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Die Krise der Kritik oder wie wir für die Links-Liberalen die Kastanien aus dem Feuer holen sollen

Es gibt Tage da hat Man/Frau keine Lust aufzustehen und auch sonst Null Bock. Der alltägliche Rassismus, die steigende Islamophobie, eine Pseudo-Linke die zur Selbstständigkeit nicht in der Lage ist. Die soziale und kulturelle Ausgrenzung dieser Gesellschaft bringen nur Übelkeit. Sie stellen die kaltschnäuzige desillusionierte Linke vor die Wahl: lasse ich es mir heute am Arsch vorbeigehen oder wehre ich mich. Hat Kritik heute überhaupt noch einen Sinn? Was ist mit der fortwährenden Integration des linken Protestes und deren Beteiligung an der Systemstabilisierung?

Zu kurz geratene Kapitalismus-Kritik
Im Französischkurs am Institute versucht man mich davon zu überzeugen, dass die USA böse sind. Mündlicher Teil: zum Warmwerden bekommen wir eine Karikatur: Uncle Sam frisst einen Jungen in Baskenmütze, der vor dem Fernseher einen Hamburger ist, und danach fragt was eigentlich die Konsumgesellschaft ist („Tais-toi et mange!" – Halts Maul und friss!). Nach der Pause das Leseverstehen: „Der deutsche Manager Peter Müller trifft sich in Paris mit französischen Partnern. Eine Fallstudie“ lautet die als „leicht“ eingestufte Überschrift der Übung. Fazit dieses interkulturellen Beitrages: der pünktliche Deutsche hetzt in einem 3-Sterne-Restaurant die französischen Kollegen bei einem Arbeitsessen. Unter dem Text, jeweils die Erläuterung der kulturellen Perspektive. Der Deutsche ist danach ergebnisorientiert und bestellt autoritär für alle das Tagesgericht. Für die Franzosen eine Unverschämtheit: „Warum lädt er uns in ein 3-Sterne-Resto ein? Soll er doch gleich zu McDonalds gehen! (Autant aller chez McDonalds!)“. Schlechter Geschmack und Eile gelten hier als fremder US-Import. Dieser sei verantwortlich für die Zersetzung der europäischen Haute Couture und des savoire vivre. Warum aber gilt dies nicht für den französische Fast-Food-Pendant "Quick", den ewig Markt-Zweiten wie Burger King?

Hörverständnis: wir bekommen eine TV5-Reportage über genmanipulierte Organismen mit dem vielsagenden Titel „La planèt OGM“. Aus dem Beitrag geht hervor, dass die USA nicht nur der größte Produzent von GEN-Mais sind, sondern dahinter die Inkarnation des Bösen steckt: George Bush persönlich. Den Beitrag versüßen Einstellungen einer militanten Aktion des Aktivisten José Bové gegen ein Landwirtschftsbetrieb der GEN-Pflanzen anbaut. In diesem Kontext erscheint Bové fast als Emissär der Europäischen Union die uns vor den habgierigen USA verteidigt. Warum sitzt er dann regelmäßig im Knast und warum macht die EU bei der GEN-Produktion mit? Zum Abschluss wieder Leseverstehen: ein Artikel aus der Le Monde: „Palais communiste ou château impérial“ (Kommunistischer Palast oder Imperiales Schloss). In dem Moment wird der versteckte Sinn klar: man versucht uns anständige und aufgeklärte Bürger Europas zu manipulieren. Ökonomisch und kulturell stecken dahinter die Amerikaner. Wir haben nur die Wahl zwischen kommunistischem Totalitarismus oder monarchistischem Feudalismus. Da kommt der Bourgeois à la 1789 als Retter in der Not: die bürgerliche Demokratie erlöst uns so von allem übel. Nicht der Kapitalismus ist das Problem, sondern die amerikanische, sprich schmutzige Version des Kapitalismus und seine Auswüchse.

