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EU-Zuckermarktreform und "verdeckte Sklaverei": Brutale Ausbeutung auf Zuckerplantagen Brasiliens

"Wohnlager erinnern an deutsche KZs"
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Bei den Verhandlungen über eine EU-Zuckermarktreform wurde in den Medien wie üblich fast völlig unterschlagen, unter welchen Bedingungen Zucker in Drittweltländern erzeugt wird - und wer dort tatsächlich von den Exporten profitiert. Kirchliche Menschenrechtsaktivisten Brasiliens haben jetzt darüber informiert, was es mit den vielgerühmten "niedrigen Herstellungskosten" und der "hohen Konkurrenzfähigkeit" des Tropenlandes auf sich hat: Brasilien ist seit Jahren der größte Zuckerexporteur der Erde - dank der neuen, umstrittenen EU-Zuckermarktreform kann die 14. Wirtschaftsnation seine Ausfuhren auch in europäische Länder wie Deutschland weiter steigern. Auf den riesigen Zuckerrohrplantagen werden indessen Landarbeiter ähnlich wie zur Sklavenzeit brutal ausgebeutet.

Die katholische Kirche Brasilien hat deshalb jetzt die Vereinten Nationen und internationale Menschenrechtsorganisationen über die skandalösen Zustände unterrichtet – zum Mißfallen der Zuckerbarone wurden Ermittlungen eingeleitet. „Hier ist eine verdeckte Sklaverei im Gange – Arbeiter sterben sogar vor Erschöpfung“, sagt der katholische Priester Antonio Garcia Peres in Guaribas bei Sao Paulo. Peres gehört zur Wanderarbeiter-Seelsorge, der Pastoral do Migrante, die sich im wirtschaftlich führenden brasilianischen Teilstaate Sao Paulo auch für die Rechte der meist aus dunkelhäutigen Sklavennachfahren bestehenden Zuckerrohrschneider einsetzt. Rund 200000 sind es allein in Sao Paulo. 70000 der „Cortadores de Cana“, erläutert Padre Peres, kommen fast durchweg aus den mehrere tausend Kilometer entfernten Elends-und Dürreregionen des brasilianischen Nordostens und leiden wegen Hunger und Unterernährung häufig unter Kleinwüchsigkeit. Gerissene Anwerber bringen sie zu den Plantagen der Zuckerfabriken - bereits die Unterbringung verstoße gegen die auch von Brasilia unterzeichneten internationalen Menschenrechtsabkommen. „Die Wohnlager erinnern mich an deutsche KZs“, betont Padre Peres, „doch die Profite der Zuckerunternehmer sind geradezu astronomisch hoch!“ Morgens um vier müssen die Cortadores de Cana aufstehen, werden zu den Plantagen gefahren und müssen dann in Tropenhitze mit der Machete pro Tag das Minimum von acht bis zwölf Tonnen Zuckerrohr abschlagen. Das sind, man hat es ermittelt, etwa zehntausend kräftige Hiebe in die bis zu vier, fünf Meter hohen Stauden. Unter großer Anstrengung erreichen selbst die Stärksten, Geschicktesten dennoch nur einen Tageslohn von umgerechnet zwölf Euro. „Doch die Mehrheit schafft das bei weitem nicht, zwingt sich deshalb zu Überstunden, um nach acht bis zwölf Monaten mit ein bißchen mehr Geld zur Familie heimkehren zu können.“ Dabei ist Sao Paulo der reichste Teilstaat Brasiliens - hier werden den Cortadores noch vergleichsweise „hohe“ Löhne gezahlt. In den von umweltschädlicher Zuckerrohr-Monokultur gezeichneten Nordost-Teilstaaten wie Alagoas oder Pernambuco bekommen die Landarbeiter weit weniger. Wenn von den Zuckerbaronen überhaupt Verpflegung gestellt wird, ist sie gemäß den Ermittlungen miserabel. Und auch der Lohn reicht nicht, um die bei Schwerstarbeit verbrauchten Mineralsalze und anderen wichtigen Nährstoffe zu ersetzen. „Viele Plantagenarbeiter ruinieren sich daher völlig ihre Gesundheit, haben chronische Kopf-und Wirbelsäulenschmerzen, Schwindelanfälle – immer wieder brechen welche vor totaler Erschöpfung zusammen.“ Manche davon sterben noch im Zuckerrohr, andere im Hospital. Meist wird plötzlicher Herz-und Atemstillstand diagnostiziert. Padre Peres registrierte seit dem letzten Jahr allein in der Guaribas-Region elf tote Cortadores.
In den Zuckerfabriken verdienen die brasilianischen Arbeiter im Vergleich zu ihren europäischen Kollegen bei weit schlechteren Bedingungen ebenfalls nur einen lächerlich geringen Lohn – umgerechnet höchstens etwa 320 Euro monatlich.
Angeprangert wird zudem häufig, daß sowohl Zuckerrohrschneider als auch Fabrikarbeiter, die sich über die Bedingungen beschweren oder Gewerkschaften kontaktieren wollen, entlassen und bedroht werden.
Staatschef Luis Inacio da Silva kam einst aus dem nordöstlichen Zuckerrohr-Teilstaate Pernambuco nach Sao Paulo, machte hier Karriere als Gewerkschaftsführer. Manche hatten allen Ernstes geglaubt, Lula würde nach seinem Einzug in den Präsidentenpalast etwas für die Cortadores de Cana tun. „In den drei Amtsjahren Lulas hat sich für die Zuckerrohrschläger hier nichts verbessert“, konstatiert Padre Peres. “Für diese armen Landarbeiter, von denen viele Analphabeten sind, hat sich die Lage teilweise sogar noch weiter verschlechtert.“
Deutsche und österreichische Landwirte haben wiederholt vergeblich auf das brasilianische Sozialdumping hingewiesen und faire Spielregeln gefordert. „Anhand der Zuckerproduktion“, hieß es dazu in einer Bauernzeitschrift, „läßt sich die drohende Entwicklung klar beschreiben. In den großen Produktionsländern, allen voran Brasilien, werden sämtliche Standards in ökologischer wie sozialer Hinsicht mißachtet. Die Bodengewinnung erfolgt durch Abbrennen des Regenwaldes oder durch Vertreibung der Kleinbauern von ihren Feldern. Die Lohnarbeiter sind ihren Arbeitgebern gegenüber völlig rechtlos, erhalten Löhne, die zum Leben nicht reichen und es existiert Kinderarbeit. Durch diese gewissenlose Form der Produktion ist es der Landwirtschafts-Industrie Brasiliens möglich, die Preise am Weltmarkt zu unterbieten. Weder europäische Bauern noch solche aus den Entwicklungsländern können mithalten.“

Klaus | 05.12.05 18:53 | Permalink