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Brasiliens "Stararchitekt" Oscar Niemeyer - folgenschwere Fehlleistungen in Serie

Niemeyers wichtigster Kritiker Joaquim Guedes analysiert Betonmonster
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
Nicht nur in Deutschland wird der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer von nahezu allen Medien mit Lob überhäuft - für Potsdam entwirft er derzeit ein Freizeitbad. Niemeyer, heißt es immer wieder, sei der Star der modernen internationalen Architektur, geradezu eine Legende der Moderne. Ungeheure Formfreiheit, keinerlei Strenge, hohe Funktionalität. Als Kronzeuge für die Großartigkeit seiner Werke dient gewöhnlich Niemeyer selber. Er gilt als Schöpfer der brasilianischen Hauptstadt Brasilia - sämtliche öffentlichen Gebäude, darunter der Nationalkongreß und der Präsidentenpalast, wurden von ihm entworfen. Brasilia zählt seit 1987 zum UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit. Unüblich ist indessen, sich Niemeyers Hauptwerke aus der Nähe anzuschauen, Nutzer zu befragen. Vor allem brasilianische Experten sparen schließlich nicht mit gutfundierter Kritik. Sie verhallt indessen besonders in Europa seit Jahrzehnten nahezu ungehört - oder wird sogar gezielt verhindert. In Brasilien wird zudem immer wieder der schweizerische Architekt Max Bill zitiert, der bereits 1954 ein Niemeyer-Projekt mit den Worten kritisiert habe:"È o fim da arquitectura moderna. È um desperdicio anti-social, sem responsabilidade."(Das ist das Ende der modernen Architektur. Das ist antisoziale Vergeudung, ohne Verantwortung) Andere Niemeyer-Bauten Sao Paulos charakterisierte Bill seinerzeit als "Exibicionismo caro e desinteressante"(teurer und uninteressanter Exhibitionismus).

