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Polnische ArbeitnehmerInnen als Peitsche gegen deutsche KollegInnen?

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Proteste bei AEG in Nürnberg, Quelle: br-online.de

Es ist erst wenige Wochen her, dass der neue Markenvorstand von Volkswagen, Wolfgang Bernhard, dem Betriebsrat in Wolfsburg damit drohte den Bau eines neuen Geländewagens nach Portugal zu verlagern, wenn die Produktionskosten nicht gesenkt werden. Die neue Qualität lag dabei nicht nur darin, das die Drohung durch eine Presseerklärung bekannt gemacht wurde, sondern dass zum ersten Mal direkt ernst gemacht wurde mit der Erpressung niedrigerer Lohnkosten mit einem eventuellen Arbeitsverlust. Die ArbeitnehmerInnen in Wolfsburg gingen auf den Deal ein und setzten so falsche Signale. Das diese Methode im Arbeitskampf Schule macht, zeigt die heute bekannt gegebene Schliessung des traditionsreichen AEG-Werkes in Nürnberg.

Der schwedische Mutterkonzern Electrolux verkündete nach monatelangen Verhandlunegn, dass die Schließung bis Ende 2007 vollzogen wird. Zur Begründung wurden der rasante Preisverfall bei Hausgeräten und die hohen Produktionskosten in Nürnberg genannt. 1.750 Arbeitsplätze sind von der Standortschliessung betroffen.

Diese kapitalistische Methode der Lohnkostensenkung hat eine nationalistische Komponete, bedient sie doch bestehende Vorurteile gegenüber WandermigrantInnen, die angeblich den Autochtonen die Arbeitsplätze wegnehmen. Diesmal kommen jedoch nicht die Polen, sondern die Deutschen (bzw. Schweden) gehen weg und zeigen was für sie Globalisierung wirklich bedeutet. Nationalistische Vorurteile kommen dabei - ähnlich wie die Erfindung des Antisemitismus - der bürgerlichen Gesellschaft entgegegen. Durch latente Ausländerfeindichkeit kann doch die wahre Ursache der Ausbeutung und Alienation der ArbeitnehmerInnen verschleiert werden und die letzte Waffe gegen das Kapital: die Solidarität untergraben werden.

Hoffnung bringt deshalb die Nachricht, dass die IG-Metall sich am Mittwoch mit ihren polnischen KollegInnen treffen will, um über eine eventuelle Zusammenarbeit zu beraten. Die Solidarität polnischer und deutscher ArbeitnehmerInnen hat ihre Stärke bereits vor einigen Monaten bei der Schliessung des Opel-Werkes in Rüsselsheim gezeigt als die polnischen Opel-ArbeiterInenn in einen solidarischen Proteststreik traten als Sie für die Konzernleitung als Peitsche gegen ihre deutschen Kolleginnen bei der Standortverlagerung missbraucht werden sollten.

Der Osten wird derzeit durch den Aufbau neuer Produktionsstandorte regelrecht überflutet. Die Region um Niederschlesiens Hauptstadt Wroclaw (Breslau) wurde dabei zu einer Art Ruhrgebiet für Elektrogeräte. Nach dem der polnische Herdhersteller Wrozamet (der bereits zu Ostzeiten Teile für Philips produzierte) 1999 durch den spanischen Fagor übernommen wurde, siedelte sich auch der us-amerikanische Whirlpool an. Nun soll auch Samsung und Electrolux aus Deutschalnd folgen. Wieso ist eine Standortverlagerung so atraktiv? Die Region lockt die Investoren mit Einkommenssteuerbefreiung von bis zu 10 Jahren (so in Swidnica). Was oft vergessen wird: Gewerkschaften sind an diesen Standorten nicht zugelassen und die Menschen arbeiten im tariffreien Raum.
Da 59 % der polnischen Bevölkerung unter einem Existenzminimum leben führt die Übermacht der ausländischen Investoren und Unternehmer zu Zuständen aus dem XIX Jh. Bislang wird diese Dynamik von der Politik gedeckt, nur werden die Spätfolgen dieser entsozialisierten Investitionen nicht berücksichtigt. Nach 10 Jahren Steuerfreiheit wird der Standort wieder gewechselt und die polnischen ArbeitnehmerInnen stehen wieder am Anfang.

Hat man am Real-Sozialismus nicht gerade seine unwirtschaftlichkeit kritisiert? Mit diese Art der Globalisieruzng wird die freie Marktwrtschaft und ihre regulierung behauptet. Was ist wenn jedoch plötzlich überall die Sozialstandards abgeschaft bzw. die Lohnkosten soweit gesenkt werden, dass sie sich überall auf der Welt eine Produktion nicht mehr lohnt ?

Bei der Diskussion über Standortverlagerungen wird auch ausgeblendet, dass der Standortaufbau durch ausländische Firmen durchgeführt wird, die existierende polnische Firmen aufkaufen. Deren Sanierung geht mit zahlreichen Entlassungen einher und dem Abbau von arbeitsrechtlicher und sozialer Standards.

Heute dürfen am polnischen Standort von Whirlpool-Bauknecht in Wroclaw zwar polnische Gewerkschaften das Gelände betreten, einen Betriebsrat gibt es aber nicht. Dabei werden auch bei der Bevölkerung falsche Signale gesetzt. Rechnet man die Deklarationen über die Schaffung neuer Arbeitsplätze so kommt man auf eine Zahl von 7000 völlig neuen Arbeistplätzen.

