zur Diktaturzeit wird Kräutler von der Militärpolizei während einer Protestaktion zusammengeschlagen. Nach dem Übergang zur "Demokratie" überlebt er schwerverletzt einen als Autounfall inszenierten Mordanschlag - ein italienischer Priester neben ihm wird dabei getötet. 1996 wird Kräutlers Mitarbeiter und Ordensbruder Hubert Mattler aus Österreich erschossen, als dieser im Hause des Bischofs gerade auf dessen Stuhl sitzt.
Kräutler leitet Brasiliens größtes Bistum – mehr als viermal so groß wie Österreich und von gravierenden Menschenrechts-und Umweltproblemen gezeichnet. Zwar stehen das einfache Volk, die Gläubigen auf Kräutlers Seite – doch seine Gegner sind einflußreich, kommen aus der Politik und der Wirtschaft.
Letztes Jahr wurde in Bischof Kräutlers Bistum die nordamerikanische Umweltaktivistin und Missionarin Dorothy Stang ermordet, was große internationale Aufmerksamkeit fand. Der Fall schien relativ rasch geklärt, fünf Tatbeteiligte kamen in Untersuchungshaft, drei bereits vor Gericht. Bischof Kräutler entlarvte indessen ein Komplott zum Schutze vieler weiterer einflußreicher Hintermänner. Auch deshalb ist er jetzt in großer Lebensgefahr. “Ich habe ganz explizite Morddrohungen erhalten, ich habe Zeuginnen dafür. Es sind drei Gründe, der erste noch im Zusammenhang mit der Ermordung von Dorothy Stang. Ich weiß, daß viele andere damit verbunden sind, die den Grund gelegt haben, damit dieser Mord möglich geworden ist. Dabei sind auch Politiker in den höheren Etagen. Ich fordere, daß die Ermittlungen weiter gehen, und zwar bis ins kleinste Detail. Damit habe ich mir natürlich nicht nur Freunde geschaffen.“
--Staudammprojekt Belo Monte—
Als zweiten Grund für die Morddrohungen nennt Bischof Kräutler seinen Widerstand gegen ein bei Altamira geplantes, gigantisches Staudammprojekt namens Belo Monte. Die Regierung von Staatschef Lula ist dafür, dem Vernehmen nach will sich China beteiligen, das zahlreiche solcher umstrittenen Stauwerke errichtete. In-und ausländische Experten nennen Belo Monte wirtschaftlich unsinnig. Doch durch das Megaprojekt würde zudem Amazonasnatur zerstört, würden die Stammesgebiete vieler Indios überflutet. Bischof Kräutler legt sich mit mächtigen Interessengruppen an. “Es handelt sich um eine Mafia, eine Gruppe von Spekulanten, die von heute auf morgen reich werden will. Wenn man gegen die Ausbeutung von Amazonien ist, wenn ich sage, das ist Raub, das ist skrupellose Ausbeutung von Amazonien, wenn ich gegen diese skrupellose Holzschlägerei bin, bin ich natürlich gegen diese Leute, die sich davon wahnsinnige Summen erwarten. Und auf einmal kommt ein Bischof und sagt Nein. Und die Behörden stehen auf der Seite vom Bischof. Da verlieren die das Geld. Das Volk in Altamira wurde nicht unterrichtet, was da läuft und was da vorgesehen ist. Man hat uns praktisch angelogen.“
--sexueller Mißbrauch von Kindern—
Doch Kräutler wird auch mit Mord bedroht, weil er zahlreiche Fälle von sexuellem Mißbrauch Minderjähriger in Altamira anzeigte, einflußreiche Personen, darunter Politiker, Großgrundbesitzer und andere Unternehmer verwickelt sind. Für diese war das Maß voll, als der Bischof auch noch Kinderprostitution enthüllte. Die Polizei ermittelte prompt, es regnete Haftbefehle. In Altamira gingen Tausende auf die Straßen, um gegen sexuellen Kindesmißbrauch zu protestieren. Das gab es noch nie in Brasilien, das Fernsehen berichtete ausführlich über Kräutlers Initiative.
Politiker, Unternehmer und sogar die Medien starteten eine Hetzkampagne gegen den Bischof – seine Eliminierung wird ganz offen empfohlen. Kräutler wird in der Zeitung sogar als „autokratischer Diktator“ bezeichnet, der ein Klima von Angst und Terror schaffe. Gleichzeitig formt sich Solidarität. “Das Volk ist vollkommen auf meiner Seite. Die Leute sagen zu mir, ich soll nicht aufstecken. Ich habe tausende von Unterschriften, von Botschaften erhalten.“
Brasiliens soziale Bewegungen haben Staatschef Lula wiederholt vorgeworfen, auch bei den Bürgerrechten seine Wahlversprechen gebrochen zu haben. Die Mordrate liege in dem Tropenland um das Zehnfache höher als in Westeuropa, Gewalt fordere jährlich über fünfzigtausend Menschenleben. Der Teilstaat Parà, in dem Kräutler arbeitet, ist mehrfach so groß wie Deutschland, laut Schätzungen von Rechtsexperten wird dort nur in vier Prozent der Mordfälle überhaupt von der Polizei ermittelt, dominiere ein Klima der Straflosigkeit.


Klaus | 18.08.06 17:24 | Permalink