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Der Aufrechte aus dem sächsischen Manchester ist verstummt

Nach langem Aufbegehren hat Hans - Jochen seinen Kampf gegen den Krebs verloren.
Er, der aller Ungerechtigkeit die Stirn bot, war letztendlich gegen die Krankheit machtlos und starb im Kreise seiner Familie am 27. Dezember in Chemnitz. Wir werden Ihn vermissen, in einer Zeit, in der Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse ein menschliches Antlitz braucht.

Wann fing es an, dass Hans-Jochen Vogel, immer kritisch im Denken, mit viel Hoffnung auf einen anderen, antifaschistischen deutschen Staat, begann, die Staatspolitik der DDR zu hinterfragen und eigenständiges Handeln von unten zu fördern. Gab es ein Schlüsselerlebnis oder war es eher eine fließende Entwicklung bei der er eines immer blieb – ein Sozialist. Als „Roten Pastor“ verschrien, hörte ich zum ersten Mal Anfang der 1980er Jahre in Karl-Marx-Stadt von ihm und seiner Tätigkeit als Studentenpfarrer. Die in den Räumen der Studentengemeinde wöchentlich stattfindenden Runden waren keine „Urania“- Veranstaltungen wie andernorts, sondern vielmehr eine Mischung aus internationalistischer Bildungsarbeit und kritischem, materialistischen Christentum und unangepasster Kultur. Das Ergebnis langjähriger Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten, die schon 10 Jahre vor dem Mauerfall Landesgrenzen und kulturelle Unterschiede weit hinter sich gelassen hatten und neuen Ideen der Jungen.
In den Jahren der militärischen Nachrüstung in West und Ost bildete sich auch in Karl-Marx-Stadt ein Netzwerk von Oppositionsgruppen, aus dem verschiedene langjährige Projekte entstanden. Hans-Jochens Verdienst war es auch, das Aufbegehren von Punks und die leisen Vorschläge von kritischen SED-Genossen gleichermaßen zur Kenntnis zu nehmen. Nie hat er sich leichtfertig von einer Scheinradikalität anstecken lassen, um durch leichte Antworten einfache Wege zu beschreiten. Das galt bis zuletzt.

Hans-Jochen Vogel Laudatio zum 15jährigem Bestehens der Ostberliner Zeitschrift „telegraph“ im letzten Jahr beschreibt ebenso gut sein eigenes Weitermachen in anderen Verhältnissen: „... Er hat sich vereinnahmenden westlichen freiheitlich-demokratischen Streicheleinheiten entzogen, mit denen DDR-oppositionelles Denken weiterhin neutralisiert und in die neue multiple Einheitspartei integriert wurde. Er hat sich nicht reumütig von seiner DDR-Oppositions-Vergangenheit losgesagt und sich um einen Platz im inzwischen marktgängigen DDR-Nostalgie-Business bemüht. Er hat sich auch nicht in die glänzende Isolation auf den Sandbänken der Weltgeschichte gestrandeten Ex-Revolutionärstum begeben. Und er hat sich nicht vom kopfstehenden Nationalismus des Anti-Deutschtums infizieren lassen. Schon gar nicht hat er sich auf allerlei leichtsinnige neurechte und nationalbolschewistische Spielchen eingelassen. Er hat einfach weitergemacht, indem er aus den Anfangsimpulsen heraus offen und lernbereit, aber nicht verratsbereit, immer wieder eine gedankliche Schneise durch die Zeitläufe zu schlagen versucht hat, weder nach Parteilinie noch in postmoderner Beliebigkeit ...“.

natter | 29.12.05 01:41 | Permalink

Kommentare

Hans-Jochen Vogel bekam 2004 für sein Lebenswerk den Ehrenpreis des Chemnitzer Friedenspreises:
http://www.chemnitzer-friedenstag.de/preis.html

Als einer der wenigen DDR-Oppositionellen hat er sich zur Wendezeit nicht durch die SPDCDUGrüne vereinahmen zu lassen, die nicht davor zurückscheuten ihn wegen seinem Engagement gegen den Jugoslawienkrieg und Desertionsaufrufe strafrechtlich zu verfolgen.

http://zeus.zeit.de/text/archiv/2002/02/buergerrechtler.xml

Freiheit und Demokratie gilt es eben auch nach 1989 zu verteidigen!

Verfasst von: Nachdenklicher | 29.12.05 10:00

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