"Uns muss klar sein, dass wir mit Löhnen in Polen, Rumänien oder der Ukraine nicht konkurrieren können. Deshalb brauchen wir intelligente Lösungen für die gesamte Branche", fordert der Betriebsratvorsitzende von Whirlpool-Bauknecht Böffel. Er habe den Eindruck, dass sich diese Einsicht mittlerweile auch bei den Arbeitgebern durchsetze. Innerhalb der IG Metall wird bereits über erste Schritte diskutiert, einen branchenbezogenen deutsch-polnischen Gewerkschaftsdialog zu initiieren, um Unternehmen und Konzerne dazu zu bewegen, sich in beiden Ländern sozial verantwortlich zu verhalten. In Deutschland müsse dazu für den Erhalt von Standorten und möglichst vieler Arbeitsplätze eingetreten werden. Unumkehrbare und unvermeidbare Produktionsverlagerungen sollten ohne die perspektivelose Konsequenz einer Standortschließung mitgestaltet werden. In Polen müsse dafür eingetreten werden, bestehende und entstehende Arbeitsplätze in der Hausgeräteindustrie gewerkschaftlich zu organisieren und tariflich zu regulieren.

...und während in Nürnberg IG-MetallerInenn noch streiken, rekrutiert Electrolux bereits seit Mai 2005 an der Politechnischen Hochschule in Wroclaw Studienabgänger, die nicht zu den 59% der Bevölkerung gehören wollen die unter einem Sozialminimum in Polen leben.


Quelle:

IG-Metall

Electrolux schließt AEG-Werk Nürnberg

Michal Stachura | 12.12.05 17:03 | Permalink

Kommentare

Ich moechte gerne wissen, woher die Statistik kommnt, dass ueber 59% der polnischen Bevoelkerung unter dem Existenzminimum lebt. Schlechte Presse in Duetschland hat Polen seit langem schon, so ein Bloedsinn aber zu veroeffentlichen kann die transnationalen Konflikte nur verschaerfen.

Verfasst von: Magda | 28.03.07 18:11

@Magda

Ja, ja ... manchmal ist es hart der Wahrheit ins Gesicht zu schauen, wenn einem die Verteidigung einer imaginären Fassade der sozialen Marktwirtschaft wichtiger erscheint als die Tatsache, das die Mehrheit der Bevölkerung zu den VerliererInnen des kapitalistsichen Systems gehört.

Es ist schon eine Ironie, dass die Zahlen vom staatlichen Statistikamt stammen und übrigens auch verlinkt wurden.

Nach Angeben des Amtes für Statistik (GUS) leben 59 % der Bevölkerung unter dem sog. Sozialminimum (in Polen sind das ca. 800 PLN = 200 EUR pro Kopf monatlich) und 12 % unter dem Existenzminimum (das sind 371 PLN = ca. 100 EUR).

Quelle: http://www.stat.gov.pl/dane_spol-gosp/warunki_zycia/sytu_gosp_domo/2004/

Träum süss Dornröschen ... durch Augenverschliessen werden allerdings leider weder die sozialen Probleme noch die deutsch-polnischen Beziehungen besser.

Verfasst von: Michal Stachura | 28.03.07 18:51

Um Missverständnisse, die sich in Zusammenhang mit der gravierende Armut in Polen angesammelt haben und das Verschließen der Augen vor den harten Tatsachen der Transformation in Polen, möchte ich hier abschließend einiges noch einmal klarstellen und unterstreichen.

Das soziale Minimum ist ein Index, dass uns Auskunft gibt über die Kosten, die ein Haushalt zur Deckung seines Waren- bzw. Werten-Korbes benötigt. Dabei spricht man/frau beim „Sozialminimum“ von Waren und Werten, denn der Inhalt dieses Warenkorbes ermöglicht nicht nur das physische Überleben (wie beim "Existenzminimum"), sondern auch z.B. die Erziehung der Kinder und die Aufrechterhaltung eines Minimums an sozialen Kontakten.

Das soziale Minimum teilt sich dabei in Polen in zwei Kategorien auf. Zur ersten gehören Ausgaben für die Miete, Lebensmittel, Schuhe, elementare Hygiene u. ä. Zur zweiten die Bildung und Erziehungskosten der Kinder, die Pflege sozialer Kontakte, Teilhabe an der Kultur, Kommunikation u.ä.

In Polen wird das soziale Minimum seit 1981 durch das Institut für Arbeit und Soziales (IPiSS-Instytut Pracy i Spraw Socjalnych http://www.ipiss.com.pl/) jährlich geschätzt. Dieser Index war übrigens auch eines der Postulate der Solidarność-Gewerkschaft während der sog. Danziger Verträge vom August 1981. Und auf eben dieser Grundlage wird es heute durch das Statistikamt Polens jährlich untersucht.

Nach den Angaben des staatlichen Statistikamtes (GUS - Główny Urząd Statystyczny http://www.stat.gov.pl/) lebten in den Jahren 2004-2005 unter der Grenze eines Existenzminimums 12%-13% der Polinnen und Polen.
Quelle:
http://www.stat.gov.pl/cps/rde/xchg/gus/hs.xsl/45_1160_PLK_HTML.htm

Das IPiSS (geht in seiner Studie auf Grundlage der Datenerhebungen des GUS) davon aus, dass nahezu 60% der Polen (das sind 23 Millionen Personen) unter einem Sozialminimum leben und somit nicht mal die elementarsten sozialen Bedürfnisse befriedigen können

Quelle:
http://www.ipiss.com.pl/teksty/min_soc_srednioroczne2004.pdf

Verfasst von: Michal Stachura | 24.04.07 10:14

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