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Freiwillig für 947 Tage in die Hölle von Auschwitz für "katholischen Faschismus"?

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Hauptman der Kavallerie Witold Pilecki. Foto aus dem Buch: Józef Garliński "Oświęcim walczący", Odnowa, Londyn, 1974.

Am 28 Mai nährt sich der 68. Jahrestag der Hinrichtung des polnischen Rittmeisters [Hauptmann] Witold Pilecki. Der polnische Untergrund-Offizier gelangte "freiwillig" in das Konzentrationslager Auschwitz um dort einen militärischen Widerstand zu organisieren. Auf der deutschen Wikipedia-Seite wurde kürzlich zu diesem Thema ein Artikel veröffentlicht, der jedoch bestimmte Fakten aus dem Kontext des politischen Engagements von Pilecki und den Umständen seiner Hinrichtung im Jahre 1948 ausblendet. Ungewollt reproduziert der Beitrag damit ein in Polen von Rechtsextremisten lanciertes Ethos über polnischen Widerstand als lediglich dann legitim wenn antikommunistisch.

Im Vorwort eines Buches von Konstanty Piekarski, das durch den antisemitischen Verlag Antyk in Warschau herausgegeben wurde, schreibt Zofia Pilecka-Optułowicz, die Tochter von Witold Pilecki:
„Allein antikommunistisch engagierte Oppositionelle hielten die Wahrheit über den Reitmeister und seinem Mut hoch (…) Durch das heutige Auschwitz-Museum ziehen viele Tausende Besucher aus der ganzen Welt, die sich die Ausstellung über den Widerstand im KZ anschauen. Sie finden zwar auch ein Zeugnis über den Begründer (und nicht nur Mitbegründer) des Lager-Widerstandes – Reitmeister Witold Pilecki „Tomasz Serafinski“, aber solche Halb-Wahrheiten können uns nicht zufrieden stellen“.

Der Fall Pilecki ist äußerst kompliziert. Es steht außer Zweifel, dass Pilecki über-natürlichen Mut bewiesen hat um als freiwilliger in das Vernichtungslager Auschwitz zu gelangen. Ungeklärt bleiben jedoch bis heute die Details seiner politischen Aktivitäten. Auf wessen Befehl ließ Pilecki sich Gefangennehmen und woher wusste er, dass der Transport nach Auschwitz geht und nicht gleich nach Palmiry ? Unerforscht bleibt bislang auch der ideologische Charakter der von Pilecki begründeten Tajna Armia Polska (TAP).

Wie kam Witold Pilecki in das Vernichtungslager Auschwitz?

In dem oben zitierten Buch von Konstanty (Kot) Piekarski unter dem Titel "Umykając piekłu Wspomnienia polskiego oficera AK z Auschwitz i Buchenwaldu"[Auf der Flucht aus der Hölle. Erinnerungen eines polnischen Offiziers der AK aus Auschwitz und Buchenwald“, Englisch erschienen als "Escaping Hell"] gibt der Autor ein persönliches Gespräch, welches er mit Pilecki im KZ Auschwitz geführt hat wieder:

[Witold Pilecki alias Tomasz Serafinski:]
„- Ich konnte während der letzten 5 Jahre nicht in der Vilnauer Kavallerie Brigade tätig sein, weil ich in dieser Zeit in Warschau für den polnischen Nachrichtendienst gearbeitet habe. Nach der Kriegskampagne [September 1939 – Anm. M.S..] haben wir eine Untergrund-Armee gebildet [TAP – Anm. M.S.]. Im September ging ich als freiwilliger nach Auschwitz, um hier eine Widerstandszelle zu organisieren.

Die stoische Ruhe dieses Mannes verwirrte mich völlig.

- Du musst ja völlig bescheuert sein! Wer, würde so was - der klar bei Sinnen ist- machen? Und wie hast Du das gemacht? Sag nicht, Du hast die Gestapo gebeten, dass sie so lieb sind, Dich für Paar Jahre nach Auschwitz zu schicken!

