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Shit-stirring anti-style–Jamie Reid stellt in Berlin aus

von Jürgen Schneider

Am 5. April 2006 eröffnete die Londoner Galerie The Aquarium ihre Sommerdependance in Berlin mit der Ausstellung »A Cheap Holiday in Other People’s Misery«. Gezeigt werden Arbeiten von Jamie Reid. Reid definierte vor knapp 30 Jahren Punk visuell, indem er der britischen Erbmonarchin Queen Elizabeth II. anlässlich ihres 25jährigen Empiredienstjubiläums für das Cover der Single ›God Save the Queen‹ von den Sex Pistols – ein veritabler Drei-Minuten-Riot gegen das Blaublut –, eine Sicherheitsnadel durch die Lippen steckte. Die Sicherheitsnadel wurde bald vom Mainstream reklamiert: Die Designerin Zandra Rhodes benutzte sie für ihre Fummel, die sie unter dem Label »Conceptual Chic« vertickte. Kurz darauf setzte die Theoretisierung von Pop ein, die mit der Negation von Pop, die Punk markiert hatte, aufräumte und das affirmative Popgeschwätz hoffähig machte, das wiederum die bambiharmlose Popliteratur hervorbrachte, die sich – thank God! – rasch selbst killte.


Bild: www.mital-u.ch

Punk, so Reid, stand für »fuck-all-that-fucking-corporate-glam-rock-shit, der im Musikbusiness dominierte. Wir machten unsere eigene Kunst, unsere eigene Musik, und das ganze war sehr inspirierend.« So inspirierend, dass es Reid gelang, für die Sex Pistols ein Corporate Logo mit hohem Wiedererkennungswert zu kreieren. Naomi Kleins Buch »No Logo« war da noch nicht geschrieben.
Alles hatte damit begonnen, dass Reid 1976 von Malcolm McLaren, dem Manager der Sex Pistols, ein Telegramm bekam. McLaren wollte, dass Reid die Flyer, Plakate und Cover für die Sex Pistols gestaltet. Die beiden hatten zusammen in Croydon Kunst studiert, dort 1968 an einem Sit-in teilgenommen und sich im Umfeld von King Mob bewegt, einer Londoner Gruppe um Christopher Gray, die aus der Situationistischen Internationale ausgeschlossen worden war. King Mob wollte gegen die Gesellschaft des Spektakels angehen, enteignete in einem Kaufhaus Spielzeug und ließ es von einem Weihnachtsmann an Kinder verteilen. Auf Hauswände sprühten Gruppenmitglieder Slogans wie »Ich kann nicht atmen«. Der Einfluss situationistischer Praxis fand seinen Niederschlag auch in dem von Reid und anderen nach 1970 edierten Croydon-Blatt »Suburban Press« (SP). In SP, so Reid, »wurden Politik und Korruption der örtlichen Stadträte kritisiert, und Grafiken und situationistische Texte eingestreut.«
Als McLaren Reid kontaktierte, gehörte der Slogan »Verlangt das Unmögliche« aus dem Pariser Mai von 1968 (der einem Roten Daniel schon damals zu weit ging) bereits der Vergangenheit an. Doch die Erinnerung daran, dass das Unmögliche einst auf der Agenda gestanden hatte, war noch nicht gänzlich verblasst. Laut Robert Garnett (in: »Punk Rock? So What?«, 1999) war es dieses Moment, dass die »Politik« des Punk erst ermöglicht habe.

Reid jedenfalls druckte die ersten PR-Materialien der Sex Pistols in einer Druckerei der Labour Party, die da noch nicht Tony Blatchers New Labour war, und stritt sich mit McLaren über die »politischen« Aspekte der Sex Pistols, »die letzterer als eine Art umgekrempelter Bay City Rollers-Boy Band haben wollte, die genutzt werden konnte, um das zu verkaufen, was er verkaufen wollte, Sex.« (Garnett)
Reid hingegen ging es um einen »shit-stirring anti-style«. Brachen die Sex Pistols radikal mit der Popkultur, so schuf Reid mehr als nur das visuelle Äquivalent dazu. Sound und Visuelles mussten zusammenkommen, um die nachhaltig wirkende Störung der Popkultur einzuleiten.

