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Anti-Giertych, Proteste gegen Rechtsextreme in Polen und die Falle der Linken

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Juni-Ausgabe der polnsichen Edition der Le Monde Diplomatique

von Przemysław Wielgosz

Seit mehreren Tagen ziehen durch Polen zahlreiche Demonstrationen. Polnische Medien, die bislang während Streiks von GewerkschafterInnen ihre Sorge um die öffentliche Ordnung und den Straßenverkehr äußerten, bringen überraschendes Verständnis auf. Auf den Strassen protestieren StudentInnen, SchülerInnen und alle die sich der Ernennung von Roman Giertych zum Bildungsminister widersetzten wollen. Der Widerstand gilt nicht nur dem einen Ressort oder Minister. Auf den Transparenten finden sich Parolen, die eine breite Opposition gegen die regierende Koalition der PiS, LPR und der Bauernpartei Samoobrona ausdrücken. Der von diesen geschlossene Koalitionsvertrag wurde zum Katalysator einer gesellschaftlichen Aktivierung und Herausbildung eines grundlegenden politischen Konflikts, der Polen in zwei Lager teilt. So wollen es jedenfalls die beteiligten Seiten sehen. Vieles deutet darauf hin, dass keiner von ihnen Recht hat. Obwohl der Streit mit Einsatz effektvoller Mittel geführt wird ist dies nur eine oberflächliche Fassade über Konsens in Bezug auf höhere Werte.

Die Situation gleicht der, als vor einigen Jahren durch Wien und mehrere andere europäische Städte Demos gegen eine Regierungsbeteiligung der rechtsextremen Partei Jörg Heiders zogen. Geistesgegenwärtig bemerkte damals Slavoj Żiżek, dass die Proteste gegen die Rechten den Schein eines Konfliktes erwecken wollen, der gar nicht vorhanden ist (1). Sie verheimlichen die tatsächliche Wahllosigkeit gegenwärtiger westlicher Demokratien. Da sie unterschiedliche, sich als „demokratisch“ bezeichnende Kräfte vereinen, bilden sie einen Meilenstein in der Verschmelzung traditionell Linker und Rechter Strömungen zu einer Zentrumsbrühe.

Im heutigen Polen haben wir es mit einer nahezu exakten Wiederholung dieser Situation zu tun. Żiżeks Analyse muss jedoch um die Feststellung erweitert werden, dass gegenwärtige Proteste vor allem der Blockade von Artikulationskanälen eines grundsätzlicheren Antagonismus dienen. Dieser bildet seit Jahren - nicht nur in Polen - den Rahmen gesellschaftlicher Dynamik. Dies reflektieren auch Äußerungen der AnführerInnen der Proteste wieder.

Der Philosoph Krzysztof Pomian erklärte z.B., dass „wichtigstes Ereignis der polnischen Politik die Unterscheidung zwischen autoritären (…) und demokratischen Strömungen sei“(2) . Einen ähnlichen Ton schlägt die ehemalige Gleichstellungsbeauftragte Magdalena Środa an, die versucht zu überzeugen, dass wir es mit der Herausbildung einer Oppositionsbewegung zwischen Zivilgesellschaft und Staat zu tun haben (3). Solche Stimmen enthalten bereits den Kern eines Diskurses, der heute die postkommunistische Linke, Grüne und Liberale von der Platforma Obywatelska [PO -Bürgerplatform] und der Demokratischen Partei (PD) vereint.

Die Konzepte solcher Fürsprecher der Demokratie stellen jedoch nicht die Lösung, sondern einen Teil des Problems dar, welches sie bekämpfen wollen. Wie sieht das demokratische Projekt dieser Verteidiger aus? Sie rufen nach einer Begrenzung der Repräsentativität des Parlaments, wollen die Finanzierung der Parteien durch Großkonzerne legalisieren (PO), versuchen das Arbeitsrecht zu deregulieren, überfallen im Namen des US-Servilismus und entgegen der Mehrheit der Bevölkerung den Irak (SLD) oder stellen die Kandidatur der Leiterin des Arbeitgeberverbandes für Präsidentschaftswahlen auf (PD). In den vergangenen Jahren betrachteten sie demokratische Errungenschaften als Hindernisse, die im Namen eines Kompromisses mit der Kirche, für geopolitische Ambitionen oder aufgrund „objektiver“ Erfordernisse des Marktes geopfert werden konnten.
Entgegen dem was Vizepremier Giertych verkündet, werden die Proteste nicht nur durch Schwule, Linksradikale und Anarchisten organisiert. Man trifft dort prominente Vertreter des Marktfundamentalismus. Es scheint als ob der Kampf mit dem verhassten Bildungsminister nur ein Mittel zum Zweck darstellt. Eine Methode um den demokratischen Schein dort zu wahren, wo Demokratie ausgeschlossen wird. Ein Versuch Politik um das Spektakel eines Antagonismus, der den bisherigen status quo nicht in Frage stellt, dafür wirksam die Widersprüche und das Potential des gesellschaftlichen Grolls kanalisiert.

Im diesem Sinne kann die These, es gehe heute um eine Konfrontation des Autoritarismus mit der Demokratie nicht aufrechterhalten werden. Der wirkliche Antagonismus verläuft weder an der durch Pomian vorgezeichneten Front, noch kann er mit halb-enigmatischen Begriffen einer „Zivilgesellschaft“ ausgedrückt werden, wie es Ministerin Środa versucht.