Die Systemstabilisierende Linke Kritik
Im Brecht-Haus um 20:00 Uhr dann ein Hoffnungsschimmer (wenigstens im Titel): „Angewandte Kritik. Krise und Kritik in der Generationenfolge – Vortrag und Gespräch“ mit Hugo Velarde, Kathrin Tiedemann, Andreas Fanizadeh und Katja Kipping. Velarde, Philosoph und Redakteur der Zeitschrift „Gegner“ erzählt über den Generationswechsel im Kontext linker Kritik. Leider kann im Publikum kaum jemand die vielen zitierten Namen einordnen. Wozu muss man sich auch auf philosophische Anthropologie berufen, wenn man von linker Kritik spricht? Als Helmuth Plessner, Carl Schmitt und Ontologie in einem Atemzug ohne ein Wort der Distanzierung genannt werden, wächst mein Misstrauen. Der Leiter des ID-Verlages Andreas Fanizadeh bringt dann die heutige Krise der Kritik auf den Punkt: die Moslems haben keine Ahnung von Religionskritik und tragen die Schuld an der Eskalation, um die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten". Das erinnert an die bekannte Folie: die Juden seien selbst Schuld am gegen sie gerichteten Antisemitismus. Das Thema behandelten wir übrigens auch im Französischunterricht, der Kursleiter machte eine islamistische Verschwörung aus: „Wie kann es sein, dass so viele Leute im Nahen Osten so schnell von den Karikaturen erfahren haben, wenn es doch dort keine freie Presse gibt?“

Ein anderes Problem ist laut Fanizadeh, dass die taz nur 60.000 AbonnementInnen hat. Ja, was wäre linke Kritik ohne die tolle taz? Außerdem – so Fanizadeh weiter - war ja nicht alles schlecht unter Rot-Grün. Klar! Die Errungenschaften der 68-Joschkas - die so konsequent kaum mit der CDU/CSU durchzusetzen wären - sind beispielhaft für linke Emanzipation und … die rassistische Festung Europa, den Abhörstaat, präemitve Kriege und die Befreiung von Auschwitz mit deutschen Tornados. Die so verstandene linke Revolution verläuft hier nach dem Muster: gut ist was sich kommerzialisieren lässt, so ist aus der sexuellen Befreiung nur der Sex-Shop und die Pornographie geblieben; aus der Ökobewegung nur die wohlstandschauvinistischen Bioläden (wer keine Kohle hat um dort einzukaufen ist ein Drecksack, mit etwas Rudi Steiner und Anthroposophie vielleicht sogar ein Untermensch) und schlussendlich auch der "ökologische Befreiungsschlag" gegen „Schurkenstaaten“ wie den Iran, der nicht wie Joschka und Konsorten den Atomausstieg praktizieren will.

Manche in der linken Szene verstehen sich bewusst als Teil des Kapitalismus, schloss dann Fanizadeh ab, dies soll aber nicht heißen er sei ein Negrianer. Damit wurde der Abgrenzung zu Antonio Negri auch genüge getan. Die Kernaussage Negris zur Selbstverortung des Menschen entspricht dem systemtheoretischen Ansatz von Niklas Luhmann. In einer funktional differenzierten Gesellschaft gibt es kein Außen, auch keine Subjekte sondern nur die jeweiligen Systeme (politische. rechtliche etc.).

Aber Klaro! Dies erklärt auch die zunächst als Widerspruch erscheinende Tatsache, dass alle bisherigen Protestbewegungen, ob es nun die italienische PCI, die Gruppe 47, oder die 68er Bewegung sich bequem ins System integriert haben und ihre systemstabilisierende Wirkung entfalten konnten.

Systemtheoretisch konnten die StudentInnenProteste nur den anachronistischen Studienbetrieb Ende der 60er Jahre an die Entwicklung der modernen kapitalistischen Gesellschaft anpassen. Damit war ihre linke Revolution auch zu Ende und "Nike" kann weiter seine Turnschuhe mit Che-Guevara-Logo verkaufen oder Materialien zur Geschichte der RAF (...ich muss hier gähnen).

