« Lonesome Andi Haller - Endlich wieder in Berlin ! | Hauptseite | Der Sieg des Öko-Bischofs »

Wenig zu holen in Polen

Die Linke ist in Polen stark marginalisiert. Aber die schwere Niederlage der sozialdemokratischen Regierungspartei bei der Parlamentswahl könnte einen neuen Anfang ermöglichen. von kamil majchrzak, warschau

Wir müssen den konservativen Diskurs in Polen brechen! Die Linke besitzt keine Sprache, mit der sie der neoliberalen Volte entgegentreten könnte«, sagt Przemek Wielgosz. Er ist Schriftsteller und Mitherausgeber von zwei linken Zeitschriften. Wir treffen uns im »La Madame«, einer linken Kneipe am Stare Miasto (»Alter Marktplatz«). Die Altstadt wurde als Vergeltung für den Warschauer Aufstand 1944 von der SS völlig zerstört und im Jahr 1945 wieder originalgetreu aufgebaut. »Nur die Außenfassaden sehen aus wie aus dem Barock, die Innenräume konnten nicht originalgetreu aufgebaut werden, dafür fehlte damals das Geld«, sagt Wielgosz.

So ähnlich steht es auch um die etablierte post-kommunistische Linke – eine linke Fassade ohne Inhalt. Die bislang regierende sozialdemokratische SLD (Demokratischer Linksbund) hatte das Linkssein monopolisiert und eine wirklich kritische Debatte über die sozioökonomische Lage Polens unterbunden. Liberalisierung des Arbeitsrechts, der Hausner-Plan (das polnische Pendant zu Hartz IV), der Versuch, den Unternehmern das Recht zur Aussperrung von Streikenden einzuräumen, die Liste sozialdemokratischer »Erfolge« ist lang. Die verheerende Niederlage der SLD bei den Parlamentswahlen hatte auch schlechte Auswirkungen für andere linke Gruppen.

Die Linke versäumte es bislang, gegen die diskursive Hegemonie der Neoliberalen anzukämpfen. »Alte Kommunisten aus der SLD strebten bisher nur danach, alle zu überzeugen, dass sie nichts mit dem alten Regime oder dem Sozialismus zu tun haben«, erklärt Przemek. Eine echte linke Alternative zur SLD sei zu keiner Zeit erkennbar gewesen. Die Neue Linke von Piotr Ikonowicz, die sich als Partei der antikapitalistischen Linken definiert, fristet ein Schattendasein. Sie sammelt ihre Anhänger auf der Straße unter ausgegrenzten und marginalisierten Gruppen, erarbeitet jedoch keine eigenen Konzepte zur Überwindung der politischen Krise. Die von Ikonowicz vor einem Jahr mitinitiierte Bewegung »Union der Linken« zerfiel wegen personeller Differenzen, noch bevor sie richtig entstehen konnte. Eine der Mitgründerinnen, Izabela Jaruga-Nowacka, wollte sich in der außerparlamentarischen Opposition profilieren, obwohl sie gleichzeitig als Vize-Premierministerin die neoliberale Regierung von Marek Belka stützte.

Auch die Gewerkschaften setzten dem konservativen Diskurs nichts entgegen. Die defensive Taktik der postkommunistischen Gewerkschaft OPZZ bot für die Unternehmerverbände die besten Möglichkeiten, um immer schärfere Forderungen zu stellen. Die Solidarnosc unterstützte öffentlich den homophoben Wahlsieger Lech Kaczyñski von der rechtspopulistischen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS). Auch die katholische Kirche leistete ihren Beitrag zu deren Sieg. In den meisten Kirchen zitierten die Priester am Wahlsonntag den Propheten Ezechiel: »…wenn der Ungläubige seine Ungläubigkeit verlässt, der er sich bislang hingab, und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er seine Seele am Leben erhalten.« (Hervorhebung des Autors)

Przemek Wielgosz will dennoch nicht aufgeben. Zusammen mit Stefan Zgliczyñski gibt er seit Anfang der neunziger Jahre zwei Zeitschriften heraus, die alle zwei Monate erscheinen. Lewa Noga und Rewolucja haben den Umfang dicker Bücher: »Sie unterscheiden sich stark von euren deutschen Zeitschriften. Wir übersetzen viel aus dem Französischen und Englischen, um die politisch-ökonomischen Denktabus in Polen zu durchbrechen. Wir wollen die kritischen Diskussionen aus Frankreich bzw. England nach Polen bringen.« Dies hat durchaus Erfolg. Bei vielen Intellektuellen erfreut sich Lewa Noga steigender Popularität, und die Rewolucja findet man mittlerweile auch in Büros von Professorinnen und Professoren der Warschauer Universität.