Reids Cut & Paste-Verfahren, mit dem er Plattencover, Plakate und Flyer der Sex Pistols gestaltete war, wie Reid sagt, wenn auch nicht direkt, so aber doch beeinflusst von DADA, John Heartfield, George Grosz, Raoul Hausmann »und vor allem von Richard Hamiltons Collage ›Just What Is it...‹.« Die Cut & Paste-Typographie ist Markenzeichen aller Sex Pistols-Cover, nicht nur das der Single »God Save the Queen«, wofür Reid jede Menge Entwürfe vorgelegt hatte. Konnte die Plattenfirma die Sicherheitsnadel durch Elisabeths Lippe gerade noch durchgehen lassen, so lehnte sie einen Entwurf ab, der die Queen mit Hakenkreuzen in den Augen zeigte. Mit Hakenkreuzen verzierte Reid viele der von ihm verhassten Symbole, ob den Albert Tower oder den Plattenlabelchef von Virgin, mit einer Vehemenz, mit der die Pistols gegen das »fascist regime« ansangen. Reids Cover für die Platte »NEVEFR MIND THE BOLLOCKS«, bei dem er auf ein Foto der Band verzichtete und das er in rot-gelb drucken ließ, wurde zwar bei Erscheinen der LP vom popkulturellen Mainstream als »Schund« kritisiert, von der Zeitschrift »Rolling Stone« aber zum zweitbesten LP-Cover nach »Sgt. Pepper« gekürt.

Situationistische Einflüsse zeigen sich bei den Plattenhüllen für die Single »Pretty Vacant« sowie der Scheibe »Holidays in the Sun«. Hatte die Punkcombo Chelsea mit ihrer Protestsingle ein »Right to Work« gefordert, so insistierten die Pistols auf dem Recht, nicht zu arbeiten, und darauf, alles zu ignorieren, was mit den Werten der Arbeitswelt einhergeht (womit sie Gysi & Co. noch heute weit voraus sind): »We’re pretty vacant / Pretty vacant / And we don’t care.« Zeigt die Vorderseite des Covers das zersplitterte Glas eines Bilderrahmens, so sind auf der Rückseite zwei Touristenbusse zu sehen, die nach NOWHERE , nach Nirgendwo also, und nach BOREDOM, in die Langeweile, fahren. Auf der Rückseite der Scheibe findet sich eine Coverversion des Stooges-Songs »No Fun«, der derart rekontextualisiert erst seine Wirkung entfalten konnte.


Bild: www.mital-u.ch

Für das Cover der Scheibe »Holidays in the Sun« schob Reid den glücklichen, aus der Werbung geklauten Cartoon-Touristen Sprechblasen unter, wie sie einst die Situationisten aus Detektivcomics der 1940er Jahre entlehnt hatten. Der Songtext von »Holidays« führt jedoch nach Deutschland, wenn Lyden singt: »I don’t want a holiday in the sun/I wanna go to the new Belsen.« In dem Film »The Great Rock’n Roll Swindle« singen die Pistols vor einer Kulisse brasilianischer Strände gar: »Belsen was a gas.« Belsen spitze? Shit-stirring. Der Vorwurf, die Pistols seien Faschos, blieb da nicht aus.

Neben Punk-Agitprop aus Reids Pistols-Zeit werden in Berlin auch Werke zu sehen sein, die den Künstler, der an die Erde als lebenden Organismus glaubt, eher als »Schamanarchisten« zeigen, darauf verweisen, dass Reid von der Tradition seiner Familie, die sich im Druidenorden engagierte, nicht unbeeinflusst blieb: »Ich habe es immer für nötig gehalten, dass neben den politischen Veränderungen auch eine spirituelle Veränderung nötig ist.« Gaia save Jamie Reid!

»A Cheap Holiday in Other People’s Misery« von Jamie Reid. The Aquarium, Falckensteinstrasse 35, Berlin-Kreuzberg, 5.April bis 2.Mai 2006. Do-So 12-20 Uhr sowie nach Vereinbarung . Eröffnung: 5. April 2006, 19 Uhr

natter | 05.04.06 23:52 | Permalink