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Österreichischer Gefangenenpriester: In Brasilien offenbar Welle außergerichtlicher Exkutionen

"Bei Fußball-WM mit Spruchbändern gegen gravierende Menschenrechtslage Brasiliens protestieren"

von Klaus Hart, Sao Paulo

Nach den jüngsten Attentaten und Häftlingsrevolten hat Brasiliens Polizei nach Angaben des österreichischen Gefangenenpriesters Günther Zgubic einen Gegenschlag gestartet, bei dem offenbar serienweise auch völlig Unschuldige erschossen werden. Zgubic, der zu den angesehensten Menschenrechtsaktivisten Brasiliens zählt und die nationale Gefangenenseelsorge leitet, sagte in Sao Paulo, für außergerichtliche Exekutionen gebe es zahlreiche Indizien. Er richtete einen Appell an die Regierungen und Menschenrechtsorganisationen Europas, derzeit besonders auf massive Verstöße gegen Bürgerrechte in Brasilien zu achten. Während der Kommerzfußball-WM in Deutschland, so regte Zgubic an, sollten die Menschenrechtsaktivisten beispielsweise mit Spruchbändern auf die gravierende Lage im Lande des Favoriten Brasilien hinweisen. Damit ist indessen kaum zu rechnen, da auch die deutschen Kommerzmedien, von Ausnahmen abgesehen, systematisch die entsprechenden Informationen unterschlagen.
Der Gefangenenpriester hatte die letzten Jahre immer wieder Folterungen und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen unter der Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef Lula angeprangert, ohne daß deutsche Gruppierungen auch nur im Geringsten reagierten.

