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Brasilianischer Massakeroberst aus Lulas Koalitionspartei weiter straffrei

Prozeß um Blutbad von 1992 neu aufgerollt

--von Klaus Hart, Sao Paulo--

Der österreichische Priester und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic rennt im Oktober 1992 in die Haftanstalt Carandiru von Sao Paulo und sieht Unbeschreibliches: Kurz zuvor hatte eine Polizei-Sondereinheit aus Maschinenpistolen über fünftausend Schuß auf rebellierende Gefangene abgefeuert, diese regelrecht zersiebt, bis sämtliche Munition aufgebraucht war. Viele Häftlinge wurden dann durch Polizeihunde zerrissen. In Zellen und Korridoren steht das Blut knöchelhoch. Priester Zgubic zählt über 160 Tote, doch laut amtlichen Angaben sind es "nur" 111. Er hatte sie alle betreut. Vierzehn Jahre später steht Zgubic jetzt im Gerichtssaal von Sao Paulo jenem Polizeioberst und Politiker Ubiratan Guimaraes direkt gegenüber, der das größte Häftlingsmassaker in der Geschichte des Tropenlandes befohlen und persönlich geleitet hatte. Weder der politisch verantwortliche Gouverneur noch die Todesschützen wurden belangt - und auch Oberst Guimaraes ist weiter auf freiem Fuß.