Die linke Kritik entwickelt sich ganz allmählich zu einer Mode bei polnischen Intellektuellen. »Es ist ja zunächst begrüßenswert, wenn in den ›intellektuellen Salons‹ über die Gefahren der Globalisierung gesprochen wird. Wir sind jedoch nicht zufrieden, wenn Globalisierungskritik ein Ereignis im Bekanntenkreis bleibt. Deshalb haben wir uns stark engagiert, um die Streikenden der Kabelwerke in Ozarów zu unterstützten. Wir haben die Gründung eines Allgemeinpolnischen Komitees mitinitiiert, um die sozialen Proteste, die in den Jahren 2002 bis 2004 in vielen Teilen des Landes ausbrachen, zu koordinieren«, sagt Wielgosz.

Die negative wirtschaftliche Entwicklung und die ideologische Hegemonie der dominierenden Parteien drängen immer mehr Menschen ins Abseits. Fast 60 Prozent der Wahlberechtigten gingen nicht zur Parlamentswahl, was einem faktischen Boykott gleichkommt. Für sie spielt Politik praktisch keine Rolle mehr. Dem staatlichen Hauptstatistikamt zufolge liegt die Arbeitslosenrate bei 18 Prozent, 59 Prozent der Bevölkerung leben unter dem Existenzminimum. Somit steht ein großer Teil der Bevölkerung vor existenziellen Problemen. Der Anstieg der Gewinne bei niedrigem Wachstum des Bruttosozialprodukts, regressive Distribution, Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und das Einfrieren der Gehälter drängen die Mehrheit der Gesellschaft in einen politischen Nihilismus. Dies trifft insbesondere die potenzielle Wählerschaft der Linken.

Die zweitstärkste Partei bei den Wahlen, die konservative Bürgerplattform, konnte sich als »apolitisches Zentrum« erfolgreich profilieren. »Apolitisch« wird in Polen gemeinhin mit freier Marktwirtschaft gleichgesetzt, als »politisch« wertet man dagegen Forderungen nach einer staatlichen Kontrolle. Arbeitskämpfe werden in den Medien als »asoziale Rückkehr zum Vorteilsdenken einiger Gruppen« bezeichnet. Unter diesen diskursiven Voraussetzungen können die wichtigsten Lebensbereiche »entpolitisiert« und der Regulierung durch den Markt überlassen werden.

Przemek Wielgosz sieht Hoffnungen auf eine Erneuerung der Linken gerade in der Niederlage der SLD und den gewalttätigen gesellschaftlichen Protesten. »In den Jahren 2002 und 2003 führten diese Proteste dazu, dass die SLD-Regierung ihren neoliberalen Kurs korrigieren musste, was zugleich viele Arbeitsplätze rettete«, sagt er. Im Juli dieses Jahres konnten Bergarbeiter ihre Rente erst erkämpfen, nachdem sie gedroht hatten, das Parlamentsgebäude zu stürmen. »Leider fehlt ihnen eine linke politische Orientierung, daran hat auch die Gründung des Allgemeinpolnischen Komitees zur Unterstützung der Proteste nichts geändert. Sie verstehen sich nicht als Linke. Die Menschen sehen an erster Stelle ihre eigene Not, doch nur wenn sie gemeinsam protestieren, entwicklen sie Kräfte. Ohne die Zusammenarbeit radikaler Linker und linker Intellektueller mit den Arbeiterbewegungen wird man von einer Erneuerung der Linken leider nur träumen können.«

Quelle:

Jungle World vom 5.10.2005
http://jungle-world.com/seiten/2005/40/6366.php

Michal Stachura | 06.10.05 17:30 | Permalink