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"Deutsche Pipeline, polnisches Atomkraftwerk" - oder wie Polen mit Tschernobyl droht

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Nationalpark Unteres Odertal - bald radioaktives Sperrgebiet?

Die national-konservative Regierung Kaczyński droht mit dem Bau eines AKWs 140 Kilometer von Berlin. Eine Folge gestiegener polnischer Ambitionen zu einer mitteleuropäischen Regionalmacht aufzusteigen.

- von Kamil Majchrzak aus Szczecin (Stettin) -

Polens Pläne zum Einstieg in die Kernenergie sind nicht neu. Versucht doch seit Jahrzehnten eine Gruppe alternder WissenschaftlerInnen um die Professoren Zbigniew Jaworowski vom Zentralen Radiologischen Labor in Warschau und Andrzej Z. Hrynkiewicz von der Jagiellonen Universität in Krakau sich mit einem AKW-Neubau ein Denkmal zu setzen. Die Idee wurde durch die konservative Regierung in Warschau schnell aufgegriffen, entspricht sie doch dem steigenden nationalen Selbstbewusstsein Polens. Die pünktlich zum Jahrestag des GAU von Tschernobyl kolportierte Nachricht alarmierte trotzdem die Bevölkerung auf beiden Seiten der Oder, die nach Meinungsumfragen mehrheitlich gegen Kernenergie ist.

An der Ernsthaftigkeit des polnischen Vorhabens ist jedoch zu zweifeln. Warschaus Säbelrasseln muss im Kontext einer Auseinadersetzung mit Deutschlands Ostpolitik dechiffriert werden. Spätestens seit dem massiven Engagement für die sog. Orangene Revolution in der Ukraine, versucht sich Polen als regionale Macht in Mittel-Osteuropa in Szene zu setzen. Präsident Lech Kaczyński führt dabei die Politik seines sozialdemokratischen Vorgängers Aleksander Kwaśniewski fort, die mit Polens Überfall auf den Irak ihren Anfang nahm.

”Wir sind in Polen besonders sensibel, wenn Gespräche über Korridore und Verträge hinter unserem Rücken geführt werden, dies hatten wir bereits 1939 mit dem Ribbentrop-Molotov Pakt, der Polen zwischen Deutschland und Russland aufteilte” mahnte vor wenigen Tagen der polnische Verteidigungsminister Radosław Sikorski in Brüssel. Sikorski forderte vergeblich Kanzlerin Merkel dazu auf, den Vertrag über die Ostseepipline, die im September vergangenen Jahres durch Gerhard Schröder geschlossen wurde abzuändern.

Bereits 1974 entstand in Świerk bei Warschau der kleine Forschungsreaktor „Maria“ russischen Typs. Pläne eine französische Technologie zu übernehmen wurden damals aus politischen Gründen abgelehnt. Die kurz vor der Pension stehenden Forscher haben in Präsident Kwaśniewski einen Unterstützer gefunden, den bereits 2004 - wegen Mangel an Brennstoff - für ein Jahr stillgelegten Reaktor als Ausgangspunkt zum Einstieg in die Kernenergie zu nutzen. Dank guter Kontakte zu Präsident Wladimir Putin gelang es Kwaśniewski den Reaktor zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder mit Uran zu versorgen. Zuvor veröffentlichte die Polnische Akademie der Wissenschaften (PAN) eine Studie in dem die Oder-Stadt Gryfino und Drawsko Pomorskie als mögliche Orte eines AKW-Neubaus genannt wurden.

Im Januar 2005 nahm das Regierungskabinett von Premierminister Marek Belka Richtlinien für eine neue Energiepolitik an. In einem Nebensatz erwähnte das Dokument auch Pläne für den Einstieg in die Atomenergie: „Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten besitzt Polen keine Kernenergie. Ihre Einführung ist zweckmäßig aufgrund der Notwendigkeit der Diversifikation der primären Energieträger und der Begrenzung des Ausstoßes von Treibhausgasen und Schwefeldioxid.“ In einer Fußnote wird hinzugefügt, dass die „Inbetriebnahme des ersten Kernreaktors vor 2020 als unrealisierbar angesehen wird.“ Insgesamt soll der Anteil des spaltbaren Brennstoffes in der gesamten Energie-Bilanz für das Jahr 2025 ca. 7% betragen.