Orientierung an diskursiven Vorgaben der Neoliberalen
Hugo Velarde reihte den Widerstand in religiös geprägten Gesellschaften, in den Kontext postmoderner Diskussionen ein - in denen alle Gewissheiten ein Ende erfahren. Die Islamisten im Nahen Osten kämpfen, so lediglich um die Konservierung ihrer theologischen Grundinhalte. Fanizadeh sah darin auch die entscheidende Differenz zu westlichen (guten) Widerstandsbewegungen und Befreiungsbewegungen der sog. Dritten Welt in Zeiten des Kalten Krieges (diese waren ebenfalls gut/links).

Vergessen haben beide, dass in der postmodernen Gesellschaft ebenfalls eine Gewissheit verordnet wird, dass es angeblich kein Außen und keine Alternative zum Bestehenden gibt. Der Neoliberalismus erfüllt hier dieselbe Funktion einer nichthinterfragbaren Theologie. Ein Horizont der ebenfalls um „Gottes Willen“ wegen der Achtung vor der bürgerlichen Demokratie und ihrer „Bürgerrechte“ nicht überschritten werden darf.

Es überrascht dann weiter nicht mehr, dass Fanizadeh sich brüskiert zeigte, als bei einer Veranstaltung zur Rolle der deutschen Geheimdienste im Irak ein Mitglied des RAV es wagte auszusprechen, dass er gänzlich für die Abschaffung der Geheimdienste sei. O-Ton: „Wie kann das jemand ernsthaft fordern?“. Die wenigen Ost-Oppositionellen, die sich nach 1989 nicht durch westliche Streicheleinheiten kastriert haben lassen, werden sich erinnern, dass die Stasi-Zentrale zwei Mal besetzt wurde. Einmal gegen die Invigilation durch die Stasi (15.01.1990) und dann nach kurz vor dem Anschluss an die BRD (September 1990) als Kohl schon Speichel verlor um die Akten nahtlos in Wiesbaden weiterzuführen . Nur durch diese beiden Aktionen wurde die Gauck-Behörde geschaffen. Das uns heute verkauft wird Helmut habe die Demokratie und die Achtung der Bürgerrechte gebracht und uns vom diktatorischen Joch befreit hat, kann doch ernsthaft nur jemand abkaufen, der 1989 tatsächlich nichts anderes wollte als die Einführung der D-Mark. Menschen die weder der DDR nachtrauern noch den Kapitalismus und Faschismus vermissen sind für diese „demokratische Komödie“ nicht empfänglich.

Die Diskussion entgleiste dann völlig, als auch der sofortige Abzug der Okkupationstruppen aus dem Afghanistan und dem Irak als verantwortungslos gebrandmarkt wurde. Auweia! Abzug wäre ja echt krass schlimm, dann wäre die dort installierte Warlords-Demokratie, der ökonomische Aufbau durch Halliburton und die Achtung der Menschrechte in Abu Ghraib und Guantánamo ernsthaft bedroht. Das müssen wir Demokraten ja ernsthaft verhindern! Insbesondere hier vor der Haustür: beschützen „wir“ uns vor den bösen Moslems die unsere Archipel-Folter-Gerechtigkeit wegnehmen wollen und die taz als letzte Bastion der Meinungsfreiheit.

Die Neoliberalen machen ihre Konflikte und wir sollen dann für sie die Kastanien aus dem Feuer des Kulturkampfes und der globalisierten Ausbeutung herausholen. Sollen sie es doch selber tun ! Uns sollte weder deren sogenannte Demokratie noch irgendwelche Zwillingstürme interessieren. Das sind nicht unsere Konflikte, sondern eine Nebelbombe die den wahren Frontlinienverlauf des Kapitalismus zwischen oben und unten verschleiern soll. Natürlich sind wir von diesen Konflikten selbst Betroffen als die Hauptleidtragenden, wenn Moslems oder Hartz IV-EmpfängerInnen das Leben in dieser Gesellschaft unmöglich gemacht wird. Nichtsdestotrotz sollten wir die Ursachen nicht mit ihren Folgen und Täter nicht mit ihren Opfern verwechseln.