Oscar Niemeyers eigentliches Hauptwerk sind über fünfhundert öffentliche Schulen Rio de Janeiros, in denen jeweils bis zu eintausend Unterschichtskinder, meist aus den Slums, unterrichtet werden. Diese zweistöckigen Schulen heißen offiziell CIEP, Integriertes Zentrum für öffentliche Bildung – sind aus Fertigteilen und sehen wie eckige, graue Betonkästen aus. In einer der lautesten Städte der Erde wurden sie nach dem Willen der Regierenden populistisch stets an auffälliger, gut sichtbarer Stelle errichtet, also dort, wo der Verkehrslärm am größten ist. Auch der CIEP Tancredo Neves in der Rua do Catete hat keine Schallschutzfenster. Man betritt die Schule und stutzt sofort: In sämtliche Klassenzimmer links und rechts des düsteren Korridors kann man bequem hineinschauen, Schüler und Lehrer beobachten – denn die Seitenwände der Räume sind zum Mittelgang hin nur etwa anderthalb Meter hoch, wurden also nicht bis zur Decke hochgezogen. Das bedeutet: Alle hören alles von allen. Die einen haben Physik, andere Mathe, Portugiesisch – andere singen Sambas, wieder andere schreiben eine Prüfungsarbeit. Die sehr temperamentvollen brasilianischen Kinder reagieren natürlich auf die Geräusche von nebenan - in allen CIEPs deshalb große Disziplinschwierigkeiten. Bereits in der Projektphase, in den 80er Jahren, wurde Niemeyers Konzept der halbhohen Wände kritisiert. Doch der „Stararchitekt“ konterte, auf diese ökonomische Weise die Luftzirkulation verbessern zu wollen. Wenn das in den Schulen dazu zwinge, etwas leiser zu sprechen, sei es doch normal und gehöre zum guten Benehmen.
Doch auch die Lehrerinnen des CIEP Tancredo Neves nennen die Wände ein Absurdum. “Der Krach hier ist enorm – wollen wir uns durchsetzen, müssen wir notgedrungen die Stimme heben, ständig dagegen anschreien. Viele haben deshalb Probleme mit den Stimmbändern, müssen sich operieren lassen. Jeder Pädagoge hört ja auch die Kollegen unterrichten, das lenkt ab, macht nervös – es ist wirklich schwierig hier.“
In den Klassenzimmern werden allen Ernstes 85 Decibel gemessen.
Die rund fünfhunderttausend CIEP-Schüler von Rio kommen aus einem Klima der Gewalt, haben starke Lern-und Konzentrationsschwierigkeiten – häufig Folge gravierender Unterernährung in den ersten Lebensjahren. Umso wichtiger wäre ein möglichst ruhiges, streßfreies Schulambiente. Architekt Oscar Niemeyer hat das nun schon 21 Jahre verhindert, wie auch CIEP-Direktorin Maria Stoky einräumt. Die Wände des Direktionszimmers sind ebenfalls nur eins fünfzig hoch.
„Selbst hier ist der Krach sehr groß. Unsere Lehrer können sich nur schwer konzentrieren - den Lärm vom Korridor, auf dem ständig Schülergruppen herumlaufen, müssen sie zusätzlich ertragen. Wir brauchten richtige Wände, hoch bis zur Decke.“
Pädagogen anderer CIEPs nannten die Lehrbedingungen gar Horror. Auffällig, daß viele aus Angst vor Entlassung ihre Namen nicht nennen wollten. Keineswegs handelt es sich um Einzelmeinungen. Kinderpsychologen haben festgestellt, daß CIEP-Schüler deutlich nervöser, unruhiger und gereizter sind als jene in anderen öffentlichen Schulen. Und das staatliche Amt für Meßwesen machte Tests: Spricht ein Lehrer in normaler Lautstärke, verstehen Schüler von CIEPs davon bis zu siebzig Prozent weniger als in normalen Schulen.
--Pelè: “Schulen wie in der Ersten Welt“—
Oscar Niemeyer nennt sich Kommunist, Menschenfreund, dem das Wohl der ärmsten Brasilianer, deren Bildung, besonders am Herzen liege. Doch mit seinen über fünfhundert CIEPs hat er niedrige Lernleistungen der sozial am meisten Benachteiligten vorprogrammiert, Kritik und Verbesserungsvorschläge ganzer Delegationen von CIEP-Direktoren und Lehrern, aber auch heftige brasilianische Medienkritik regelmäßig abgeschmettert. Und nicht nur die Akustik ist eine Katastrophe, auch die Belüftung, die Temperaturregulierung. Dank Niemeyers Konzept brennt die Tropensonne auf den nackten Beton, werden die CIEPs zum Bratofen – eine falsch geplante Rampe ermöglicht den Schülern Massenfluchten. Weil es der Staat zuläßt, stehen nicht wenige CIEPs im Herrschaftsbereich von neofeudalen Banditenmilizen des organisierten Verbrechens, die die Gebäude sogar für Feste nutzen.
Als vor wenigen Monaten jemand aus einem CIEP Aluminiumteile stahl, schlugen ihm die Banditen den Arm ab, legten diesen zur Abschreckung nebst einem entsprechenden Hinweisschild vor der Schule aus.
Doch Fußballidol und Multimillionär Pelè lobt die CIEPs in mehrseitigen Farbanzeigen der Rio-Regierung als durchweg hervorragende Schulen – es seien solche wie in der Ersten Welt, die auch exakt wie dort funktionierten.
--Gorbatschow weihte "Willy-Brandt-CIEP" ein—
