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Spitzensportler und andere Prominente sind mit berüchtigten Banditenbossen befreundet - Sohn von Pelè im Gefängnis
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
Für Rios couragierte Chefinspektorin Marina Maggessi, neben deren Schreibtisch ein großes Chè-Guevara-Bild steht, leider nichts Neues: Top-Athleten, darunter weltbekannte Fußballprofis, halten ebenso wie Schauspieler, Models, Popmusiker und Politiker enge freundschaftliche Kontakte zu übelsten Verbrecherbossen Rio de Janeiros, die geradezu neofeudal über große Slums herrschen, dort die Bewohner terrorisieren.
„Diese Banditenbosse sind Tyrannen – sie verbrennen Menschen lebendig, verstümmeln und zerstückeln Slumbewohner, begehen Greueltaten jeder Art, dominieren die Slums mit aller Brutalität“, betont die Ermittlerin im Exklusivinterview. Auch Staatschef Lula und die Mitglieder seiner Mitte-Rechts-Regierung wissen detailliert von den Zuständen – doch seit dem Amtsantritt von 2003 hat sich die Menschenrechtslage in Brasiliens rasch wachsenden Elends-und Armenvierteln für Millionen von Menschen nicht verbessert.
Der Slum Rocinha von Rio de Janeiro zählt über hunderttausend Bewohner, gehört zu den größten Elendsvierteln Lateinamerikas, grenzt an Nobeldistrikte der Schicken, Reichen und Prominenten. Dort wohnen auch Musiker wie Caetano Veloso und der Kulturminister Gilberto Gil. Rocinha wird beherrscht von den schwerbewaffneten Banditenmilizen des berüchtigten Gangsterbosses Erismar Moreira, genannt Bem-Te-Vi. Als Chefinspektorin Maggessi jetzt dessen Telefongespräche abhören ließ, machte sie eine interessante Entdeckung. “Vor allem Fußballspieler sind dessen Amigos, darunter Julio Cesar von Inter Mailand und Jorginho aus unserer Beach-Soccer-Nationalauswahl, die den Weltmeistertitel holte. Jorginho wurde immerhin zweimal zum weltbesten Spieler gekürt – all diese Athleten geben das denkbar schlechteste Beispiel. Bei Rock-oder Sambasängern wäre es beinahe noch zu verstehen – die saufen, schnupfen Kokain. Aber Spitzensportler müssen doch jeden Kontakt vermeiden, der irgendwie nach Doping riecht. Wie kann jemand Freund eines Drogenbosses sein, der sogar Kinder anlockt und rekrutiert! Wenn sich Athleten der Nationalmannschaft mit Rauschgifthändlern mischen, ist dies wirklich das Ende, ein Absurdum. “
Julio Cesar, dessen Telefongespräch mit Banditenboß Bem-Te-Vi aufgezeichnet wurde und in beinahe sämtlichen Zeitungen Brasilien abgedruckt ist, nahm indessen sogar an Demonstrationen gegen die überbordende Gewalt im Lande teil – die Medien stellten den prominenten Fußballspieler stets ganz groß heraus.
“Ethisch-moralisch ist das alles ganz erbärmlich - solche Scheinheiligkeit gehört hier leider zur Realität“, betont Chefinspektorin Maggessi. „Die Banditen stellen in Brasilien eine Parallelmacht dar, die auf solche Prominenten faszinierend, anziehend wirkt. Es gilt als großartig, Freund eines solchen Königs wie Bem-Te-Vi zu sein, der über einen ganzen Slum befiehlt. Wenn so ein Promi mal überfallen wird, kann er den Tätern damit drohen, daß sie sein Freund, der Banditenboß, liquidieren werde. Die Prominenten gehen zu den Banditenfesten, spielen mit den Gangstern Fußball. Dadurch werden mehr Drogenkunden angelockt, wird der Rauschgiftumsatz gesteigert. Immer wieder organisiert so ein Boss wie Bem-Te-Vi sogenannte Wohltätigkeitsveranstaltungen, die sein Image fördern sollen. Er empfängt seine Promi-Gäste persönlich, stellt sich allen Leuten vor, läßt Bier, Whisky und Energiedrinks gratis ausschenken, dazu Essen austeilen – und all diese Prominenten sind dabei. Sie geben ihm Legitimation als König der Favela. Er läßt die Promis sogar mit seinen MGs feuern, stellt ihnen sein modernes Waffenarsenal vor.“
Bem-Te-Vi hat zudem die Manie, an die Festgäste MG-Patronen zu verteilen, als wäre es ein Souvenir des Rocinha-Slums. Die Waffen, so haben Menschenrechtsorganisationen wie „Viva Rio“ immer wieder beklagt, stammen häufig aus NATO-Ländern wie den USA, aber auch aus Deutschland, Österreich, Italien, Großbritannien und Frankreich. Sogar Granatwerfer und schwere MGs zum Abschießen von Hubschraubern sind darunter.