Zersetzung des Widerstandes
Die Enttäuschung über die Unfähigkeit der pseudo-linken, die nicht daran denken sich von den diskursiven Vorgaben linksliberaler Diskussionen zu emanzipieren fördert nur die Lähmung linker Kritik und liefert genügend Gründe für Misstrauen. Ein junger Mann aus dem Publikum meinte wohl auch deswegen, dass er sich zwar als Linker versteht, jedoch mit den offiziellen Organisationen innerhalb der Antiglobalisierungsbewegung nichts anzufangen weiß. Er orientiert sich auch mehr an den Inhalten im Internet. Eine junge Frau meldete sich zu Wort, und meinte darauf, dass auch sie sehr wohl politisch interessiert ist. Angesichts der Qualität gegenwärtiger linker Diskussionen kann sie sich durch offizielle Medien nicht mehr informieren, weil auch rechte Medien ihre Meinung plausibel darzulegen verstehen. Durch die Verwirrung infolge pseudolinker Scheindebatten kann man nicht mehr wahr und falsch unterscheiden. Dies wäre ein guter Anknüpfungspunkt um dem Titelthema der Veranstaltung gerecht zu werden. Der hier geäußerte Generationskonflikt und die evtl. Rolle des Internets für linken Wiederstand wurde aber vom Podium nicht aufgegriffen.

Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende der Linkspartei versuchte dann den Abend zu retten und zitierte Walter Benjamins Aufsatz über die Revolution in Russland 1917. Danach hat Gesellschaftskritik heute ihren Sinn nicht verloren. Kipping sah im wirtschaftlichen Fortschritt auch die Möglichkeit für einen Zuwachs an Wohlstand. Außerdem verändere sich die Gesellschaft und es gibt auch erste positive Ergebnisse: Sabine Christiansen greife die soziale Problematik auf …was vor einigen Jahren nicht denkbar gewesen wäre.

Darin liegt wohl auch das ganze Missverständnis. Die linken Eliten diskutieren in einem realitätsfremden Raum und orientieren sich dabei an der Berliner Politik oder Talk Shows anstatt diesen eine eigene Sprache und Programm entgegenzusetzen. Den Hartz IV-EmpfängerInnen hilft es wenig, dass Sie als Affen bei Christiansen vorgeführt werden. Dies diene ohnehin nur der weiteren Nationalisierung des Diskurses. Dadurch kann das Grundsätzliche Problem – der Kapitalismus verschleiert werden. Die Hartz IV-Problematik wird so aus dem globalisierten Gesamtkontext herausisoliert und als Sonderproblem einer einschränkbaren sozialen Gruppe behandelt. Die Kollateralschäden des Fortschritt eben.

Die Aussage, dass es keine Außenperspektive gibt und wir uns mit dem bürgerlichen nichthinterfragbaren Horizont abfinden müssen, stellt in Wirklichkeit lediglich eine Herrschaftsideologie der Neoliberalen dar. Egal, ob dies systemtheoretisch anschlussfähig ist oder nicht kann echte linke Kritik, wenn sie sich nicht an den fingierten Scheindiskussionen des Neoliberalismus orientiert diese Herrschaft hinwegfegen. Dafür muss sie aus dem postmodernen Dornröschenschlaf erwachen und eine linke Kritik von links-liberaler unterscheiden lernen. Die verbliebene intellektuelle Elite wird damit auch Arbeitslos … was sie kaum wollen wird. Deshalb versucht sie uns platte nationalistisch angereicherte Kapitalismuskritik zu verschreiben. Die Islamophobie spielt dabei auch eine immer wichtigere Rolle, denn ihr kommt die Funktion zu, die wirklichen Akteure und Prozesse zu vernebeln, in demselben Maße wie dem „aufgeklärten“ Antisemitismus den einst Max Horkheimer für die bürgerliche Gesellschaft untersucht hatte. Bislang schafft es diese Art von links-liberaler Kritik mit ihrer Brain-Wash-Strategie für Ruhe zu sorgen.

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Michal Stachura | 11.02.06 10:44 | Permalink