Im Dezember 1992 flog gar Michail Gorbatschow mit Ehefrau Raissa im Hubschrauber des Rio-Gouverneurs in die von Slums übersäte Nordzone, um dort den nach Willy Brandt benannten CIEP mit einzuweihen. Tausende schwenkten Fähnchen, natürlich wurde alles mit einer Sambashow umrahmt.
Joaquim Guedes zählt ebenfalls zu den Größen der brasilianischen Baukunst, ist zudem Lehrstuhlinhaber für Architektur an der Bundesuniversität von Sao Paulo. Andreas Hempel, Präsident des Internationalen Architekturkongresses von 2002 in Berlin, berief ihn ins wissenschaftliche Komitee des Expertentreffens. Guedes ist seit jeher Niemeyer-Kritiker, wird deshalb seit jeher stark angefeindet.
Die über 500 CIEPs von Rio zeigen für Guedes exemplarisch, wie Niemeyer arbeitet:“Er ist unfähig, echte Architektur zu machen, diese Schulen beweisen es. Er entwirft Formen - aber das ist doch noch keine Architektur. Er konstruiert Formen entgegen den menschlichen Bedürfnissen, respektiert nicht einmal technologische Aspekte. Von einem großen Architekten erwartet man, daß er sich in die Probleme der menschlichen Existenz vertieft, die besten Lösungen sucht. Aber Schulen, in denen die Wände nicht mit der Decke abschließen – das ist doch verrückt, das ist doch Wahnsinn, absurd! Und dann auch noch das selbe falsche Projekt im Massenproduktion ewig wiederholt, nie spezifischen örtlichen Gegebenheiten angepaßt. Wie kann er gerade die am meisten Benachteiligten mit diesen CIEPs so mißhandeln, deren Ausbildung so schädigen! Dies zeigt, daß Niemeyer hochgradig elitär ist, da sehen wir eine Deformation unseres Berufs. An dem Schulprojekt hätten mehr Architekten mitarbeiten müssen – doch Niemeyer ist sehr arrogant gegenüber den eigenen Kollegen, will immer alles alleine machen.“
Arroganz, Intoleranz laut Guedes auch gegenüber Auftraggebern. Nur zu oft blockte Niemeyer seine Kritiker ab, indem er schlichtweg aufstand und ging – er sei nicht hier, um sich Dummheiten anzuhören.
Niemeyer ein Kommunist? Für Guedes hat er eine stalinistische Sicht der Dinge. --Und das am Reißbrett entworfene Brasilia, oft als Niemeyers Hauptwerk betrachtet?
“Das war de facto ein rein autoritärer Akt – große ökonomische Interessen, dazu eine große politische Chance für den damaligen Staatschef Juscelino Kubitschek – der natürlich seinen Freund Niemeyer engagierte. Dieser tat alles, damit seine Projekte den Staatschef noch mehr herausstellten, ihn als Volkshelden, Volkstribun erstrahlen ließen. “
--„Propaganda für Niemeyer ist beeindruckend“—
Im Gegenzug mehrte Kubitschek kräftig den Ruhm von Niemeyer. Im Falle der Rio-CIEPs war es kein geringerer als der damalige Gouverneur und Vizepräsident der Sozialistischen Internationale, Leonel Brizola.
“In der Menscheitsgeschichte“, so Guedes weiter, „gab es keinen anderen Architekten, für den der Staat soviel nationale und internationale Reklame organisierte wie für Niemeyer – denn Niemeyer machte ja auch kräftig Reklame für den Staat. Über Niemeyer wurde nur verbreitet, was dieser selber hören wollte. Er arbeitete für das Militärregime, obwohl er es gleichzeitig kritisierte. Gerade während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 realisierte Niemeyer viele Projekte.“
Aber funktioniert denn die Hauptstadt Brasilia wenigstens? – für Guedes ist sie lediglich formal und monumental.
„Die Hauptstadt wurde nicht für das Leben erdacht, sie soll nur äußerlich beeindrucken. Niemeyer mißachtet die Stadt und ihre Bewohner. Man sehe sich nur diese Avenida der Ministerien an – alle Gebäude militärisch aufgereiht, alle gleich – und alle in Ost-West-Richtung, für ein Tropenland die allerschlechteste Lösung. Die Morgen-und Nachmittagssonne knallt direkt auf die großen Fenster – furchtbare, unerträgliche Hitze, keine Klimaanlage kommt dagegen an. Ich kannte einen Minister, der deshalb sein Kabinett in der Mitte installierte, völlig fensterlos.“
--„Fassade, Spektakel, Propaganda zählen heute“—
Parlamentsabgeordnete argumentieren wie Guedes – Niemeyers Brasilia-Bauten seien völlig unfunktional – schlecht belüftet und beleuchtet, unpraktisch und unangenehm für jene, die darin arbeiten oder gar wohnen müßten.
“Ich bin traurig – mit dieser formalistischen Prestigearchitektur, die nichts taugt, aber furchtbar teuer ist, hat Niemeyer meiner Architektengeneration objektiv sehr geschadet. Doch leider leben wir heute in einer Zeit, in der die Erscheinung, die Fassade, das Spektakel, die Propaganda so ungemein wichtig genommen werden. Weil ich Niemeyer kritisiere, werde ich als Vaterlandsverräter angesehen. Manche führen einen regelrechten verdeckten Krieg gegen mich. Meine Argumente werden beiseite geschoben, blockiert. Schon vor dreißig Jahren, als ich Professor an der Universität von Straßbourg war, verlangte ein Mitglied der kommunistischen Partei von mir, daß ich in Frankreich jegliche Kritik an Niemeyer unterlasse.“