- Mach keine Witze- sagte Tomasz, jetzt schaute er mich viel aufmerksamer an als ich Ihn vorher. – Der polnische Nachrichtendienst ist der Auffassung, dass Auschwitz zum großen Vernichtungslager für den polnischen Widerstand ausgebaut wird und, als solcher ist er ein wichtiges Terrain für die Aktivitäten unserer Zelle. Da ich wusste, dass die Gestapo Leute auf der Strasse einfängt um sie in dieses Lager zu bringen, hatte ich „das Glück“ zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zu sein (…)

- Du weißt natürlich, dass ich hier nicht als Freiwilliger bin. Ich befinde mich hier aufgrund der Dummheit und überhöhter Ambition unserer, hochrangigen Offiziere, die untereinander konkurrieren, wer in Warschau die erste Einheit einer Untergrund-Armee organisiert. Jeder von ihnen hielt eine Liste von Offizieren bei sich, die er angeworben hat. Sie waren zu dumm, um sich diese Listen auswendig zu merken. Als die Gestapo sie verhaftete, fand Man meinen Namen auf der Liste und es bleib nur übrig eine aussichtsreiche Jagd auf mich zu machen. Ich, Mietek und andere sind jetzt hier darum, dass Du uns organisierst.

- Du hast zweifelsohne Recht – sagte Tomasz, der keine Ironie in meiner Aussage fand. - Ich erkenne hier viele unserer höheren Offiziere wieder, aber ich plane nicht sie anzuwerben zu unserer Organisation. Ältere Leute werden vermutlich nicht in der Lage sein mit dem Lager-Stress fertig zu werden. Aus diesem Grund, sind auch einige Jüngere ungeignet. Mein Plan ist die Organisierung einer rein militärischen Einheit, mit voller Verantwortung solcher junger Offiziere wie Du“

Bereits dieses kurze Gespräch gibt die Atmosphäre wieder, die damals unter AktivistInnen des polnischen Widerstandes herrschte. Alle politischen Parteien organisierten eigene Untergrund-Einheiten, die nicht nur zwischen ihren einstigen Gegnern links und rechts des Parlaments kämpften. Sie rivalisierten auch innerhalb der eigenen Organisationen untereinander.

Was wirklich in Auschwitz geschieht haben vermutlich sowohl höherrangige Offiziere als auch Pilecki selbst unterschätzt. Dies bestätigt auch die einseitige Fixierung und Überbetonung der Vernichtungsabsicht der Polen …die übrigens bis heute ihre Früchte trägt.

Streit unter der deutschen Besatzung - katholische Faschisten

Pilecki wurde am 26. August 1939 mobilisiert und war Führer einer Kavallerie-Abteilung im Rahmen der 19. Division der polnischen Landstreitkräfte. Die zerschlagenen Einheiten formierten sich neu an der damaligen Grenze zu Rumänien. So entstand die 41. Division unter dem Befehl von Major Jan Włodarkiewicz, dessen Stellvertreter Witold Pilecki wurde.

Am 9. November 1939 gründeten Pilecki, Włodarkiewicz und einige weitere Offiziere in Warschau eine der ersten militärischen Untergrund-Organisationen unter dem Namen Tajna Armia Polska (TAP) [Geheime Polnische Armee].

Jedoch bereits sechs Wochen vorher wurde in Warschau die Służba Zwycięstwu Polski (SZP) [Dienst des Sieges für Polen] gegründet; das später ins Zwiazek Walki Zbrojnej [Gemeinschaft des Militärischen Kampfes] umgetauft wurde und ab Winter 1943 als Armia Krajowa (AK) [Heimat Armee] bekannt gewesen ist. Die AK war die größte überparteiliche Untergrund-Armee und unterstand der Exilregierung in London.

In dem Buch von Wiesław Jan Wysocki unter dem Titel „Rotmistrz Pilecki” ,werden die Ziele der TAP wiedergegeben: "(1) Kontinuierung des Unabhängigkeitskampfes; (2) Herausarbeitung eines Programms der Republik, der ihr eine moralische sowie politische, wirtschaftliche und kulturelle Erneuerung garantiert; (3) moralische Unterstützung der polnischen Gesellschaft in der Zeit der Besatzung." (...)

