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Die beißen nicht, die wollen nur spielen

Seit gut zwanzig Jahren kann man sich darauf verlassen, am Ende des Jahres ist Hackerweihnachten, das heißt, der Chaos Communication Congress öffnet seine Pforten. Gestern, zur Eröffnung des 22C3, kamen einige tausend junge Leute ins Berliner Congress Center. Der Veranstalter Chaos Computer Club (CCC) versprach diesmal schon im Vorfeld des Meetings, dass in diesem Jahr alles noch „professioneller“ als in den Jahren davor ablaufen soll. Was offensichtlich Leute wie der Geschäftsführer der „CCC Veranstaltungs GmbH“, Tim Pritlove, darunter verstehen, lässt sich an den deftigen Eintrittspreisen ablesen. Für alternative Veranstaltungen dieser Art sind diese nämlich bisher einzigartig. Die Tageskarte kostet 25 Euro, die Karte für den kompletten Kongress 75 Euro. (Auf „meinem“ ersten Kongress, dem 15C3, lag der Preis für die Dauerkarte noch unter dem einer heutigen Tageskarte) Aber die meisten der angereisten Teilnehmer schien der hohe Eintritt nicht sonderlich zu stören. Viele von ihnen machten den Eindruck als hätte ihnen Papi den kleinen Ausflug nach Ostdeutschland bezahlt.

Das Motto unter dem Pritlove in seiner Eröffnungsrede die Öffentlichkeit und vielleicht auch das ein oder anderen Script-Kid im Publikum beschwor hätte heissen können: „Wir sind die Guten, wir wollen doch nur spielen“ verkündete er doch artig "Wir sind keine Kriminellen" und "Wir dringen nicht in alles ein und knacken keine Bankkonten." Ein Hacker sei nur jemand, der erforschen wolle, wie etwas funktioniere.

Die Keynote hielt der eigens aus Japan eingeflogene Investor Joi Ito. Von ihm kamen so bemerkenswerte Statements wie: "Ohne offenen Zugang können wir keinen Systemwandel mehr erreichen". Ein offenes Netzwerk sei daher wichtiger für die Demokratie "als das Recht, Waffen zu tragen oder zu wählen".

Im Laufe des ersten Tages liefen dann ein paar interessante Veranstaltungen wie „Elektronische Gesundheitskarte und Gesundheitstelematik - 1984 reloaded?“, „Hacking Data Retention. How bureaucrats fail to fight terror“ oder “Hacking CCTV. Watching the watchers, having fun with cctv cameras, making yourself invisible” (Die leider nicht hielt was der Titel versprach).

Am Abend versuchten die Hacktivisten Frank Rieger aus Berlin und Rop Gonggrijp aus Amsterdam mit einem eindringlichen Vortrag „We lost the war. Welcome to the world of tomorrow“ die Hackergemeinde politisch wachzurütteln. Mit den unter dem Vorwand der „Terrorismusbekämpfung eingeführten Gesetzesänderungen sei ein Großteil der Privatsphäre und anderer grundrechtlich geschützter Werte in den letzten Jahren verloren gegangen. Der aus der DDR stammende Frank Rieger verkündetete: "Wir haben einen Polizeistaat" und "Wir leben jetzt in der dunklen Welt der Scifi-Romane, die wir niemals wollten".
Seine sich durch den Vortrag ziehende Polarisierung zwischen „Sie“ (die Mächtigen) und „Wir“ (die Hacker) missfiel einigen Leuten im Publikum. Sie baten darum an dieser Stelle etwas mehr zu differenzieren. Dazu meinte dann ein Altaktivist aus dem CCC Berlin treffend „Wir sind nicht Teil der Lösung sondern Teil des Problems. Wir sind IHR Gehirn“ wohl in Anspielung auf die Tatsache, dass Mittlerweile viele ehemalige Aktivisten aus der Hackerszene Teil des Establishments sind.

Die Veranstalungen lassen sich (bisher nur im Microsoft!- Format wmv) unter
http://22c3.fem.tu-ilmenau.de/index.php?action=live
live mitverfolgen.

Hier http://81.163.3.2/ stehen noch weitere Links zu anderen Videostream-Formaten, welche bis zum jetzigen Zeitpunkt leider meist nicht funktionierten.

Ein in diesem Zusammenhang nützlicher Veranstaltungsplan ist hier zu finden:
http://events.ccc.de/congress/2005/fahrplan/index.en.html

Bereits gelaufene Vorträge lassen sich hier ansehen:
http://22c3.fem.tu-ilmenau.de/index.php?action=ondemand

A.S.H. | 28.12.05 23:42 | Permalink