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Marschall Kaczyński, seine Stute und eines Zwerges Grössenwahn

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Kein Witz sondern politisches Programm.
Präsident Kaczyński vor der Schlacht mit den Bolscheviken remastered.

Jede polnische Schule bekommt eine Reproduktion des berühmten Gemäldes von Wojciech Kossak "Piłsudski auf der Kasztanka" - verkündete der Rechtsextremist Roman Giertych und frisch gebackener Bildungsminister Polens in der Tageszeitung Gazeta Wyborzcza. "Ein aktualisiertes Reiterbild symbolisiert die Verbindung zwischen der IV. Republik [Machtergreifung durch Kaczyński] und der II. Republik [1918-1939]" begründet seine erste Amtsentscheidung der Führer der Liga der Polnischen Familien.

Problematisch erscheinen jedoch die Proportionen. Lech Kaczyński ist sehr kurz geraten und sein Kopf lässt sich nicht ohne weiteres an der Stelle von Marschall Józef Piłsudski einfügen, der viel höher war.

Fraglich ist auch inwieweit ein Vergleich zwischen einem gegenwärtigen Präsidenten und einem Marschall Piłsudski, dessen Amt und Machtbefugnisse abgeschafft wurden überhaupt verfassungsgemäß ist. Das Original-Bild entstand als Huldigung an den 1926 an die Macht durch einen Militärputscht gekommenen Piłsudski der das Land "sanieren" wollte. Auf dem Original-Bild führt Piłsudski seine Soldaten nach Kiew im polnisch-sowjetischen Krieg 1920-21.

Der selbsternannte neue Marschall Kaczyński hat bei dem Remake des Bildes leider nur vergessen, dass sein Vorbild Piłsudski ein von ihm verhasster Linker gewesen ist. Piłsudski gehörte der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) an. Die historische Vorlage strebte auch nicht den Faschismus an dessen Karikatur das heutige KaczyńkiStan verwirklichen will.

Als Folge des Staatsstreichs von 1926 wurden auch nicht etwa Juden verfolgt, sondern wanderten als erste die Faschisten der Narodowa Deomkracja (ND) in den Knast. Zwar folgten ihnen bald auch Kommunisten, jedoch kann man/frau Piłsudski nicht vorwerfen er hätte zeitlebens Rechtsextremisten begünstigt. Die Faschisierung des Landes erfolgte erst nach seinem Tod 1935.

Die Detailansicht des Bildes verrät auch, dass Kaczyński im Geschichtsunterricht nicht richtig aufgepasst hat. Piłsudski hielt sich nie an die militärische Kleiderordnung. Auch auf dem Gemälde trägt er nicht die vorgeschriebene „rogatywka“ [Mütze mit vier Ecken], sondern seine alte Legionisten-Mütze. Kaczyński versucht so diese Tradition neu zu besetzen.

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Detail-Ansicht des Wunsch-Bildes

Die legendären „Legiony“ stellte Piłsudski noch vor dem Ersten Weltkrieg im österreichisch besetzten Teil Polens auf. 1914 zog er unter österreichischem Oberbefehl gegen Russland in den Krieg. 1915 befreiten seine Legionen die südpolnische Stadt Kielce. Doch die BewohnerInnen lachten, die mit polnischen Adlern angerittenen Soldaten als befremdlich und utopisch aus. Ein freies Polen konnten sich die Spießbürger damals noch nicht vorstellen. Der Schmerz der Enttäuschung der Legionisten ist exemplarisch für eine ganze Generation von Soldaten, Aufständischen und Streikenden schlesischen Bergarbeitern die ihr Leben lang an ein freies Polen träumten und im Polen der Zwischenkriegszeit nur Arbeitslosigkeit und Verhöhnung fanden.

Die heutige Rechte versucht dagegen diese Zeit als eine goldene Ära darzustellen.

Der Bilder-Vorstoß des Neofaschisten Giertych ist ein Kampf um Symbole und die Deutung der Geschichte. Es geht dabei um Symbole und Allegorien die unzertrennlich mit der polnischen Geschichte verbunden zu sein scheinen. In Polen spielen sie eine unvergleichlich größere Rolle als in Deutschland.

Das Soldaten Lied „ My, Pierwsza Brygada“ der von Pilsudski im I. Weltkrieg angeführten Legionen wurde nach 1926 sehr populär und zur unoffiziellen Hymne der Sanacja (lat. sanare; gesunden). Heute wird es bei nahezu jeder Reportage oder Einspielung von Doku-Aufnahmen aus dem I. Weltkrieg im Fernsehen als Hintergrundmusik verwendet. Es wird sofort mit Polens Kampf gegen die tragische Teilung assoziiert und wird zumeist positiv besetzt.

Leider kennen nur die wenigsten den Text und Bedeutung dieses Liedes. Es steht nämlich im völligen Gegensatz zu dem was Kaczyńskis Kulturkampf zu erreichen versucht.