„Die Organisation war ein Zusammenschluss von Berufsoffizieren und Großgrundbesitzern, und hatte mithin ein national-katholisches Profil. Major Jan Włodarkiewicz war ihr Kommandant, Witold Pilecki der Organisations-Inspektor, Władysław Surmacki der Stabschef. Die TAP reichte außerhalb Warschaus bis Siedlce, Lublin, Radom und Krakow. Im Jahre 1940 zählte sie nach Schätzungen ca. 8000 vereidigte MitgliederInnen, sie besaß einige Maschinengewehre, Panzerabwehr-Geschosse und 4000 Karabiner.

Nach anfänglichen Konflikten mit der SZP (persönlicher Streit zwischen General Rowecki und Major. Włodarkiewicz – bezeichnete General Rowecki in seinem Bericht an General Sosnkowski im November 1940 die Ideologie der TAP als "faszyzm katolicki" [katholischer Faschismus - Anm. und Hervorhebung M. S.] ) unterstellte Włodarkiewicz im Herbst 1941 die TAP dem Związkowi Walki Zbrojnej (ZWZ). Er wurde sogar erster Befehlshaber des "Wachlarz" – einer Einheit der ZWZ in den polnischen Ostgebieten, für den Fall eines deutsch-sowjetischen Krieges“ (Auszug aus einem Buch von Wiesław Jan Wysocki „Rotmistrz Pilecki“ [Reitmeister Pilecki], Wydawnictwo Gryf, Warszawa 1994)

Diese Streitereien interessierten zu dem Zeitpunkt jedoch Witold Pilecki wenig, da er in der Nacht vom 21/22 September 1940 als Tomasz Serafinski mit der KZ-Nummer 4859 ins Konzentrationslager Auschwitz kam

Eine polnische HistorikerInnenseite meint dazu, dass auch Pilecki in einem Zwist mit Włodarkiewicz wegen dessen Ambitionen und Konflikten mit dem ZWZ lag.

Freiwillig in das Vernichtungslager

Während des Gerichtsverfahren 1948 sagte Pilecki aus er habe auf Anordnung von General Stanislaw Grot Rowecki [selbst Insasse im KZ Sachsenhausen] gehandelt. Der Befehl wurde ihm durch Włodarkiewicz übermittelt. Er wurde mit Ausweis-Papieren auf den Namen Tomasz Serafiński aus Krakau ausgestattet, der angeblich 1939 bei Warschau umgekommen sei (in Wirklichkeit lebte dieser noch).

Am 19. Septmeber 1940 hatten die Nazis in den Warschauer Stadteilen Żoliborz, Grochów und Mokotów eine große „łapanka“ [Einfangaktion] durchgeführt. Pilecki war zu diesem Zeitpunkt in einer Wohnung von Eleonora Ostrowska in der Wojska Polskiego Strasse in Żoliborz. Die Nazis suchten alle Männer raus. Pilecki soll angeblich selbst ins Treppenhaus gegangen auf einen Deutschen zugegangen sein.

Beim Herausgehen sagte er zu Ostrowska: „Melde an die Zuständigen, dass ich den Befehl ausgeführt habe“. Bei der Razzia wurden 2000 Männer gefangen genommen. Zwei Tage später war Pilecki bereits in Auschwitz. In demselben Transport befand sich auch der spätere Außenminister Polens Władysław Bartoszewski.

Innerhalb weniger Wochen organisierte Pilecki erste Grundstrukturen des Widerstandes im Lager, die in Form sogennater „Fünfer” organisiert waren. Eine Einheit bestand aus fünf Personen die nur Kontakt zu einer anderen Person haben durften. Fünf weitere „Fünfer“ bildeten eine Einheit, obwohl sie nichts von deren eigener Existenz wussten. Der erste „Fünfer” entstand 1940, der zweite erst im März 1941. Weitere Mitglieder waren u. a. der bekannte Skiläufer Bronisław Czech (nr 349) und der Bildhauer Prof. Xawery Dunikowski (nr 774).

