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Lulas Lob der Atomenergie

"Atomkraft sauber und sicher"
Einweihung der Urananreichungsfabrik bei Rio de Janeiro
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Unmittelbar vor der Einweihung erster Produktionsanlagen der bereits seit langem versuchsweise produzierenden Urananreicherungsfabrik in Resende bei Rio hat Staatschef Lulas neuer Wissenschafts-und Technologie-Minister Sergio Rezende in Brasiliens Medien die Bedeutung der Atomenergie betont. Diese werde in diesem Jahrhundert eine wichtige Rolle spielen, da erneuerbare Energien wie Windkraft und Solarenergie zur Ersetzung fossiler Brennstoffe nicht taugten. „Atomenergie erweist sich als Alternative – fähig dazu, den Bedarf selbst in großen Dimensionen zu decken, in sauberer und sicherer Weise. Die Regierung von Präsident Lula unterstützt mit Festigkeit das brasilianische Atomprogramm.“
Dem Minister zufolge soll die Urananreicherungsfabrik neben den beiden bei Rio de Janeiro bestehenden Atomkraftwerken Angra I und Angra II auch das dort im Bau befindliche Angra III versorgen. Die Fertigstellung des vom Windkraft-und Atomkonzern Siemens begonnenen Atomkraftwerks bis 2013 sei fest eingeplant, die Bauarbeiten dürften noch dieses Jahr starten. Geplant seien sieben weitere AKW. Für Brasilien sei die Selbstversorgung mit angereichertem Uran strategisch wichtig. Das Tropenland verfüge über die sechstgrößten Uranvorräte der Welt – jedoch sei erst auf 30 Prozent des Territoriums überhaupt nach Uran gesucht worden. Gemäß früheren Ankündigungen soll angereichertes Uran auch exportiert werden. Rezende betonte, daß Brasiliens Atomprogramm, eingeschlossen die Urananreicherung, von der Internationalen Atomenergiebehörde autorisiert worden sei.
Wegen des Streits um die Urananreicherung im Iran zog es Lula dem Vernehmen nach entgegen früheren Plänen vor, die offizielle Einweihung in Resende am 5. Mai besser nicht selbst vorzunehmen, sondern seinem Technologieminister Rezende zu überlassen. Dieser erklärte dabei, es sei nicht zu befürchten, daß sich Brasiliens öffentliche Meinung gegen die Fertigstellung von Angra III wende. Die Krise um die Gaslieferungen aus Bolivien hätten die Argumente der Gegner geschwächt. "Atomenergie hat am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen."

ostblog-Hintergrundtext von 2004: Neue AKW, Uranexport, Ausbildung von Nuklearfachleuten


Die Lula-Regierung sieht die Atomkraft international wieder im Aufschwung und will davon profitieren - durch den Export angereicherten Urans, die Montage von Atomreaktoren im Ausland. In Brasilien stehen bereits zwei Atommeiler. Nun sollen ein von Siemens-KWU begonnenes Atomkraftwerk fertiggebaut und vier weitere Meiler errichtet werden. Die technologische Kooperation mit dem weltweit führenden deutsch-französischen Atomkonzern Framatome wurde bereits intensiviert. Entsprechende ausführliche Berichte der sich auf Regierungsquellen berufenden Qualitätszeitung „O Globo“ sind von Brasilia nicht dementiert worden, womöglich, um die Reaktion der öffentlichen Meinung zu testen. Bereits lange vor den Präsidentschaftswahlen von 2002 war bekannt, daß Lula und die Spitze der Arbeiterpartei PT die Nutzung der Atomkraft keineswegs prinzipiell ablehnen. Und jetzt, nach rund zweijähriger Amtszeit, fallen in der dreizehnten Wirtschaftsnation offenbar die ersten Entscheidungen. Lulas Technologieminister Eduardo Campos von der Sozialistischen Partei ging vor die Presse, erklärte die Phase des Abwartens, Beobachtens, Sondierens für beendet. Brasiliens ziviles Atomprogramm sei wiederaufgenommen worden, erlebe eine neue Konjunktur, habe für die Regierung Priorität. “Brasilien braucht gut ausgebildete Kernkraftfachleute, entsprechende technische Kapazitäten. Und die bekommen wir nur, wenn wir unser Atomprogramm in allen Bereichen fortsetzen. Das Programm sah sieben Atomkraftwerke vor – vier davon im Nordosten des Landes. Denn diese Region litt am meisten unter unserer letzten Energiekrise – als vor drei Jahren im ganzen Lande Strom fehlte.“
