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Der Sieg des Öko-Bischofs

Hungerstreik zwingt Brasiliens Staatschef Lula zum Nachgeben bei umweltschädlichem Flußprojekt
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
Brasiliens couragierter befreiungstheologischer Bischof Luiz Flavio Cappio(59) ist erleichtert - sein elftägiger Hungerstreik war ein Erfolg. Die Regierung wollte eigentlich in diesen Tagen mit großem Pomp ein gigantisches milliardenteures Projekt zur Umleitung des Nordost-Stroms Rio Sao Francisco starten. Staatschef Lula sah darin einen Trumpf für seine Wiederwahl im nächsten Jahr. Doch unvermittelt kam ihm der Hungerstreik des mutigen Bischofs in die Quere, der es in wenigen Tagen schaffte, nicht nur Brasilien, sondern auch die Weltöffentlichkeit, und ganz besonders die Umweltorganisationen, für das dubiose Projekt zu interessieren.

Die kleine schlichte Kapelle von Cabrobò am Ufer des Flusses, in der Cappio ausharrte, wurde zum Wallfahrtsort – Bischöfe und zehntausende Gläubige, aber auch Umweltexperten, Gouverneure, Oppositionspolitiker und selbst Indios erwiesen Cappio ihren Respekt. Wegen des drohenden Imageverlustes zog es Lula daher vor, besser nachzugeben. Wie vom Bischof gefordert, werden die nächsten Tage keine Bagger und Planierraupen anrollen, sondern wird erst einmal eine große landesweite Debatte über die Regierungspläne beginnen. Der Staatschef versprach, vor einer möglichen Umleitung den etwa 2700 Kilometer langen Strom, der durch Industrie-und Stadtabwässer bereits stark vergiftet ist, erst einmal zu revitalisieren. Und das könnte Jahre dauern, da die von den Behörden tolerierte massive Abholzung der Flußwälder auch zu einem bedrohlichen Absinken des Wasserstandes geführt hatte. Wie gerufen kam zudem, daß die Justiz des angrenzenden Teilstaats Bahia per einstweiliger Verfügung den Genehmigungsprozeß für das Projekt stoppte. Bischof Cappio stellte indessen klar: Falls die Regierung ihre Versprechen bricht, werde er sofort wieder in jene kleine Kapelle zurückkehren und den Hungerstreik fortsetzen. Denn möglich ist unter dieser neoliberalen Regierung alles. Der Ex-Guerillheiro, Schriftsteller und Kongreßabgeordnete Fernando Gabeira von den brasilianischen Grünen, einst während der Militärdiktatur im Westberliner Exil, erinnerte in Cabrobò daran, daß Lula noch im Wahlkampf von 2002 die Umleitung des Flusses in Trockengebiete abgelehnt und genau wie der Bischof die Rettung des sterbenden Stroms befürwortet hatte. Der ausgewiesene Umweltexperte Cappio sah daher den Amtsantritt des ehemaligen Gewerkschaftsführers mit großer Sympathie. Doch dann bewirkte dem Vernehmen nach Vize-Staatschef Josè Alencar, ein Milliardär und Textilkonzernbesitzer, bei Lula einen überraschenden Meinungsumschwung. Zahlreiche große Baufirmen konnten auf einmal mit saftigen Regierungsaufträgen rechnen.
Lula hat den Bischof für die nächsten Wochen zu einem Gespräch im Präsidentenpalast eingeladen. Spätestens dann wird man genauer wissen, wie ernst es die Regierung mit dem Umweltschutz und der nachhaltigen Bekämpfung des Wassermangels in den Dürreregionen des Nordostens meint. Über die Hälfte der anderthalb Millionen Quadratkilometer großen Region werden der Sahara immer ähnlicher – doch die Probleme, darunter Klimaveränderungen wegen fehlenden Regens – sind durchweg hausgemacht. Das wußte schon Bischof Cappios großer „Vorgänger“, der als Volksheiliger verehrte Padre Cicero. Bereits in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verkündete er den Nordestinos ökologische Basisregeln, warnte vor dem Abholzen und Abbrennen der Wälder und Savannen, forderte, das Regenwasser in Zisternen aufzufangen, beklagte die Zerstörungsmentalität. Padre Ciceros Weitsicht wird erst heute anerkannt. Da eine Flußumleitung die Probleme nicht lösen, ein Großteil des Wassers zudem unnütz verdunsten würde, hatte sich selbst die Weltbank entschieden gegen das Regierungsprojekt ausgesprochen. Denn nur ein Bruchteil der am meisten von Wassermangel Betroffenen würde begünstigt.
Auch der Vatikan und Brasiliens Bischofskonferenz sind jetzt tief erleichtert – denn Bischof Cappio wollte den Hungerstreik notfalls bis zum Tode fortführen, falls Brasilia nicht nachgibt.

Klaus | 07.10.05 19:03 | Permalink