« Zitat des Abends | Hauptseite | Komplott aufgeflogen? »

Filmischer Aufstand gegen Heldenverehrung

Mit Bequem-in-Kinosessel-fallen und mal eine Geschichtslektion nehmen ist nichts. “Edelweißpiraten” ist provokativ, anstrengend, zuweilen unscharf wie eine ferne Erinnerung: ein Aufstand gegen Denkmalkultur.

Köln. Ehrenfeld. November 1944. Jugendliche, fast Kinder noch, zwischen denen eine emsige Handkamera hin und her operiert. Ganz zufällig sind die Protagonisten mal erkennbar, mal nicht. Übermütig schreiben sie ein Wort in die Luft, wie eine Parole an die Hauswand:

e-d-e-l-w-e-i-ß-p-i-r-a-t-e-n.

In dieser Zeit der völligen Demoralisierung der deutschen Bevölkerung durch Krieg, Entbehrung und Bomben beginnt die Handlung des Films.

Trümmer überall In den Ruinen wird gewohnt, gespielt und noch von KZ-Häftlingen hin und wieder mal eine Bombe entschärft. Einem von ihnen, Hans, gelingt die Flucht. Er wird von nun an die treibende Kraft– als Geliebter von Cilly, der jungen Mutter zweier Kinder, als Nahrungsbeschaffer, als Idol des kleinen Peter, als Rivale von Peters Bruder Karl. Diese Überbetonung der emotionalen Konstellationen könnte den Schluss zulassen, die letzten Aktionen der Edelweißpiraten seien zufälliges Resultat des Eifersuchtsdramas zwischen zwei Männeren. Besonders hart erscheinen im Kontrast dazu die späteren Folterszenen und die die in quälend verlängerter Filmzeit gezeigte Hinrichtung der Jugendlichen.
Der Film ist alles andere als ein korrektes historisches Lehrstück. Von der Aktengenauigkeit des Rothemund-Films über Sophie Scholl ist er weit entfernt. Er ist, was man ihm anmerkt, aus dem Bericht eines Überlebenden entstanden. Die Unvollständigkeit der historischen Wahrnehmung, das Subjektive persönlicher Erinnerung, auch ihre besondere Emotionalität sind also Absicht. Der Ausnahmecharakter der Edelweißpiraten in den Büchern des Widerstands gegen die Nazis wird von den Filmemachern eher betont. Sie nehmen sich diese einst real existierende Widerstandgruppe und machen daraus höchst eigenwillige und artifizielle Figuren.

Gezeigt wird ihre Integrität, die in der Unschuld dieser Jungen und Mädchen liegt. Sie waren ein intuitiv entstandener Haufen romantischer, freiheitsliebender und rebellischer Jugendlicher, von denen viele Arbeiterkinder waren. Die Nachkriegszeit machte aus ihnen im Nachhinein Kriminelle, wegen der Diebstähle, die sie für den Untergrund begingen.

Eine Rehabilitation etwa in strenger deutscher Geschichtsfilmmachart findet nicht statt. Die Zufälligkeit des Widerstands, seine geistige Konzeptlosigkeit wird betont, Helden findet man hier nicht. Dagegen setzt der Film Lebendigkeit und niedrige, ganz archetypische Motive. Der Widerstand wird hier nicht angetrieben von Gewissen und Verantwortung, sondern von Eifersucht, Empörung, Liebe, Hass, Konkurrenz, Neid.

Zur Spannung des Films trägt die experimentelle Mischung aus Berufsschauspielern wie Anna Thalbach und Jochen Nickel, Gelegenheitsschauspielern wie Bela B. von der Ärzte-Band und Laien wie Ivan Stebunow und viele andere jugendliche Darstellern bei. Gemurmelte Zufälligkeiten und sauber entworfene und durchgespielte Szenen lösen einander ab. Das trägt zu einem nervösen, unausgegorenen Stil bei, der zur Spontaneität der Edelweißpiraten passt.

Unvergesslich bleibt das Schlussbild: Karl steht auf der Treppe des zerschossenen Gestapogefängnisses und erkennt, dass sein kleiner Bruder Peter sterben musste, weil der es wollte – aus Treue zum Rivalen Hans. So macht der Film aus dem Moment der Befreiung zugleich den Moment tiefster Verzweiflung. Karl schreit und schreit immer wieder “Nein!”. Karl wird gespielt von dem Russen Ivan Stebunow. Er ist das zentrale Gesicht des Films.

“Edelweißpiraten” ist so ein Film, wo man am Ende nicht weiß, ob das nun ein richtiges Kunstwerk oder der willkürliche Übermut von ein paar Filmabsolventen war. Er zwingt zum Nachdenken.

Angelika Nguyen für www.ostblog.de

Siehe auch: http://www.ostblog.de/2005/06/edelweisspiraten_als_widerstan.php

A.S.H. | 15.11.05 07:50 | Permalink