Pilecki begründete eine der ersten Widerstands-Initiativen. Aber nicht die einzige im Lager. Nahezu jeder politische Flügel der KZ-Häftlinge versuchte sich zu organisieren. Es entstanden Zellen der PPS (polnische Sozialisten) unter der Führung von Stanisław Dubois (nr. 3904), der ZWZ unter Oberst Kazimierz Rawicz (nr 9319) und sogar der polnischen faschistischen ONR unter der Leitung von Jan Mosdorf (nr 8230) u. ä.

Ziel von Pilecki war es alle diese Widerstandsgruppen zu vereinigen und die Vorbereitung eines Aufstandes im Lager zu organisieren. Der Gruppe des Zwiazek Odzialow Wojskowych ZOW unter Pilecki traten auch bald Sozialisten und Mitglieder der ZWZ bei. Oberst. Rawicz übernahm symbolisch das militärische Kommando über die vereinten Untergrund-Gruppen und unterstellte es dem Befehl des ZWZ für Schlesien.

Nach dem jedoch Rawicz nach Mauthausen verlegt wurde, übernahm Oberst Juliusz Gilewicz (nr 31033; er wurde denunziert und 1943 nach der Flucht Pileckis ermordet) das Kommando. Es wurde ein Politisches Komitee gegründet, das aus Vertretern der Linken (u. a. Stanisław Dubois) und der Rechten (u. a. Jan Mosdorf) bestand. Der Untergrundarbeit traten auch Tschechen bei. Im Lager wurden trotz der unmittelbar drohenden Exterminierung die politischen Grabenkämpfe weitergeführt.

Pilecki sendete über das Vermessungs-Kommando mehrmals Informationen an seine Vorgesetzten in Warschau (die der polnischen Exilregierung in London unterstellt waren) in welchen er einen Angriff der Armia Krajowa (AK) auf das KZ von Außen forderte und einen gleichzeitigen Aufstand im Lager plante.

Flucht aus dem Lager

Verbittert über die Passivität der Exilregierung und aus Angst vor einer Enttarnung bereitet er seit Anfang 1943 seine Flucht vor. Zuvor wurden u. a .Alfred Stössel einer der ersten sogenannten „Fünfer“ und Oberst Jan Karcz, der Kommandant des ZOW im Lager Birkenau ermordet.

Pilecki flüchtete zusammen mit Jan Redzej und Edward Ciesielski in der Nacht vom 26./27. April 1943 über das Bäckerei-Kommando. Pilecki traf über Umwege nach Warschau ein und forderte nun persönlich einen Angriff der AK auf das Lager in Auschwitz. Sein Appell galt als undurchführbar. Pilecki fertige einen detaillierten Bericht (sog. "Raport Witolda") an, der auch den Briten mit der Forderung das Lager zu bombardieren vorgelegt wurde

Nach bislang unbestätigten Angaben soll der spätere kommunistische Premierminister Cyrankiewicz bei der Organisation der Flucht von Pilecki beteiligt gewesen sein.

Ein positives Zeugnis stellt ihm auch z. B. Jan Karski in seinem Buch „Tajne Państwo“ [Untergrund-Staat] aus. Karski war Offizier der AK und drang mehrmals ins Warschauer Ghetto ein um einen Bericht über die Vernichtung der Juden für Präsident Roosevelt anzufertigen. Ähnlich wie Pilecki gelangte er bei einer geheimen Mission auch ins Vernichtungslager Bełżec, wo erste Vernichtungs-Versuche mit Gas gemacht wurden.

Die Legende Cyrankiewicz

Józef Cyrankiewicz wurde am 4. September 1942 ins KL Auschwitz vom Gefängnis in der Montelupich Strasse in Krakau [nr 62933] zugeführt. Im Lager arbeitete Cyrankiewicz mit Sozialisten aus Deutschland und Österreich zusammen, denen man eine Zusammenarbeit mit der Politischen Abteilung [einer Art KZ-Gestapo] nachsagte.