Und diese vier Atommeiler sollen in den nächsten Jahren entstehen. Zwei davon bis 2010, mit einer Leistung von 1300 Megawatt, genau so viel wie das von Siemens-KWU errichtete Atomkraftwerk Angra zwei des Biblis-Typs in einer Atlantikbucht bei Rio de Janeiro, das seit vier Jahren Strom liefert. Inzwischen hat Siemens-KWU den Kernenergiebereich mit dem staatlichen französischen Konzern Framatome fusioniert – beide Unternehmen halten sich zu den neuen brasilianischen Atomprojekten noch bedeckt. Doch das Technologieministerium erklärte auf Anfrage, daß derzeit tatsächlich über neue Atomkraftwerke beraten werde. Aber vorrangig gehe es um den Fertigbau von Angra drei. Schließlich habe man dafür seit den achtziger Jahren schon eine Menge Ausrüstungen gekauft.
Sie stammen von Siemens-KWU, sind abgesichert mit Hermesbürgschaft und werden am Bauplatz in jener Atlantikbucht gleich neben den Meilern Angra eins und zwei gelagert. Angra eins war vom nordamerikanischen Unternehmen Westinghouse errichtet worden und braucht eine Generalüberholung, Modernisierung. Dabei schlägt Brasilien derzeit zwei Fliegen mit einer Klappe. Um künftig auch außerhalb des Landes Atomreaktoren montieren zu können, kooperieren die brasilianischen Staatsunternehmen Eletronuclear und Nuclep mit Framatome.
„Wenn Nuclep weiß, wie Atomreaktoren errichtet werden, kann es dann natürlich auf diesem Markt mitkonkurrieren“, hieß es aus dem Technologieministerium. Der Atom-und Windkraftkonzern Siemens sowie die Bundesregierung halten sich bei der nuklearen Zusammenarbeit mit Brasilien strikt an das von Helmut Schmidt 1975 mit den Generälen der Militärdiktatur geschlossene Atomabkommen, außerdem an den Atomwaffensperrvertrag. So hatte Rot-Grün auf der New Yorker Überprüfungskonferenz dieses Vertrags , ohne durchaus mögliche Gegenvoten Joseph Fischers, folgenden Text des Abschlußdokuments unterzeichnet:“Die Konferenz erkennt die Vorteile der friedlichen Atomenergienutzung und nuklearer Techniken an“, heißt es da, „und ihren Beitrag, um in den Entwicklungsländern nachhaltige Entwicklung zu erreichen sowie generell das Wohlergehen und die Lebensqualität der Menschheit zu verbessern.“ Atomenergie sei daher überall auf dem Erdball zu fördern. Auch Trittin hat sich davon nie distanziert.
Laut Minister Campos setzt man in der ganzen Welt wieder auf die Atomkraft, werde sich ihr Anteil an der Stromerzeugung in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren von derzeit siebzehn auf 25 Prozent erhöhen. In Frankreich liegt er bereits bei 75 Prozent. Brasilien möchte da nicht abseits stehen und zudem am Geschäft mit angereichertem Uran profitieren, dessen Weltumsatz derzeit bei jährlich über sechs Milliarden Euro liegt.
--Konflikt wegen Uranfabrik bei Rio—
Gerade hat in Resende bei Rio de Janeiro eine von den Militärs entwickelte Anreicherungsfabrik den Betrieb aufgenommen, die zunächst nur die eigenen Reaktoren mit Kernbrennstoff versorgen soll. Brasilien besitzt die sechstgrößten Uranreserven der Erde - doch weil bisher nur auf einem Viertel der Landesfläche nach dem edlen Rohstoff gesucht wurde, geht die Regierung von weit größeren Vorkommen aus. Und möchte künftig besonders den wichtigen Wirtschaftspartner China, der bis zu dreißig Atomkraftwerke plant, mit angereichertem Uran beliefern. Eine enge atomare Zusammenarbeit hatte Lula im Mai während seines Chinabesuchs vereinbart.
