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Die IRA wird zum Old Boys Club

Gestern Nachmittag hat die Führung der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) ihre bewaffnete Kampagne für beendet erklärt und ihre Freiwilligen angewiesen, »alle Waffen abzugeben und die Entwicklung rein politischer und demokratischer Programme durch ausschließlich friedliche Mittel zu unterstützen.« »Die Freiwilligen«, so heisst es weiter, »haben sich aller anderen Aktivitäten zu enthalten.« Die IRA-Führung hat zudem ihren Repräsentanten beauftragt, mit der International Commission on Decommissioning (IICD) in Kontakt zu treten, um die Waffenabgabe glaubhaft und schnellstmöglich zu ermöglichen. Ein katholischer und ein protestantischer Geistlicher sollen der Waffenabgabe beiwohnen. Ihre Auflösung erklärte die IRA nicht.

Am 6. April 2005 – elf Jahre nach der IRA-Waffenstillstandserklärung und sieben Jahren nach dem Belfaster Abkommen – gab Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams eine Erklärung ab, der sein Parteikollege Jim Gibney »Stärke 10 auf der republikanischen Richter-Skala« bescheinigte. Adams wandte sich an die IRA-Führung und fragte: »Seid ihr bereit, mutige Schritte einzuleiten, die euch erlauben, eure Ziele künftig ausschließlich durch politische und demokratische Aktivitäten zu erreichen?« Gerry Adams Erklärung erfolgte zu einer Zeit, da Sinn Féin und die IRA wegen der Ermordung von Robert McCartney durch IRA-Mitglieder nach einer Auseinandersetzung in einem Belfaster Pub unter politischem Druck standen. Adams’ politische Gegner taten die Erklärung als taktisches Manöver für die für den 5. Mai 2005 anberaumten Wahlen ab.
Seitdem war der IRA-interne Klärungsprozess im Gange, und immer wieder wurde spekuliert, wann die IRA die von Adams erbetene Erklärung abgeben würde. Laut der »IRA Constitution« muss die Organisation Zusammenhalt und Integrität sowie ihre militärischen Fähigkeiten solange bewahren, bis eine irische sozialistische Republik, wie bereits in der Proklamation zum Osteraufstand 1916 verkündet, geschaffen ist. Ob die »IRA Constitution« im Zuge des internen Klärungsprozesses geändert wurde, ist nicht bekannt geworden. Sinn Féin hat mit dem Belfaster Abkommen bereits die Teilung Irlands für die vorhersehbare Zukunft akzeptiert. Die IRA hält in ihrer Erklärung an dem Ziel eines vereinigten Irland fest.
In dieser Woche verdichteten sich die Anzeichen, dass eine IRA-Erklärung unmittelbar bevorsteht. Am vergangenen Wochenende waren die IRA-Freiwilligen in Derry von ihrer Führung instruiert worden, wie sie fortan zu argumentieren und sich zu verhalten haben. Irlands Premier Bertie Ahern erklärte, mit »enormen Veränderungen« sei »binnen Tagen« zu rechnen und änderte seine Urlaubspläne, und der kanadische Ex-General de Chastelain, der Verantwortliche der die Waffenabgabe überwachenden IICD, verschob seine Heimreise und blieb mit seinem Kollegen Andrew Sens auf »stand-by« in Dublin. »Ein schöner Tag steht bevor«, sprach der Sinn-Féin-Politiker Martin McGuinness am Mittwoch, bevor er nach Washington flog, um die Unterstützer seiner Partei in den USA über den Stand der Dinge zu unterrichten und sich mit Bushs Sonderbeauftragten für Nordirland, Mitchell Reiss, zu treffen. Und schließlich wurde am Mittwochabend der Ex-IRA-Mann Sean Kelly auf freien Fuß gesetzt. Kelly, der für einen Bombenanschlag der IRA im Jahre 1993 verantwortlich war, bei dem neun Menschen sowie ein IRA-Freiwilliger ums Leben kamen, war vor vier Wochen auf Veranlassung von Nordirlandminister Hain ohne Angaben von Gründen wieder in Haft genommen worden, nachdem er, einst zu neun mal lebenslänglich verurteilt, vor fünf Jahren im Zuge des Belfaster Abkommens frei gekommen war. Sinn Féin hatte Kelly als »politische Geisel« bezeichnet. Das Northern Ireland Office der britischen Regierung begründete seine Freilassung mit dem Hinweis auf die unmittelbar bevorstehende Erklärung der IRA. Bertie Ahern hatte zuvor betont, er fordere nicht die Auflösung der IRA, er könne mit einer Veteranenorganisation (»commemorative body«) leben, solange diese der Gewalt abschwöre. Ahern antizipierte eine zukünftige Rolle der IRA, als er Kellys »gute Arbeit in der Vergangenheit« lobte – ein Hinweis auf das Bemühen Kellys und seiner republikanischen Genossen, Steine werfende Demonstranten von ihrem Tun abzubringen. Ein Parteikollege von Ahern sprach gar positiv von der Möglichkeit, dass die IRA gegen die Absplitterungen Real IRA und Continuity vorgehen könnte. Das wäre nur möglich, wenn die IRA nicht alle Waffen abgibt. Eine Diskussion darüber, was »die Abgabe aller Waffen« bedeutet, ist damit vorprogrammiert.

Die IRA war 1969 neu entstanden, primär um die von Loyalisten bedrängten katholischen Wohnviertel zu verteidigen. In der gestrigen IRA-Erklärung heisst es, es sei nun Aufgabe der Gesellschaft zu verhindern, dass sich die Pogrome von 1969 und 1970 wiederholen. Dies ist auch als Hinweis zu lesen, dass wohl Waffen zur eventuell notwendigen Selbstverteidigung einbehalten werden. Im Zusammenhang mit den jährlichen Oraniermärschen war es in diesem Monat erst wieder zu Übergriffen von Loyalisten auf katholische Wohngebiete gekommen.
Vor der Veröffentlichung der IRA-Erklärung hatte Gerry Adams diese als »Herausforderung für die irischen Republikaner und Nationalisten sowie für die beiden Regierungen und die Unionisten« bezeichnet. Die Unionisten von Ian Paisleys Democratic Unionist Party (DUP) machten schon vor Wochen deutlich, dass sie nichts auf eine IRA-Erklärung geben, sie Monate oder gar Jahre warten wollen, was ihr an Taten folgen wird. Die Irish Times schrieb von einer »notwendigen Dekontaminierungsperiode«. Ein Unionist hatte in der Zeitung News Letter ausgeführt: »Einem IRA-Statement sehe ich in der selben Weise entgegen wie der nächsten Lieferung des Buches 100 Arten ein totes Schaf zu prügeln.« Ian Paisley bezeichnete die IRA-Erklärung als »Schwindel« und forderte wie schon im Dezember 2004, die Waffenabgabe der IRA müsse fotografisch dokumentiert werden.

Durch die IRA-Erklärung wird jedoch der Druck auf die unionistischen Hardliner wachsen, einen Fortgang des Friedensprozesses nicht länger zu blockieren. Die britische Regierung wird nach der Waffenabgabe der IRA ebenfalls zu einer Entmilitarisierung Nordirlands beitragen, Truppen reduzieren und Basen schließen müssen.
Jürgen Schneider

A.S.H. | 29.07.05 15:55 | Permalink