Am 26. Juni 1944, wurde Cyrankieiwcz - vor einem Transport nach Buchenwald - durch Henryk Baroszewicz, ein Mitglied des ZOW in den Lager-Widerstand und die Konspiration eingeweiht.

Einige Zeit später übermittelte Wacław Stacherski, ein neuer Auschwitz-Häftling und Mitglied der AK, eine fehlerhafte Information an seine Vorgesetzten, in der es hieß dass Cyrankiewicz der Anführer des ZOW im Lager sei. Auf Grund dieser Falsch-Meldung wurde Józef Cyrankiewicz "Rota" im Sommer 1944 durch den Kommandanten der schlesischen AK Oberst Zygmunt Janke "Walter" konspirativ zum Befehlshaber der ZOW ernannt.

So entstand die Legende, dass Cyrankiewicza der Leiter des Widerstandes im Lager gewesen ist.

Der Warschauer Aufstand

Währenddessen erholte sich Pilecki in Warschau von dem Lager, nahm jedoch auch am Warschaue Aufstand 1944 teil. Pilecki kämpfte während des Warschauer Aufstandes in der Einheit des NSZ „Chrobry II”. Dessen erster Führer Major "Lig" Leon Nowakowski gehörte den rechtsextremen Narodowe Siły Zbrojne NSZ [Nationale Streitkräfte] an, die der proto-faschistischen Vorkriegspartei Narodowa Demokracja [Nationale Demokratie] unterstanden. Die ND wurde durch den offen mit dem italienischen Faschismus sympathisierenden Roman Dmowski gegründet.

Pilecki meldete sich feiwillig im Rang eines Gefreiten zum I Batalion dieser Einheit und kämpfte in der Innenstadt-Nord von Warschau.

Als Mitglied der speziellen Organisation Niepodległość” (NIE) [Unabhängigkeit], die durch Oberst Emil Emil Fieldorf „Nil“ eigens seit Mitte 1943 im Hinblick auf eine Fortsetzung des Untergrund-Kampfes unter sowjetischer Besatzung aufgebaut wurde, war er jedoch nicht verpflichtet an Kampfhandlungen des Aufstandes teilzunehmen. Pilecki gehörte seit Frühjahr 1944 der „NIE“ an und unterstand Stefan Miłkowski "Jeż."

Nach dem gescheiterten Aufstand kam Pilecki als Kriegsgefangener in das berühmte Lager Lambsdorf in Schlesien (in dem später Deutsche „Vertriebene“ gesammelt wurden vor deren Ausreise aus dem neuen Polen).

Nach dem Krieg arbeitete Pilecki bis zu seiner Verhaftung weiterhin im Untergrund innerhalb der "NIE". Dabei war er so erfolgreich, dass er selbst einen Hauptmann der polnischen Staatssicherheit (Urzad Bezpieczenstwa) [Amt für Sicherheit] - Wacław Alchimowicz anwerben konnte, der später auch hingerichtet wurde. Fraglich ist dabei, ob Pilecki tatsächlich Urheber von Plänen gewesen ist hohe Beamte des neuen polnischen Staates zu liquidieren oder, ob die „Beweise“ dafür durch die Stasi (insbesondere durch den Agenten Kuchciński) fabriziert wurden. In den mit Vorsicht zu geniessenden Prozess-Akten finden sich Angaben über angeblich vorbereitete Attentate auf MitarbeiterInnen des Ministeriums für Staatssicherheit, des Amtes für Sicherheit sowie Oberst Józef Czaplicki, Oberst Józef Różański und Oberst Luna Brystigierowa.

Der Prozess gegen Witold Pilecki

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Pilecki bei seiner Verhaftung 1947

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Die Gruppe "Witold" vor dem Gericht. Pilecki sitzt als erster von Links. Vor den Angeklagten sitzen die "Verteidiger"

Am 3. März 1948 begann vor dem Militärgericht in Warschau der Prozess der sog. „Gruppe Witold“, zu der außer Witold Pilecki noch Maria Szelagowska, Tadeusz Pluzański, Ryszard Jamontta-Krzywicki, Maksymilian Kaucki, Witold Różycki, Makary Sieradzki und Jerzy Nowakowski gehörten.