Jetzt wird ermittelt, ob möglicherweise sogar Spitzenspieler wie Ronaldo Banditenkontakte pflegen. „All diese Berühmtheiten haben jetzt eine Riesenangst, daß ihre Namen von uns zitiert werden.“
Chefinspektorin Maggessi weiß, daß es gerade in Europa sehr viele sozialromantische Vorstellungen über das Leben in den Slums gibt – durch den Rocinha-Slum werden mit Zustimmung der Banditenbosse sogar Touristengruppen geführt. Dem Vernehmen nach sollen die Gangster am Umsatz beteiligt sein. Nicht-Regierungsorganisationen, die in Rocinha agieren, wird regelmäßig vorgeworfen, mit den Banditenchefs zu kooperieren. „Die Bewohner pflegen zu diesen Tyrannen nicht selten eine Art Haßliebe“, so Marina Maggessi, „da manche zwecks Imageverbesserung soziale Aufgaben übernehmen, die eigentlich Sache des Staates sein müßten. Banditenbosse bezahlen Bewohnern manchmal das Kochgas, die Miete, Essen und selbst Beerdigungen.“
Eine Lösung des Problems der Banditen-Parallelmacht sieht die Chefinspektorin nicht – die Herrschaft der Gangsterkommandos sei inzwischen institutionalisiert, tief verwurzelt, alle Segmente der Gesellschaft seien verwickelt. „Gerade Beziehungen zwischen Gangstern und Fußballprofis fallen auf. Die Mehrheit der Spieler ist aus armen Familien der Slums, hat dort ihre Wurzeln.“
--Sohn von Pelè im Gefängnis—
Edinho, der Sohn von Ex-Fußballstar Pelè, spielte beim großen Fußballklub Santos – doch seit Juni 2005 sitzt Edinho just wegen krimineller Taten im Gefängnis. Pelè hat ihn unlängst besucht, und danach gegenüber der Presse erklärt, sein Sohn sei unschuldig. Chefinspektorin Maggessi sieht das anders. “Pelè s Sohn ist ein Verbrecher, ein Drogenhändler – Teil einer Bande, die an Rauschgift verdiente.“
Die Ermittlerin wird schlecht bezahlt, arbeitet unter simpelsten Bedingungen im arg heruntergekommenen Hafenviertel Rios, dazu mit hohem Lebensrisiko. Regelmäßig werden in Rio und anderen Großstädten Berufskollegen von Gangstern ermordet. „Mein Job schafft mir viele Feinde – doch viele Freunde auch. Manchmal lebe ich sehr gefährlich, kann das schwerlich bestreiten. Mich zu töten, wäre im Grunde sehr einfach – doch die Banditen schrecken offenbar davor zurück.“
Am schwarzen Brett vor ihrem Dienstzimmer hängen Nietzsche-Zitate, die sich womöglich auf den jüngsten Korruptionsskandal der Lula-Regierung beziehen:“Der Staat lügt in allen Sprachen – und was er will, das raubt er sich.“
Marina Maggessi ist nicht die einzige Slum-Expertin Rios, die kein Blatt vor den Mund nimmt, nichts von Selbstzensur aus verlogener „politischer Korrektheit“ hält. Die aus der Oberschicht stammende Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin Yvonne Bezerra de Mello argumentiert sehr ähnlich. Was passiert in den Slums mit Minderjährigen, die bei kriminellen Aktionen der Banditenmilizen nicht mitziehen, gar schwer drogensüchtig werden, statt Profit Verluste einbringen? „Die werden eliminiert, die Leichen läßt man verschwinden. In den Slums gibt es Ställe mit Schweinen, die Überreste von Kindern auffressen. Oder auch das: Ein Junge, oft nur dreizehn Jahre oder jünger, muß dem an einen Baum gefesselten Opfer mit einer Rasierklinge solange ins Fleisch schneiden, bis es stirbt – alles zur Einschüchterung der Slumbewohner.“
Vom hohen Felsen eines Hangslums gegenüber dem Othon-Hotel der Copacabana stoßen Banditenkommandos regelmäßig Mißliebige in die Tiefe – ebenfalls zur Abschreckung, Einschüchterung; niemand überlebt dies. Nicht wenige Drittweltbewegte in Deutschland bestreiten solche Fakten, halten derartige Angaben aus einem Land mit jährlich immerhin weit über 50000 Mordopfern für sensationalistisch, übertrieben.
Preta Gil, Tochter des Kulturminister Gilberto Gil, äußerte 2004 in einem Exklusivinterview:“Es ist aussichtslos, nicht nur die Slums werden von der gutorganisierten Drogenmafia beherrscht. Tudo dominado! Sozial und kulturell sind die Favelas ein Abgrund.“ Auch die Regierung sei korrumpiert.
Neue Literatur zur Lage in den Slums:
Elisabeth Blum
Peter Neitzke (Herausgeber)
FavelaMetropolis
Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und Sao Paulo
Birkhäuser – Verlag für Architektur 2004
Basel – Boston - Berlin
Klaus | 17.08.05 22:50 | Permalink