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Czesław Miłosz erinnerte in seinem, kurz vor dem Tod 1999 erschienenen Buch „Wyprawa w Dwudziestolecie“ [Reise in die Zwanzig Jahre (Zwischenkriegszeit)] daran, das bereits Stanisław Wyspiański in dem Drama „Wesele“ [Die Hochzeit] die „Legionisten“ als kämpfende Generation vorhergesagt hat. Der Nobelpreisträger Miłosz beschriebt in seinem demaskatorischem und durch die polnische Rechte stark kritisierten Buch, die Legionisten als eine Generation von stark durch den polnischen Romatismus geprägten jungen Menschen. Jugendliche deren Köpfe mit den sozialkritsichen Büchern von Stanisław Żeromski gefüttert wurden.

Piłsudski war Revolutionist und stand in der Tradition des Sozialistischen Widerstandes der PPS gegen den russischen Zaren. Der Inhalt des Liedes „ I Brygada“ beschreibt die tiefe Krise und Zerspaltung der polnischen Gesellschaft. Und während Piłsudski an der Revolution 1905 teilnahm versuchte der Anführer der polnischen Faschisten Roman Dmowski sich beim russischen Zaren bezüglich eines Krieges gegen Japan anzubiedern. Die Narodowa Demokracja (ND) vertrat den Standpunkt einer panslavistischen Einigung mit Russland und eines gemeinsamen Kampfes gegen den deutschen „Drang nach Osten“.

Nach dem Tod von Piłsudski übernahmen Militärs, die „pułkownicy“ [Obersten] die Regie im Land. Standen diese Anfang der 30er Jahre in einer sichtbar linken Tradition und unterstützten die Radikalisierung der akademischen Jugend durch die Bildung solcher Organisationen wie „Straż Przednia“, Legion Młodych“ oder die Bewegung „Henryk Dęmbiński“ trieben diese in der zweiten Hälfte der 30er Jahre auch nach rechts. Sichtbarstes Zeichen dieser Faschisierung der Gesellschaft war die Gründung des Obóz Zjednoczenia Narodowego (OZN) unter Oberst Adam Koc Anfang 1937. Der Oberst Adam Koc führte mit dem Faschisten Bolesław Piasecki diese Bewegung an. Auch heute ist diese Vermählung wieder attraktiv. Die Neue Rechte um den Verlag Fronda vertreibt haute eine Zeitung unter dem Namen „OZON“ das im Namen an die gleichnamige Partei anknüpft.

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Józef Piłsudski mit dem gerade gewälten neuen Präsidenten Polens Gabriel Narutowicz, der wenige Tage später von dem Faschisten Eligiusz Niewiadomski erschossen wurde (Warschau, Belweder, 10.12.1922)

Diese Tendenzen stehen jedoch im völligen Gegenteil zu den Inhalten des Liedes „I Brygada“ die sich gerade solchen Ideologien der extremen Nationalisten widersetzte wollte.

„Die Legionisten erwachten in einem völlig anderen Polen als das von dem sie geträumt haben. Sie waren es jedoch selbst die ein System geschaffen haben das die Eigenschaften einer Timokratie, das heißt einer Regierung der Ehre und der Säbel, die ihre Feinde als Regierung der Bürokraten und der Soldateska nannten, trug“ schriebt Czesław Miłosz in dem bereits genannten Buch „Wyprawa w dwudziestolecie“.

Zum damaligen Zeitpunkt beschrieb die sozialkritische Autorin Zofia Nałkowska in ihrem 1924 erschienen Roman „Romans Teresy Hennert“ [Romaze von Teresa Hennert] folgendermaßen diese Entwicklung: „Euch ging es nur um Unabhängigkeit. Die soziale Revolution war nur ein Deckmantel für einen nationalen Aufstand. Das war eine Fälschung und diese Fälschung rächt sich jetzt… - Ja das war eine Fälschung […] – und deshalb seid ihr alle Bankrot, wir erleben den Augenblick in dem Euer Traum Wirklichkeit geworden ist…“

Kaczyński will unbedingt der neue Kommandant werden, es sind aber nicht die Legionen und ihr linker Hintergrund der PPS der reaktiviert werden soll. Die Rolle der polnischen Legionen um Pilsudski im Freiheitskampf soll dem "polnsichen Volk" vor Augen geführt werden, der polnisch-sowjetische Krieg wird ins Zentrum gerückt. Mit der Machtübernahme Kaczyński begint eine weitere Ära der »historischen Rekonstruktion«, die die Rolle Kaczyński und seiner "neuen" Legionen der IV. Republik überhöht und Kontinuitäten bis zum Januaraufstand 1863 setzt.

In Wirklichkeit ist es jedoch vielmehr eine Karikatur der deutschen Lager die Kaczyński kommandieren will.

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Das Original. Ölgemälde von 1928

Download:

Ausschnitt aus der Original Version von "My Pierwsza Brygada"

Trans-Interpretation des Liedes "My Pierwsza Brygada" des DJ Dr Pytor

Weitere Informationen:

Wolfgang Schlott
Piłsudski-Kult
Die Wiedergeburt einer charismatischen Persönlichkeit in der Solidarność-Ära (1980 bis 1989)

Michal Stachura | 12.05.06 10:22 | Permalink