„Bei uns sind bislang keine Anträge zur Prüfung eines AKW-Baus eingeflossen“ sagt Andrzej Miluch vom zuständigen Umweltschutzamt in Stettin. Auch Henryk Piłat, der Bürgermeister der direkt am Nationalpark Unteres Odertal gelegenen polnischen Grenzstadt Gryfino, ist völlig überrascht von der Nachricht. „Ich treffe mich ständig mit Karol Pawłowski, dem Leiter des Energiekomplexes „Untere Oder“. Über den angeblichen AKW-Bau haben wir aus der Presse erfahren. Das Energiewerk hat heute einen Anteil von 7 % an Biokraftstoffen und wir gingen davon aus, dass dieser steigen soll.“ – erzählt Piłat.

Die Pläne überraschen auch polnische Ökologen. Der AKW-Bau in Gryfino ist vielmher eine gelungene PR-Aktion der polnischen Regierung - sagt Tomasz Saliński von Greenpeace Polen In Wirklichkeit geht es um die Osteepipline und Polens zukünftige Rolle in der EU. Deshalb habe das Land sich den „Kernenergie-Experten“ Bulgarien mit ins Boot geholt um so gegen „das deutsche Rohr“ vorzugehen fügt Saliński ironisch hinzu.

Kaczyński bedient antideutsche Ressentiments und versucht sich gegenüber Deutschland außenpolitisch zu profilieren, wie einst sein postkommunistischer Widersacher Kwaśniewski im Irakkrieg.

Von einem politischen Manöver geht auch der Kernphysiker Prof. Mirosław Dakowski aus. Dakowski gehörte in den 80er Jahren zu den Anführern der Anti-AKW-Bewegung, die den Bau des Atommeilers in Żarnowiec bei Danzig verhindert hat. Dakowski steht in engem Kontakt zu Greenpeace.

Hoffnung auf die Reaktivierung einer authentischen Anti-AKW-Bewegung wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Mit dem Baustop von Żarnowiec 1990 zersplitterte auch die damalige Protestbewegung bzw. ging in rechtsextremen Dunstkreis auf. Einstige Aktivisten der Bürgerbewegung wie der liberale Radosław Gawlik von der WiP [Wolność i Pokój – Freiheit und Frieden] wurden später Umweltminister und haben die Bewegung verraten, meint Dakowski. Ein anderer Aktivist Andrzej Żwawa aus Kraków, Herausgeber der einst linken Ökozeitschrift Zielone Brygady [Grüne Brigaden] bietet in seinem Blatt heute regelmäßig eine Plattform für den Neofaschisten Bolesław Tejkowski der Polska Wspólnota Narodowa-PWN [Polnische Nationale Gemeinschaft]. Der Rechtsextremist gründete die Konfederacja dla Naszej Ziemi – KNZ [Konföderation für Unsere Erde] Ein Auffangbecken für Ideologen Nationaler Ökologie. Das ist einmal mehr Beweis dafür, das unsere Strategie richtig ist. Wir halten uns von der Politik fern, um mit sachlich argumentierenden Leuten von links und rechts zusammenzuarbeiten - kommentiert Saliński. Das Prof. Dakowski in Zeitschriften der Neuen Rechten wie „Ojczyzna“ und „Obywatel“ sowie dem antisemitischen Antyk-Verlag publiziert scheint ihn nicht zu stören. „Was meinen Sie mit Antisemitismus? Wenn irgendwelche Banditen das einzige unabhängige Medium wie Radio Maryja schließen wollen? – antwortet Dakowski auf die Vorwürfe.

Gleichzeitig erschienen in der Wochenzeitung Freitag # 22 vom 02.06.2006

Anmerkungen:

Die neuen polnischen Energiepolitischen Richtlinien in Englisch hier zum downloaden

Michal Stachura | 06.05.06 21:13 | Permalink