Nach Angaben von Zeugen und Angehörigen, so Zgubic in Sao Paulo weiter, habe die Militärpolizei in den letzten Tagen immer wieder Personen erschossen, anstatt sie festzunehmen, darunter viele völlig Unverdächtige. Rechtsstaatliche Prinzipien würden derzeit wieder einmal gravierend verletzt, was fatal an die Zeit der Militärdiktatur erinnere. Alarmierend sei zudem, daß man die Leichen zahlreicher Opfer als "Namenlose" auf Friedhöfen Sao Paulos verscharre, ohne die Angehörigen zu informieren. Über eine Woche nach der Attentatswelle, so Zgubic, gäben die Sicherheitsbehörden zwar die Namen der über vierzig getöteten Polizisten, Gefängniswärter und Feuerwehrleute bekannt, hüllten sich aber über die mehr als einhundert während des Gegenschlags Erschossenen in Schweigen. "Der Staat lehnt einen Dialog mit der Zivilgesellschaft über die jüngsten Vorgänge ab, setzt auf Geheimhaltung - das Veröffentlichen gefälschter Informationen ist durchaus möglich." Wie der Gefangenenpriester betonte, sei zudem bisher noch ungeklärt, wie die landesweiten Häftlingsrevolten niedergeschlagen wurden, ob es dabei Erschießungen oder Folter gegeben habe.
Ähnlich wie Priester Zgubic äußerten sich in Sao Paulo auch brasilianische Anwälte und Gerichtsmediziner. Bei der nationalen Polizei sei es nach wie vor unüblich, Beweise am Tatort zu sichern, hieß es. In Fällen bewaffneten Widerstands durch Kriminelle oder bei summarischen Exekutionen würden die Getöteten sofort in Hospitäler geschafft. Was derzeit in Sao Paulo geschehe, so der renommierte Universitätsprofessor und Gerichtsmediziner Nelson Massini, gleiche den Ereignissen während der Diktatur. "Man verschwindet mit den Beweisen des Verbrechens."
Wie Brasiliens Zeitungen meldeten, richteten die berüchtigten Todesschwadronen an der Peripherie Sao Paulos in den letzten Tagen mehrere Blutbäder an. Zu den vermummten Tätern sollen gemäß Zeugen auch Frauen gehört haben.
--Lula lobt rechten Gouverneur Lembo--
Staatschef Luis Inacio Lula da Silva erklärte unterdessen Claudio Lembo, Gouverneur des Teilstaates Sao Paulo, bei einem Treffen seine Solidarität. Angesichts der schwierigen Lage habe Lembo getan, was möglich sei. Der Gouverneur gehört zur Rechtspartei PFL, zählt traditionell zur Politiker-und Geldelite Sao Paulos. Während der 21-jährigen Militärdiktatur war Lembo in jenen Parteien aktiv, die das Generalsregime stützten und verteidigten.
--Scharfe Kritik von Theaterregisseur Augusto Boal an Lulas Brasilien--
Der weltberühmte brasilianische Theatermacher Augusto Boal, der mit seinem "Theater der Unterdrückten" auch in Deutschland gastierte, klagte unterdessen Brasiliens "Gesellschaft der Reichen" an, sich in Privilegiertenghettos einzumauern und nur jenen die Existenz zu gestatten, die den Wohlhabenden dienten. Der Rest werde mitleidlos aus der Gesellschaft ausgeschlossen.
"Wir wissen doch alle, daß der größte Teil unserer Bevölkerung Hunger leidet, keinen Platz zum Wohnen, weder Schulen noch Hospitäler hat, lediglich überlebt, dahinvegetiert. Wir wissen doch alle, daß in der erstickenden, ungesunden Atmosphäre der Slums, in jener existentiellen Leere, angesichts der Abwesenheit von Werten und der Mißachtung des Lebens, der größte Teil der Bevölkerung in Gefängnissen außerhalb der Kerker haust." Frauen, die von der Arbeit als Hausdienerinnen in den Slum zurückkehrten, seien dort Gefangene, könnten sich dort nicht frei bewegen, nicht frei und selbstbestimmt leben. "Anstatt Solidarität zu zeigen, akzeptieren unsere Regierungen diese gefangene Bevölkerung als Teil der Gesellschaft, bieten diesen Menschen den Kerker an, immer härtere Strafen, immer mehr Enge in den ohnehin total überfüllten Zellen der Haftanstalten."
In Lateinamerikas führender Industrieregion hat das größte brasilianischen Verbrechersyndikat PCC(Erstes Kommando der Hauptstadt ) seinen Sitz. Es zählt laut Polizeiangaben rund 640000 Mitglieder und ist auch mit NATO-Waffen, darunter Maschinengewehren und Bazookas, ausgerüstet. Das PCC hatte die Welle von Attentaten und Gefangenenaufständen ausgelöst.
--Tim Cahill von Amnesty International: Enttäuschung über Lula--
Der für Brasilien zuständige britische amnesty-Experte Tim Cahill betonte unterdessen, daß unter der Regierung des mit hohem PR-Aufwand zum "Hoffnungsträger", gar zur Ikone der Linken aufgebauten Staatschefs Lula die Verletzung der Menschenrechte just so weitergegangen sei, wie sie ai seit vielen Jahren angeprangert habe. Cahill wies auf das fortdauernde Wüten der Todesschwadronen, die Ermordung der Urwaldmissionarin Dorothy Stang, die kontinuierliche Verletzung der Bürgerrechte armer Brasilianer - "vor allem durch Vertreter des Staates, durch Großgrundbesitzer und Großunternehmen." Im neuesten ai-Bericht wird Lulas Brasilien weiterhin als Folterstaat definiert:"Menschenrechtsverletzungen in Polizeigewahrsam, eingeschlossen außergerichtliche Exekutionen, Folter und andere ungerechtfertigte Gewaltanwendung dauern fort. Folter und Mißhandlungen sind typisch im Gefängnissystem, mit vielfach grausamen, unmenschlichen und degradierenden Haftbedingungen." Brasilien, heißt es weiter, respektiere nicht die Rechte der Indianer.
Bezeichnend, daß nicht wenige Pseudoprogressive Europas diese Zustände im Lande ihres großen Hoffnungsträgers seit dessen Amtsantritt verschweigen, zu beschönigen versuchen.

Klaus | 24.05.06 14:53 | Permalink