Den Vorsitz des Gerichts führte – interessanterweise kein Kommunist, sondern der ehemalige AK-Offizier Jan Hryckowian, und die Anklage auf Spionage und Vorbereitung eines Staatsstreichs erhob der ehemalige AK-Major Staatsanwalt Czesław Łapiński.


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Pilecki vor Gericht / März 1948

Witold Pilecki befand sich nicht für schuldig, gab jedoch zu Informationen über die Situation in Polen gesammelt zu haben und diese an den Befehlshaber des II. Korps General Wladyslaw Anders nach Italien bzw. Groß Britannien weitergeleitet und drei geheime Waffenlager eingerichtet zu haben.

Am 15. Mai 1948 verurteilte das Gericht Witold Pilecki, Maria Szelagowska und Tadeusz Pluzański zu Tode, Makary Sieradzki zu Lebenslänglich, Różycki zu 15 Jahren Haft, Kaucki zu 12 Jahren, Jamontt-Krzywicki zu 8 und Jerzy Nowakowski zu 5 Jahren Haft.

Witold Pilecki wandte sich an den damaligen polnischen Präsidenten Wladyslaw Bierut um eine Begnadigung, die jedoch abgelehnt wurde.

Schweigegeld und Erpressungen

Kurz nach dem Krieg suchte Cyrankiewicz den echten – noch lebenden - Tomasz Serafiński auf. Von diesem erfuhr er über die Aktivitäten von Pilecki und seine Rolle im Lager-Widerstand von Auschwitz. Pilecki soll im selben Zeitraum brieflich Kontakt zu Cyrankiewicz aufgenommnen haben. Während Cyrankiewicz ihm angeblich Schweigegeld vorschlug, drohte Pilecki mit einer öffentlichen Kompromitation.

In der Meldung Nummer 6 vom 4. September 1946, schreibt Pilecki an seien Vorgesetzten: „"C" hat sich mit Serafiński getroffen und sucht Materialien zu einem Referat über das „Kämpfende Auschwitz”.

In dem Buch von Wiesław Jan Wysocki „Rotmistrz Pilecki“ erinnert sich Maria Bielecka daran, dass: „Als mich Witold Pilecki nach seiner Rückkehr nach Polen [1946] besucht hatte, sagte ich ihm, dass ich eine Gelegenheit verpasst habe ein Zeugnis über Auschwitz zu hören. Witold lachte: „Dieses Referat wurde nie vorgetragen. Es sollte durch Cyrankiewicz vorgelesen werden. Als ich das erfuhr, habe ich ihn angeschrieben, und ihm gesagt dass ich im Besitz von Materialien über seinen Aufenthalt in Auschwitz bin, und das ich dieses Dokument veröffentlichen werde“

Bereits während seiner Verhaftung in Warschau erzählte Pilecki dem Priester Czajkowski, einem Mithäftling: „Wenn Cyrankiewicz über meinen Aufenthalt [hier] erfährt, werde ich umgebracht“.

Cyrankiewicz soll die Bitten der Auschwitz-Häftlinge Tadeusz Pietrzykowski und Ludmila Serafińska, das Leben von Pilecki zu retten, abgelehnt haben.

Die Rehabilitierung des Reitmeisters Witold Pilecki durch die Militär-Kammer des Höchsten Gerichts wurde am 1. Oktober 1990 vollzogen.

Der am 7. Juni 2003 durch das Amtsgericht in Warschau vernommene ehemalige Staatsanwalt Czesław Łapiński der wegen Justizmord angeklagt wurde, sagte aus:

"Ich forderte für Pilecki die Todesstrafe, nach dem der General-Staatsanwalt mir versprochen hatte, dass dieses Urteil nicht vollstreckt wird”.