„Autoritäre“ und „Demokraten“ stehen in diesem Sinne auf dergleichen Seite der Barrikade. Es ist der neoliberale Konsens – die Überzeugung es gäbe keine Alternativen gegen den Fundamentalismus des Marktes und das soziale Errungenschaften nur eine Variable darstellen. Diese kann am Altar des Profits geopfert werden. Es ist dieser Konsens, der eine authentische Debatte ausschließt, der die freie Wahl der BürgerInnen auf den Stil sowie die Art und Weise wie sich bestimmte PolitikerInnen kleiden reduziert. Dieser Konsens entkoppelt jede politische Beurteilung von den reellen Aspirationen und Interessen der Handelnden (mit Ausnahme des dominierenden Kapitals). Die neoliberale Politik die durch alle Folgeregierungen nach 1989 realisiert wurde, zerstört soziale Errungenschaften, und damit den sozialen Inhalt der Demokratie, ohne die sie lediglich eine leere Fassade darstellt.

Der Hass gegen Giertych richtet sich so in Wirklichkeit gegen die, welche den autoritären Charakter des Neoliberalismus aufdecken. Die Alternative liegt deshalb völlig wo anders: es geht um Neoliberalismus d.h. die Bedrohung der Demokratie durch diesen und den Widerstand dagegen ihn als Verteidigung der Demokratie.

In diesem Konflikt steht auf der einen Seite eine entfremdete politische Szene, die lediglich durch 40 % der Stimmberechtigten PolInnen legitimiert wird. Auf der anderen befinden sich die, welche diese politische Rangordnung ablehnen. Die Einigkeit der erstgenannten gibt der Diskurs der PO wieder, die mangels rationeller politischer Argumente und fehlender Programmunterschiede fortwährend eine enigmatische Anständigkeit in der Politik beschwört. Damit legt sie die Vermutung nahe, dass es zwischen den größten Parteien nur um verletzte Eitelkeiten ihrer Führer geht, die infolge gescheiterter Koalitionsgesprächen zwischen PiS und PO und der damit entgangenen Ministerposten entstanden sind. Die Ausgegrenzten „Anderen“ verfügen über keine politische Repräsentanz und können so bei Bedarf durch verschiedene Kräfte „bewirtschaftet“ werden. Das ist das Potential eines Protestes, der umso mehr steigt, je stärker die PiS eine das Spektakel eines solidarischen Polens veranstaltet.

Wirkliches Opfer dieses Scheinkonflikts ist selbstverständlich die Linke. Durch ihre Teilnahme am bürgerlichen Kampf gegen Giertych und an elitären Ritualen der Verabscheuung des Bauernführers Lepper bringt sie sich auf Positionen auf denen sie zum scheitern verurteilt ist. Sie tut freiwillig das, was auf der anderen Seite des Atlantiks die Neokonservativen erst nach Jahren der Auseinandersetzungen erreicht haben. Sie akzeptiert die durch den Gegner diktierten Kampfregeln, und bezieht die von diesen bestimmten Stellungen . Sie grenzt sich von der Bevölkerung ab, der Konservatismus vorgeworfen wird und ermöglicht die Reduzierung der Politik auf einen „Kulturkrieg“ in welchem sie sich der Reste eines linken Denkens entledigt.

Es geht nicht darum den Kampf um die Rechte von Minderheiten dem Kampf gegen die Globalisierung gegenüberzustellen. Es geht um das Verständnis, dass ihre Entkoppelung den Weg ihrer Instrumentalisierung durch die Rechtsextremen freigibt. Liberale missbrauchen den Minderheitendiskurs und die Konservativen den Sozialen. Die Linke muss diese Aufteilung in Frage stellen können. Sie als Herrschaftsideologie der politischen Ordnung demaskieren. Meint sie es ernst mit der Demokratie, muss sie den grundsätzlicheren Antagonismen eine politische Form geben. Dieser ist im Mechanismus der Reproduktion gesellschaftlicher Lebenswelten verwurzelt. Max Horkheimer hat bereits darauf hingewiesen, dass wer vom Faschismus redet nicht vom Kapitalismus schweigen darf. Heute kann nicht von einer autoritären Bedrohung gesprochen werden, und gleichzeitig die Tatsache verschweigen werden, dass dessen Urheberschaft nicht in dunklen Mächten liegt, sondern in Mechanismen die den Kapitalismus regieren. Um dies zu verstehen muss dessen unhinterfragbarer Automatismus in Frage gestellt werden.

(1) Slavoj Żizek „Dlaczego tak uwielbiamy nienawidzić Heidera?” [Warum lieben wir es so Heider zu hassen?], Magazyn Sztuki Online
(2) „Trumny rządzą Polską” [Särge regieren Polen] Gespräch mit Krzysztof Pomian, Gazeta Wyborcza, 13.05.2006
(3) Magdalena Środa „Społeczeństwo silniejsze, od Kaczyńskich” [Eine Gesellschaft stärker als Kaczyńscy], Gazeta Wyborcza, 18.05.2006

Aus dem polnischen übersetzt von Kamil Majchrzak

Anmerkungen:
Der folgende Artikel wurde als Leitartikel der Juni-Ausgabe der polnischen Edition der Le Monde Diplomatique veröffentlicht.

Michal Stachura | 04.06.06 22:48 | Permalink