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Call for Papers

Zwischen Scheitern und Avantgarde
Eigensinn ostdeutscher Akteure im Umbruch
Workshop des Netzwerks Ostdeutschlandforschung
am 19. Mai 2006 in Berlin

Das Resümee der beiden Workshops, die das Netzwerk Ostdeutschland bisher veranstaltet hat, lautete: „Ein Paradigmenwechsel in der sozialwissenschaftlichen Forschung über Ostdeutschland ist fällig. Die Entwicklung in
Ostdeutschland muß als offener und innovativer Prozeß gesellschaftlicher Entwicklung verstanden und erforscht werden.“ (Rainer Land: Workshop Ostdeutschlandforschung, in: Berliner Debatte Initial, Heft 2/2005, S. 67)
Die bisherige Diskussion widmete sich vor allem sozio-ökonomischen Fragen. In einem dritten Workshop wollen wir die Fragerichtung verändern und mit der Frage nach den Akteuren in Ostdeutschland einen anderen Impuls in die
Debatte bringen.

Denn: Nimmt man die demographischen Analysen ernst, gibt es in Ostdeutschland eigentlich keine Akteure mehr, die eine aktive Veränderung der Lage in Ostdeutschland leisten können. Alle, die irgend können, wandern aus
ländlichen Regionen in Städte oder (aus dem Osten insgesamt) in »den Westen« ab, darunter das größte intellektuelle Potential, weil Ostdeutschland keine Perspektiven zu bieten hat. Von welchen Akteuren also sprechen wir, wenn wir einen von Ostdeutschen, mit Ostdeutschen und für Ostdeutsche gemachten Wandel
erstreben? Wer kann Träger des geforderten, innovativ gestalteten Umbruchs sein?
Das damit verbundene Erkenntnisinteresse liegt auf der Hand – weil das Netzwerk Ostdeutschland nicht nur top down, sondern auch bottum up Strategien für den Osten entwickeln will, stellen wir nun die Komplementärfragen
zum bisherigen Geschehen:
– Wer kann auf welche Weise die Chancen der Krise nutzen und den gesellschaftlichen Wandel in offene Zukünfte gestalten?
– Worin bestehen die Auswirkungen all der Ge- und mißglückten Versuche, „den Osten aufzubauen“, auf das Zusammenleben der Menschen, ihre Bindungen, Werte, Gewohnheiten, auf die Mechanismen des Zusammenlebens? Es geht nicht darum zu fragen, wer bzw. was die Ostdeutschen aus ihrer DDR-Sozialisation heraus sind, sondern was die gesellschaftlichen Verhältnisse in den letzten fünfzehn Jahren aus ihnen
gemacht haben, was die Ostdeutschen aus sich und den Verhältnissen gemacht haben und wie sie diese zukünftig gestalten möchten.
– Was wissen wir über den Umgang der Ostdeutschen mit der prekären sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Situation?
Wer sind die, die gesellschaftlichen Wandel gestalten und nicht nur von ihm
getrieben werden?
Wenn wir davon ausgehen, daß die ostdeutschen Selbstorganisationskräfte – ihr Fehlen wird allerorten bemängelt – nicht nicht vorhanden, sondern vor allem durch den spezifischen, auf Angleichung statt auf Differenzierung ausgelegten Vereinigungskurs lahmgelegt worden sind, dann ist es an der Zeit zu fragen, ob davon
noch etwas übrig ist nach fünfzehn Jahren gemeinsamer deutscher Geschichte, oder ob und wie sie sich neu konstituiert haben oder in neuen Generationen wiederkehren. Offen ist auch, in welchem Maße die
Vielzahl von Projekten und Trägern, die mit EU-Förderung, Arbeitsmarktpolitik, integrierter Regionalentwicklung und ähnlichen Programmen entstanden sind, zukunftsfähige Ansätze für „neues Sozialkapital“ geschaffen haben. Könnte hier die spezielle Variante einer „verkehrten“ und noch fragmentierten ostdeutschen Zivilgesellschaft entstanden sein?
Denn die Akteure geförderter Projekte müssen zwar von externen Vorgaben und Förderzielen aus operieren, aber sie nutzen diese durchaus eigensinnig. In welchem Maße handelt es sich um „Selbstorganisation der Bürger“, was
bleibt davon, was könnte daraus in Zukunft noch werden? Welche Forschungsansätze für „Sozialkapital in Umbruchskonstellationen“ müssen entwickelt werden, welche Vergleiche mit anderen europäischen Gesellschaften
wären nützlich?
Wie wirkt sich der Diskurs über Ost- und Westdeutsche auf Eigen- und Fremdbilder aus; vor allem: Was bedeuten sie in Bezug auf Exklusion aus den laufenden Prozessen oder Inklusion in diese?
Mit welchen sozialen Strategien reagieren Ostdeutsche auf Unsicherheit, Wertverlust, Instabilität? Wie auf deren Gegenteil?
Welche Rolle spielen dabei Familienstrukturen, und wie haben sich diese verändert? Welche Beziehungen
und Differenzen bestehen zwischen den Generationen?
Was ist an die Stelle der bisher weitgehend über Erwerbsarbeit hergestellten individuellen Einbindung in die Gesellschaft bzw. ihr Wertesystem getreten? Wie funktioniert die Kommunikation zwischen denen, die Erwerbsarbeit haben, und jenen, die von ihr ausgeschlossen sind–individuell und im gruppendynamischen Sinn? Gibt bzw. braucht es hier Vermittlung?
Wie entwickeln sich für Einzelne oder Gruppen oder gar Regionen doch Perspektiven?
Wer gibt Impulse für Entwicklung? Welche Erfahrungen gibt es mit der „Reaktivierung“ von „Überflüssigen“? Wer ist in der Lage, Perspektiven zu entwickeln? Wie werden sie mehrheitsfähig?
Welchen Einfluß haben geschlechtsspezifische Ausprägungen auf die Situation in Ostdeutschland?
Ergeben sich aus Sicht der Gender Studies besondere Herausforderungen für den
Umgang mit den ostdeutschen Akteuren?

Call for Papers
Der Workshop
Der Workshop des Netzwerks Ostdeutschlandforschung findet am 19. Mai 2006 in Berlin statt(laufend aktualisierte Informationen unter www.ostdeutschlandforschung.de) und soll zwei Funktionen erfüllen: Erstens soll er vorhandene Erkenntnisse vorstellen und bündeln; zweitens soll er Akteure aus Theorie und Praxis
zusammenführen und in ihren Fragestellungen vernetzen. Thematische Schwerpunkte und Formate des Workshops werden nach Eingang der Skizzen festgelegt.

Der Call
Dieser Call richtet sich an Kultur- und Sozialwissenschaftler, an Stadt-und Regionalplaner, Kulturgeographen, Politologen und verwandte Disziplinen. Explizit fordern wir zudem Künstler, Kultur- und Sozialarbeiter sowie andere
haupt- und ehrenamtliche Akteure dazu auf, ihre Erfahrungen für den wissenschaftlichen und politischen Diskurs sichtbar zu machen.
Kristina Volke, Babette Scurrell

Bitte senden Sie uns eine Skizze Ihrer Überlegungen (max. 2 Seiten) bis zum 28. Februar 2006.
Konzeptionell verantwortlich:
Kristina B. Volke
(kristina.bvolke@berlin.de)
Dr. Babette Scurrell
(scurrell@ztg.tu-berlin.de)
Ostdeutschlandforschung, ZTG
Technische Universität Berlin
Hardenbergstr. 36A P 2-2
10623 Berlin

natter | 02.02.06 18:34 | Permalink