Indessen steht Brasiliens Atompolitik international weiter im Zwielicht, weil die Lula-Regierung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO nach wie vor keine lückenlose Kontrolle der Anreicherungsfabrik erlaubt. Dort könnte selbst laut brasilianischen Angaben auch atomwaffenfähiges Uran hergestellt werden. Brasilia dementiert derartige Absichten. Der Atomwaffensperrvertrag werde natürlich eingehalten.
Mehr als zehnmal waren Inspektoren der Wiener UNO-Behörde bereits in Resende – doch auch bei der jüngsten Visite im Oktober wurde ihnen nicht einmal ein Blick auf die wichtigsten Anlagenteile, vor allem die Zentrifugen, erlaubt.
“Die mit sehr hohen Kosten entwickelte Anreicherungsmethode“, so ließ die Regierung mehrfach offiziell erklären, „wird auf jeden Fall geheimgehalten. „Brasiliens Zentrifugen arbeiten weit energiesparender, mit höherer Lebensdauer als die anderer Länder – der Schutz solcher Industriegeheimnisse ist daher vordringlich. Schließlich handelt es sich um einen wirtschaftlich so wichtigen Bereich wie die Energieerzeugung.“
In den USA und Europa befürchtet man indessen, daß ein gefährlicher Präzedenzfall entstünde, falls die IAEO Brasiliens Haltung akzeptiert. Denn dann könnten Länder wie der Iran ebenfalls auf eingeschränkten Kontrollen ihrer Anreicherungsfabriken bestehen.
Rückenwind bekommt Brasilia jedenfalls von der Presse des eigenen Landes, besonders vom führenden Medienkonzern „Globo“, der sogar nationalistische Töne anschlägt.
“Logisch, daß wir keine Atombombe bauen wollen, um sie etwa auf Argentinien zu werfen“, betont Globo-Starkommentator Arnaldo Jabor in Radio und Fernsehen. „Doch am wissenschaftlichen Fortschritt wollen wir teilhaben. Hinter dem ganzen Streit um die Inspektionen steckt doch nur der Wunsch des Auslands, unsere Industrie rückständig zu halten, unsere Technologie zu überwachen – wir erleiden eine deutliche geopolitische Diskriminierung – man will von Brasilien politischen Gehorsam. Doch wir zeigen ihnen nicht alles - Brasilien macht es genau richtig. “
Selbst angesehene Atomphysiker wie Rogerio Cerqueira Leite nennen es extrem intelligent und opportun, die Inspektoren nicht in den sensibelsten Abschnitt der Urananreicherungsanlage zu lassen.
Doch Öl ins Feuer goß jetzt die angesehene Wissenschaftszeitschrift „Science“ aus den USA, derzufolge Brasilien dank der neuen Anreicherungsanlage von Resende in der Lage sei, jährlich sechs Atomsprengköpfe herzustellen. Dafür gebe es derzeit zwar keine Anzeichen, doch könnte das Tropenland ja künftig seine Politik ändern. Denn unvergessen ist das geheime Atomprogramm der Militärs aus der Diktaturzeit, das Atomtestgelände in Amazonien. Und unvergessen sind auch Äußerungen von Staatschef Lulas erstem Wissenschafts-und Technologieminister Roberto Amaral zugunsten des Baus einer Atombombe. Brasilien, so Amaral letztes Jahr, müsse die nötigen Kenntnisse besitzen – für den Fall, daß sich die Weltlage ändere. Minister Amarals Nachfolger Eduardo Campos wies die Angaben der Zeitschrift „Science“ auf der Stelle als falsch und leichtfertig zurück, ebenso den Verdacht, daß Brasilien die wahre Herkunft seiner Uranzentrifugen verschleiern wolle. Denn die Science-Autoren schlossen nicht aus, daß Brasilien in Wahrheit Zentrifugen des europäischen Anreicherungskonsortiums Urenco kopierte, über deutsche Fachleute an die Technologie herangekommen war.


Klaus | 05.05.06 15:08 | Permalink