Résumé

Pilecki ist unbestreitbar ein mutiger Man gewesen und sein Lebenslauf könnte als Vorlage für mehrere Filme dienen.
Viele Fakten aus seinem Leben bleiben jedoch weiterhin ungeklärt. Mehr Licht sollte vor allem auf seine eventuelle Zusammenarbeit mit „katholischen Faschisten“ während seiner Zeit in der TAP und später während des Warschauer Aufstandes in den Einheiten der NSZ geworfen werden.

Unklar sind auch seine Motive in der Auseinandersetzung mit Cyrankiewicz, wollte er einen hohen Beamten des neuen stalinistischen Polens bloßstellen oder waren es persönliche Eitelkeiten aus dem Lager? Handelte Pilecki dabei auf eigene Faust oder war dies eine Aktion der „NIE“? Welche kompromittierenden Dokumente besaß Pilecki? Hat Cyrankiewicz die Zustände im Lager nicht ausgehalten und hat sich auf eine „Zusammenarbeit“ mit der Lager-Gestapo eingelassen?

Eine endgültige unabhängige wissenschaftliche Bewertung von Pileckis politischem Engagement kann derzeit noch nicht vorgenommen werden.

Deutlich wird das auch an einem anderen Auschwitz-Häftling: dem katholischen Pfarrer Maksymilian Kolbe, der sein Leben für einen Mithäftling in Auschwitz eingetauscht hatte und im Hunger-Bunker den Hungertod sterben sollte.

Konstanty Piekarski, der Autor des eingangs zitierten Buches "Umykając piekłu Wspomnienia polskiego oficera AK z Auschwitz i Buchenwaldu" der mit Pilecki im Lager den Widerstand organisierte, war Zeuge dieses Ereignisses. Kolbe und Piekarski waren gemeinsam im Block 14 untergebracht. Da Piekarski das berühmte Ereigniss auf dem Appelplatz beobachtet hat, wurde er als Zeuge in Kolbes Beatifikations-Prozess berufen. Mittlerweile wurde Vater Kolbe (Patron der Journalisten und Amateurfunker) durch Papst Johannes Paul II heilig gesprochen.

Dabei darf nicht verschwiegen werden das Kolbe vor dem Krieg (insbesondere in den 20er Jahren) zu den größten antisemitischen Hass-Autoren in Polen gehörte. Die von Kolbe begründete und bis heute herausgegebene Zeitschrift "Rycerz Niepokalanej" [Ritter der Unbefleckten] - in denen Kolbe u. a. aus den Protokollen der Weisen von Zion zitierte, wurde bislang nur unzureichend einer kritischen Untersuchung unterzogen. Einer kritischen Überprüfung bedarf es auch im Fall Witold Pilecki.

Anmerkungen:
Wenn nicht anders vermerkt wurden alle Zitate dem gut dokumentierten Buch von Wiesław Jan Wysocki unter dem Titel "Rotmistrz Pilecki", Wydawnictwo Gryf, Warszawa 1994 entnommen. Die Fotos Stammen aus dem Buch von Józef Garliński "Oświęcim walczący", Odnowa, Londyn, 1974. Zahlreiche Informationen wurden aus dem Artikel "WITOLD PILECKI W PIEKLE XX WIEKU" von Andrzej M. Kobos übernommen.

Herzlicher Dank an ANDRZEJ M. KOBOS aus Edmonton Alberta, Kanada.

Michal Stachura | 03.05.06 17:54 | Permalink

Kommentare

was bitte ist ein Untergrund-Offizier????

@Michal Stachura
ein Untergrund-Offizier ist nicht jemand der in der U-Bahn arbeitet, sondern jemand der zur Untergrundarmee gehört. In diesem Fall Mitglied der clandestinen polnischen Streitkräfte (Armia Krajowa) des parallel im Untergrund während der deutschen Besatzung weiterhin agierenden Staates Polen. :-)

Verfasst von: ich | 07.05.06 11:00

danke für diese aufarbeitung-ich hätte ohne diesem artikel ein komplett anderes bild von pilecki gehabt!

Verfasst von: alan | 18.07.07 14:55

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