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Nach der IRA-Erklärung

Die Zeiten, da die Irisch-Republikanische Armee (IRA) ihre Erklärungen hektographiert verbreitete, sind lange vorbei. Vorbei auch die Zeiten, als ein (nicht existenter) P. O’Neill die IRA-Botschaften unterzeichnete. Vorgestern ließ die IRA ihr Statement, dass ihre bewaffnete Kampagne beendet sei, per DVD verbreiten.

Auf der DVD ist Seanna Walsh zu sehen, der vor der irischen Trikolore die Erklärung verließt, die von Downing Street bis zum Weißen Haus begrüßt wurde. Seanna Walsh hat für IRA-Aktivitäten 21 Jahre im berüchtigten Gefangenenlager Long Kesh eingesessen. Er war einer der ersten, der sich in den späten 1970er Jahren den britischen Versuchen widersetzte, den Gefangenen ihren politischen Status abzuerkennen. Seit seiner Freilassung gehört er zum Kreis jener Sinn-Féin-Politiker, die den Friedensprozess forciert haben.
Die Reaktion der Unionisten auf die IRA-Erklärung fiel aus wie erwartet. Die Politiker von Ian Paisleys Democratic Unionist Party (DUP), seit Mai 2005 die stärkste protestantische Partei, machten schon vor Wochen deutlich, dass sie nichts auf eine IRA-Erklärung geben, sie Monate oder gar Jahre warten wollen, was ihr an Taten folgen wird. Ein Unionist hatte in der Zeitung News Letter ausgeführt: »Einem IRA-Statement sehe ich in der selben Weise entgegen wie der nächsten Lieferung des Buches 100 Arten ein totes Schaf zu prügeln.« Der Hardliner Ian Paisley wetterte, die Unionisten sähen keinen Grund die Worte von P. O’Neill zu begrüßen, bezeichnete die IRA-Erklärung als »Schwindel« und forderte wie schon im Dezember 2004, die Waffenabgabe der IRA müsse fotografisch dokumentiert werden. Der Vorsitzende der Ulster Unionist Party, Sir Reg Empey, gebärdete sich weniger laut und sagte, der IRA-Erklärung müssten nun Taten folgen. Sir Empey wird nächste Woche im Rahmen des West Belfast Festivals mit Vertretern von Sinn Féin, der DUP sowie der Social Democratic Labour Party über die Situation nach der IRA-Erklärung diskutieren.

In ihrer gemeinsamen Erklärung riefen der britische Premier Blair und Irlands Regierungschef Ahern alle Parteien auf, nun auch dafür zu sorgen, dass die Aktivitäten der loyalistischen Paramilitärs ein Ende finden. Bis jetzt haben die Loyalisten, die erst in den letzten Wochen in Belfast wieder ihre militärische Stärke öffentlich zur Schau gestellt haben, nur ein einziges Mal ein paar verrostete Waffen unbrauchbar machen lassen. Ein Sprecher der Ulster Defence Association (UDA), der größten der loyalistischen Organisationen, sagte vorgestern, die UDA werde dem Beispiel der IRA nicht folgen, da noch »schrecklich viel zu diskutieren sei«.

Danny Morrison, einst PR-Mann von Sinn Féin, erklärte: »Die IRA-Erklärung hätte früher kommen können, wenn die Unionisten am Ball geblieben wären, statt sich der Agenda von Gleichheit und Machtteilung zu widersetzen, die der Kompromiss mit sich brachte. Die IRA ist einen Kompromiss eingegangen und hat eine Waffenruhe verkündet, ohne ihre Hauptziele erreicht zu haben.«

Bei einer Pressekonferenz in Dublin führte Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams aus: »Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Kampfes, existiert die Möglichkeit, die republikanischen Ziele mit rein friedlichen und demokratischen Mitteln zu erreichen.« Die irische und britische Regierung müssten nun ohne weiteren Aufschub das Karfreitagsabkommen [von 1998] vollständig implementieren. Dies bedeute vor allem, jenen Unionisten keinen weiteren Vorschub zu leisten, die sich einem Fortgang des Friedensprozesses widersetzten. Die britische Regierung müsse umgehend mit der Entmilitarisierung beginnen, Gleichheit und die Einhaltung der Menschrechte garantieren, die irische Regierung aktiv die Einheit Irlands fördern. Adams war allerdings skeptisch, dass die Initiative der IRA kurzfristig die Haltung der Gegner der republikanischen Bewegung ändern wird, ob in London, Dublin oder im unionistischen Lager. Direkt an Paisley gewandt, sagte Adams: »Lassen Sie uns reden und diese Gelegenheit nicht tatenlos verstreichen!«

Im Guardian fragte sich der Kommentator Henry McDonald, wieso denn jetzt die Bedingungen da seien, ein Vereinigtes Irland anders als per Waffengewalt zu ereichen. Die Erreichung dieses Zieles sei heute nicht näher als im Jahre 1969, und er frage sich, was die IRA ihren Mitgliedern in fünf Jahren erklären wolle, wenn es beim Status quo geblieben sei.

Rasche politische Fortschritte wird es nicht geben. Die Mehrparteienregierung und das Belfaster Regionalparlament, 2002 suspendiert, werden einstweilen auf Eis bleiben. Nordirlandminister Hain will zunächst die Berichte der der International Commission on Decommissioning (IICD) und der Independent Monitoring Commission (IMC) abwarten. Die IMC berichtet der britischen Regierung regelmäßig über alle paramilitärischen Aktivitäten. Einen Sonderbericht der IMC erwartet Hain im Januar 2006. Die IMC wird von Sinn Féin nicht anerkannt. Ein IRA-Repräsentant hat aber bereits mit der IICD Kontakt aufgenommen. Eine Waffenabgabe soll in den nächsten zwei Wochen erfolgen und damit der Druck auf Paisley und seine DUP erhöht werden. Gestern begann die britische Armee bereits, in South Armagh Beobachtungstürme und Basen zu räumen.

Hain gab zudem seiner Hoffnung Ausdruck, dass Sinn Féin sich bald bereit erklärt, die »Policing Boards« anzuerkennen und ihre Politiker sich mit Sitz und Stimme an diesen polizeilichen Institutionen beteiligen. Gerry Adams erklärte gestern, Voraussetzung dafür sei, dass die Mehrparteienregierung und das Regionalparlament wieder arbeiteten.

Jürgen Schneider

A.S.H. | 01.08.05 17:17 | Permalink