Erst neun Jahre nach dem Blutbad war er zwar zu 632 Jahren Gefängnis verurteilt worden, genießt indessen als Abgeordneter Immunität. Jetzt will Guimaraes erreichen, daß das Urteil annulliert wird.
--Straffreiheit für „Schwerstverbrecher aus der Politik“—
Für Zgubic, der heute die gesamte Gefangenenseelsorge des Riesenlandes leitet und bereits mehrere internationale Menschenrechtspreise erhielt, weist der Fall auf den Zustand des brasilianischen Rechtsstaats. „Es ist ein zynischer Witz, eine schwere Beleidigung für alle Bürgerrechtler der Erde – hier zeigt sich, wie tief Brasilien immer noch in Strukturen der Militärdiktatur verwurzelt ist. Vieles wird noch unter den Teppich gekehrt.“
Für „Schwerstverbrecher in der Politik“ gelte nach wie vor Straffreiheit. Der Polizeioberst habe auch weiterhin nichts zu befürchten und könne zudem immer wieder in Berufung gehen, falls er jetzt vor Gericht nicht durchkomme. „Das ist das alte Trauerspiel in den lateinamerikanischen Demokratien.“ Damit das Blutbad nicht straffrei bleibt, hatte die Gefangenenseelsorge auf internationalen Druck gehofft, die Weltöffentlichkeit informiert. Leider erfolglos, Brasilien ist schließlich nicht Kuba. Brasilien ist Lateinamerikas größte Demokratie, zu der auch Deutschland laut Auswärtigem Amt „ausgezeichnete Beziehungen“ auf allen Gebieten unterhält.
Wenn Oberst Guimaraes in den Wahlkampf zieht, stellt er seine Kandidatennummer 111 stets groß heraus – 111 – die amtliche Zahl der getöteten Häftlinge. Auch Brasiliens Gefangenenseelsorge hat dies als Verhöhnung der Opfer, als beispiellosen Zynismus verurteilt, der von den Autoritäten auch noch hingenommen werde.
--Lula und die Rechtspartei des Massakerobersten—
Doch Oberst Guimaraes versteht sich gut mit den Eliten, ist auch Sicherheitsberater für die Upperclass. “Der Mann nimmt sogar an großen Militärparaden teil, wird dort von allen Obrigkeiten, seinen Freunden begrüßt“, sagt Zgubic. Guimaraes gehört derzeit zur Rechtspartei PTB - Staatschef Luis Inacio Lula machte sie nach seinem Amtsantritt zum politischen Bündnispartner, vergab an PTB-Politiker viele hohe Posten. Zur PTB gehört auch der Kongreßabgeordnete und Ex-Offizier Jair Bolsonaro, der öffentlich regelmäßig die Anwendung der Folter befürwortet. Mehrfach betonte Bolsonaro laut brasilianischen Presseberichten, daß man in Carandiru noch viel mehr Häftlinge hätte töten müssen. „Ich bin weiterhin der Meinung, daß man die Möglichkeit ungenutzt ließ, dort drinnen tausend zu töten“, wird Bolsonaro zitiert. Unter Lula ist Bolsonaro Mitglied des Außenpolitischen Ausschusses sowie des Ausschusses für Nationale Verteidigung. All dies spricht Bände.
Priester Zgubic kritisiert Lula und dessen Regierung, weist auch auf das Fortbestehen der Folter:“Wir sind bei einer Remilitarisierung Brasiliens und stehen vor einem inneren Bürgerkrieg, solange die sozialen Fragen nicht gelöst werden. Mehr als die Hälfte der Brasilianer hat keine rechtlich abgesicherte Arbeit. Die Erwerbslosigkeit ist unglaublich hoch – die offiziellen Zahlen von acht bis zehn Prozent sind gefälscht.“
--„Die internationalen Medien sind total manipuliert“—
Wie erklärt sich jemand wie der unter Lebensgefahr wirkende Menschenrechtsaktivist Zgubic, daß es um Mißhandlungen in irakischen Gefängnissen auch in den europäischen Medien viel Aufsehen gab, über weit gravierendere Fälle in Brasilien, und auch über die Massaker indessen im Vergleich so gut wie nicht berichtet wird? „Die internationalen Medien sind total manipuliert – wenn eine Oberschicht einfach nicht will, daß international hinterfragt wird, dann wird darüber eben nicht berichtet. Wir brauchten den Druck von Europa auf jeden Fall. Allein in Sao Paulo kommen mehr Menschen um als in den Konflikten zwischen Israel und Palästina.“
Im Gerichtssaal von Sao Paulo sitzt Zgubic neben seinem Mitstreiter Padre Julio Lancelotti, einem der angesehensten brasilianischen Menschenrechtsaktivisten.
-----„Mehrheit des Volkes für das Massaker“—
Für Lancelotti ist keineswegs überraschend, daß jemand wie Massakeroberst Guimaraes immer wieder ganz demokratisch zum Abgeordneten gewählt wird.
“Die Mehrheit des brasilianischen Volkes ist für das Massaker, wäre bei einer Befragung auch für die Todesstrafe, für die Exekution von Häftlingen.“ Denn die meisten glaubten nicht an Resozialisierung. „Und die Massaker dauern ja an - die Zahl der Opfer von 1992 wurde bei den nachfolgenden Blutbädern weit übertroffen. Gerechtfertigt wird die Gewalt gegen Häftlinge – das ist Reflex einer Kultur der Gewalt, der Banalisierung des Lebens in Brasilien. Das alles zeigt, wie es heute zugeht. Man hat nicht eine Vision der Gerechtigkeit, sondern der Rache. Es geht nicht darum, für Gerechtigkeit zu sorgen, einen Rechtsstaat zu haben – sondern einen Staat der Unterdrückung, der Gewalt. Man verteidigt vor dem Volke, daß die hohe Gewaltrate in Brasilien nur verringert werden könne, wenn man die sogenannten Gewalttätigen töte.“ Wie steht die Lula-Regierung zu dem Blutbad? „Offiziell ist sie gegen das Massaker – aber diese Position ist nur für den internationalen Verbrauch gedacht, für NGOs, Institutionen. Denn die Massaker gehen ja weiter.“ Lancelotti, der in Sao Paulo zugleich das weltweit einzige bischöfliche Vikariat für das Heer der Obdachlosen leitet, hält sein Engagement für die Menschenrechte trotz der Rückschläge und Niederlagen nicht für vergebens:“Es ist ein Akt des Widerstands und der Hoffnung, daß die Gerechtigkeit eines Tages siegen wird. Ich glaube, es ist uns gelungen, wenigstens einigen Menschen unsere Position zu verdeutlichen. Wir wissen, daß unsere Arbeit weiterhin sehr schwierig und aufreibend sein wird. “ Auch Dissident Lancelotti wirkt unter Lebensgefahr, erhält Morddrohungen, war bereits Ziel von Anschlägen. Unter der Lula-Regierung wurden zahlreiche Dissidenten, darunter aus der Landlosen-und Indianerbewegung, aus politischen Motiven ermordet. Mit wirksamer Solidarität aus Europa, gar Deutschland, können Brasiliens Menschenrechtsaktivisten nicht rechnen. Jeder weiß warum.

Klaus | 14.02.06 15:30 | Permalink