Niemand bewerte dessen Arbeiten ernsthaft – aus Angst, sich mit einem „Monstro sagrado“, einem heiligen Monster, anzulegen.
Derzeit entwirft Niemeyer, wie es heißt, ein großes öffentliches Freizeitbad für Potsdam – deutsche PR-Journalisten schütten deshalb wiederum unkritische Würdigungen in die Medien. Joaquim Guedes äußert Zweifel. “Niemeyer ist beinahe hundert und fast blind, dennoch mit vielen Projekten befaßt. Doch er ist es nicht, der sie realisiert. Er kann es ja gar nicht mehr. Womöglich erinnert er sich auch gar nicht mehr daran, was diese CIEPs eigentlich waren.“
In der Tat werden die Schulen in manchen neueren Veröffentlichungen gar nicht mehr erwähnt.
Guedes, der sich zur brasilianischen Linken rechnet, Lula und dessen Team seit langem als unethisch, lügnerisch ablehnt, blickt vom Bürofenster auf die Skyline der Betonwüste Sao Paulo:“Alles einfach entsetzlich - diese Gebäude sind grauenhaft, uma Barbaridade!“ Niemeyer hat in der City unter anderem den COPAN-Block beigesteuert, in dem fünftausend(!) Menschen wohnen. Rio de Janeiros Stadion für die weltberühmte Karnevalsparade, das Sambodrome, halten just die Hauptnutzer, nämlich die Sambaschulen, für völlig fehlkonstruiert, kontraproduktiv, für nackten, häßlichen Beton. „Niemeyer hatte sich zuvor nie eine Parade angesehen, konsultierte wie üblich niemanden vom Fach, machte wie bei den CIEPS und Brasilia wieder die typischen Fehler“, urteilte Architekturprofessor William Bittar von der Bundesuniversität der Zuckerhutstadt. „Niemeyers Sambodrome nahm dem Karneval viel von seiner Spontaneität.“
1992 gehen Brasiliens Studenten, die Sozialbewegungen massiv auf die Straße, um die Absetzung des verhaßten rechten Staatschefs Fernando Collor zu fordern, der Korruption und Machtmißbrauch auf die Spitze getrieben hatte. Zum Jahresende wird er tatsächlich amtsenthoben. Ein historischer Moment für Brasilien. Oscar Niemeyer indessen gibt kund, wie er zur Korruptionsbekämpfung steht. "Ich bin gegen dieses Impeachment. Ich hasse dieses Klima der Denunzierung, das sie unter uns einpflanzen wollen." Niemeyer steht zu seiner Position, die zu Zeiten des Korruptionsskandals der Lula-Regierung, in "Conversa de Arquiteto", einem seiner Selbstdarstellungsbücher, nachzulesen ist.
Ende 2005 werden Josè Dirceu, Parlamentsabgeordneter der Arbeiterpartei, vom Nationalkongreß mit großer Mehrheit das Abgeordnetenmandat und die politischen Rechte entzogen - wegen Machtmißbrauch, maßgeblicher Beteiligung an Regierungskorruption. Oscar Niemeyer indessen verteidigt öffentlich Dirceu als Ehrenmann, ist sogar prominentester Unterzeichner eines Manifests gegen den Mandatsentzug. Dirceu war bis 2004 rechte Hand Lulas, als Chefminister des Zivilkabinetts der starke Mann der Mitte-Rechts-Regierung. Doch dann fliegt Dirceus langjähriger enger Freund und Regierungsassessor Waldomiro Diniz auf, wird beim Eintreiben von Bestechungsgeld ertappt. Dirceus Stuhl wankt, doch Lula behält ihn im Amt. Erst nach den Enthüllungen über Regierungskorruption von 2005 hält Lula seine rechte Hand für nicht mehr tragbar auf diesem Posten - Dirceu wechselt zurück ins Abgeordnetenhaus.
Im Januar 2006 startet der TV-Konzern Globo eine Telenovela über den verstorbenen Präsidenten Juscelino Kubitschek, enger Freund Oscar Niemeyers. Kubitschek steht für Korruption, Vetternwirtschaft, Machtmißbrauch, Hochtreiben der Außenverschuldung, unverschämte Begünstigung von Baukonzernen, wie Brasiliens Landesmedien hervorheben. Die Telenovela werde all dies zeigen, heißt es in den Vorankündigungen. Oscar Niemeyer hat für Kubitschek weiterhin nur Lob, nennt ihn eine beispielhafte Persönlichkeit.

http://www.ostblog.de/2006/08/kein_teurer_murks_von_stararch.php



uite

Klaus | 13.09.05 14:47 | Permalink

Kommentare

Das bauphysikalische Problem der Niemeyer Schulen (CIEPS) in Rio ist soch ein allen brasilianischen Architekten - auch Joaquim Gueddes - bekanntes Problem: Entweder natürliche Querlüftung und dem zufolge Transport von Luftschall, oder hermetische Ambiente (geschlossene gedämmte Fassaden, u. U. Schallschutzfenster) und Air Conditioning (weil die Querlüftung dann nicht mehr funktioniert), schließlich sind es die heiß-feuchten Tropen. Ist das denn die nachhaltigere, energiesparende Lösung? Kritik ist okay, aber man sollte vernünftige Gegenvorschlage machen. In vielerlei anderer Hinsicht hat Herr Gueddes natürlich Recht.

Verfasst von: Jörg Spangenberg | 08.08.06 16:02

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